Wie viele Sprachen sprechen Sie?
Severin Hacker: Deutsch und Englisch, ein bisschen Französisch von der Schule und nun habe ich mit unserer App Duolingo Spanisch gelernt.
Und wie viele Programmiersprachen beherrschen Sie?
So einige. Hier bin ich wesentlich besser als mit Fremdsprachen (lacht).
Wie kommt es denn, dass gerade Sie eine Sprachen-App entwickelt haben?
Das hat sich so ergeben. Mein Mitgründer Luis von Ahn und ich wollten eine Lernsoftware entwickeln. Doch Mathematik oder Physik wollen nun mal die wenigsten Menschen in ihrer Freizeit lernen, Sprachen hingegen schon. Also haben wir uns dafür entschieden.
Wie gut kann man denn mit einer App eine neue Sprache lernen?
Sehr gut. Eine externe Studie hat ergeben, dass 34 Stunden Lernen mit Duolingo den gleichen Effekt hat wie ein ganzes Semester Fremdsprachenunterricht an einer Schule. Unsere App ist der effizienteste Weg, um eine neue Sprache zu lernen. Ausserdem ist sie sehr motivierend. Bei uns wird man ständig belohnt wie in einem Computerspiel.
Und warum ist das so viel effektiver als der Unterricht an einer Schule?
Duolingo ist interaktiv. Man muss immer etwas machen: Schreiben, sprechen, übersetzen. Im Unterricht kann man auch einmal zurücklehnen. Die meisten unserer Nutzer verbringen nur 5 bis 10 Minuten pro Tag mit der App, doch diese sind sehr intensiv. Der zweite Unterschied: Bei uns wird jede Lektion exakt auf die Fähigkeiten des Lernenden zugeschnitten. In der Schule geht das nicht, da werden die Lektionen an den Durchschnitt angepasst.
Ausser man hat einen Privatlehrer.
Genau. Einzelunterricht ist immer noch die beste Methode, um etwas Neues zu lernen. Unser Ziel ist deshalb, so gut zu werden wie ein menschlicher Privatlehrer.
Und wie wollt ihr das schaffen?
Durch die Auswertung von Daten. Wir analysieren, wie jeder einzelne Nutzer Duolingo verwendet und welche Anpassungen bei ihm zu mehr Erfolg führen. Aufgrund dieser Erkenntnisse verbessern wir das Programm ständig. Vieles macht die Software dabei automatisch – ohne dass wir genau veranlassen, was sie tun soll. Nicht nur unsere Schüler werden also durch die Interaktion schlauer, sondern auch unser Programm.
Sie haben an der ETH Zürich Ihren Bachelor gemacht und dann an eine Elite-Universität in den USA gewechselt. War diese der Grundstein für Ihren Erfolg?
Ja, wahrscheinlich. Obwohl das so nicht geplant war. Ich wollte nur ein Austauschjahr an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh machen. Doch dann habe ich Professor Luis von Ahn kennen gelernt, der mich überzeugt hat, zu bleiben und bei ihm ein Doktorat zu absolvieren. Daraus ist dann eine Zusammenarbeit, und schliesslich unser Start-up Duolingo entstanden.
Hätten Sie auch ein Start-up gegründet, wenn Sie hier geblieben wären?
Vermutlich nicht. In der Schweiz ist das schwieriger. Für ein Start-up braucht es drei Dinge: eine gute Idee, gute Leute, und Kapital. Gute Ideen gibt es auch in der Schweiz. Doch, Leute zu finden, die sie gemeinsam umsetzen, ist schwieriger. Gerade im Informatikbereich nehmen viele ETH-Absolventen lieber eines der zahlreichen Jobangebote von grossen Firmen an. Kapital zu finden, ist erst recht schwierig. Und ohne Geld geht nichts.
Wie verdient ihr Geld mit eurer App, die kostenlos und werbefrei ist?
Wir bieten zertifizierte Englischtests an. Der Nutzer kann diesen für 20 Dollar erwerben und jederzeit auf dem Smartphone machen. Die eingeschaltete Kamera garantiert, dass der Prüfling nicht spickt. Und eine weitere Einnahmequelle ist, nun ja . . . (zögert) Wir haben nun so viele Nutzer, dass uns die ersten Investoren nahelegen, Werbung zu verkaufen.
Jetzt also doch. Obwohl ihr das nie tun wolltet?
Wir haben nie gesagt, nie. Was wir aber bestimmt nie tun werden, ist Geld für die Nutzung der App zu verlangen. Unsere Philosophie ist: Jeder soll die gleichen Chancen haben. Sprachen lernen soll gratis sein – abgesehen vom Smartphone und der Internetverbindung, die man dazu braucht. Werbung zu verkaufen, hilft uns also, unserer Philosophie treu zu bleiben.
Ihr verdient auch Geld, indem ihr Inhalte durch Nutzer übersetzen lässt. Reicht diese Einnahmequelle nicht aus.
Genau, um Spanisch zu lernen, übersetzen unsere Nutzer beispielsweise Inhalte von CNN. Das geht derzeit aber erst auf der Website. 85 Prozent der Nutzer verwenden Duolingo aber auf dem Smartphone. Und diese Funktion auf den kleinen Bildschirm zu bringen, ist nicht ganz einfach. Doch wir arbeiten daran.
Einer eurer berühmtesten Nutzer ist Bill Gates. Habt ihr Kontakt mit ihm?
Ja, ich habe ihn zweimal getroffen. Neben Gesundheit ist Bildung das zweite grosse Thema, für das er sich einsetzt.
Gates spricht nur Englisch. Ein Beispiel dafür, dass man gar keine andere Sprache braucht, um erfolgreich zu sein.
Wenn Englisch nicht die Muttersprache ist, muss man zumindest eine Fremdsprache lernen. Englisch ist sehr wichtig. Das sehen auch unsere Nutzer so. Mehr als die Hälfte von ihnen lernen mit Duolingo Englisch.
Skype übersetzt mittlerweile simultan von Englisch auf Spanisch. In ein paar Jahren muss man vielleicht nicht einmal mehr Englisch lernen, weil eine App ständig alles übersetzt.
Das könnte sein. Allerdings bin ich etwas skeptisch: Denn die dazu nötige Perfektionierung in den Übersetzungsalgorithmen ist nicht trivial. Wenn es aber so weit kommt, dann würden wohl wirklich nur noch die Wenigsten den Aufwand auf sich nehmen, eine Fremdsprache zu lernen.
Dann wird eure App überflüssig.
Vieles, was wir machen, funktioniert unabhängig von Sprachen. Wir könnten unsere Algorithmen auch nutzen, damit Leute andere Dinge wie etwa Programmieren oder Mathematik lernen können.
Ihr wollt bald auch Klingonisch anbieten, die fiktive ausserirdische Sprache aus der Serie «Star Trek». Warum?
Unsere Nutzer haben diese Kurse selber erstellt. Wir bieten eine Plattform und machen eine Qualitätskontrolle, die Inhalte hingegen erstellen mittlerweile die Nutzer. Klingonisch scheint ein grosses Bedürfnis zu sein (lacht).
Auch Esperanto kann man bei euch lernen. Wurde diese künstliche Weltsprache nicht längst von Englisch ersetzt?
Klar. Doch Sprachen lernen, hat auch etwas mit Kultur zu tun. So lernen beispielsweise mehr Leute auf Duolingo Irisch, als es irische Muttersprachler gibt. Ausserdem ist das Lernen einer Fremdsprache im Alter erwiesenermassen etwas vom Besten, was man tun kann, um das Demenzrisiko zu verringern.
Man kann mit Duolingo kein Mandarin lernen. Dabei heisst es doch, dass die chinesische Sprache in Zukunft so wichtig werden würde.
Wir wollen in absehbarer Zeit auch Mandarin anbieten. Bisher haben wir uns aber auf Sprachen mit einem Alphabet konzentriert. Für eine Zeichensprache fehlt uns derzeit noch die nötige Technologie. Derzeit scheint auch das Bedürfnis danach noch nicht so gross zu sein. In den USA etwa ist Mandarin ungefähr die zehntbeliebteste Fremdsprache..
In der Schweiz wird derzeit diskutiert, ob die Kinder in der dritten Klasse zuerst mit Frühenglisch oder mit Frühfranzösisch beginnen sollen. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich würde zu Frühenglisch tendieren. Wichtiger als die Wahl der Sprache scheint mir aber, dass der Sprachunterricht modernisiert wird. Wir haben jetzt in den USA damit begonnen, mit Schulen zusammenzuarbeiten. Duolingo lässt sich hervorragend in den Unterricht integrieren. Keine Angst, wir wollen damit nicht den Lehrer ersetzen, sondern bloss das Übungsbuch. An dessen Stelle soll eine motivierende und interaktive App treten, die auf die Fähigkeiten jedes einzelnen Schülers angepasst ist. (aargauerzeitung.ch)