Wer durch Oberägeri spaziert, kann nur erahnen, was für ein Traum sich mitten im Dorf verbirgt. Gut versteckt hinter Bäumen befindet sich auf fast 5000 Quadratmetern Fläche eine Liegenschaft mit zwei Villen. Seeanstoss und Alpenblick inklusive. Der geschätzte Wert beträgt gemäss einer Studie der Immobilienberatungsfirma Wüest Partner nicht weniger als 27 Millionen Franken.
Doch die Idylle trügt. Um das prunkvolle Anwesen im steuergünstigen Kanton Zug tobt ein erbitterter Streit. Sybille B. (alle Namen geändert) wirft ihrem Bruder Roland B. vor, die Residenz, im Besitz einer Holding, hinter ihrem Rücken für 16 Millionen verschleudert zu haben - viel zu billig. Damit habe er gegen Gesellschaftsrecht verstossen. Die Vorkommnisse haben zahlreiche Strafverfahren produziert. CH Media hatte Einblick in das Dossier. Ein Wirtschaftskrimi in 10 Akten.
Die Liegenschaft ist Teil einer Holding. Roland B. und Sybille B. besitzen je 45 Prozent der Aktien, ihre Mutter, Mitgründerin der Holding, die restlichen 10 Prozent. Sie stirbt 72-jährig im September 2013. In ihrem letzten Testament, verfasst wenige Monate zuvor, vermacht sie ihren 10-Prozent-Anteil Sybille B.'s Tochter Sandra. Das damals 8-jährige Enkelkind erhält einen Stimmrechtsvertreter. Dessen Aufgabe lautet, Sandras Aktien bis zu ihrem 25. Lebensjahr zu verwalten und ihr Stimmrecht wahrzunehmen. Sandras Grossmutter liess zu Lebzeiten nie Zweifel übrig, was mit der Residenz am Ägerisee geschehen soll: Sie bleibt in Familienbesitz. So lautet das Vermächtnis.
Die Hauptaktionäre liegen in einem Streit. Roland B. will die Liegenschaft verkaufen, Sybille B. und Sandra können das mit ihrer Aktienmehrheit verhindern. Doch Roland B. gelingt es, den Stimmrechtsvertreter auf seine Seite zu ziehen. Dieser tritt Mitte 2015 als Verwaltungsratspräsident aus der Holding zurück. Ausgerechnet mit den Stimmen von Sandra hilft er, an seiner Stelle einen Vertrauten von Roland B. als neuen Verwaltungsratspräsidenten zu installieren. Der Stimmrechtsvertreter lässt diesen gewähren, obwohl er mehrfach gewarnt wird, der neue Verwaltungsratspräsident handle gegen Sandras Interessen und wolle die Seegrundstücke verkaufen.
Es ist der Fluch des bösen Plans, der ständig neues Böses gebiert: Der neue Verwaltungsratspräsident fasst den Auftrag, die Holding und ihre Tochtergesellschaften zu liquidieren und zu versilbern, das Vermögen also zu verflüssigen. Dies geht aus einer Aktennotiz hervor, welche die Anwälte des Bruders im September 2015 angefertigt haben. Um den Plan voranzutreiben, werfen Roland B. und der neue Verwaltungsratspräsident Sybille B. aus dem Verwaltungsrat der Tochtergesellschaften, welche die Seegrundstücke halten. Parallel dazu beschliessen sie, die Holding zu liquidieren.
Roland B. und der Verwaltungsratspräsident wälzen, unterstützt von Anwälten, verschiedene Varianten, um den Verkauf der Liegenschaften zu finalisieren. Sie wollen zum Beispiel durch konstant schlechte Geschäftsführung und unklare Organisationsstrukturen eine gerichtliche Auflösung der Holding erzwingen.
Alarmiert durch Sybille B., durchkreuzt das Zuger Obergericht diesen Plan. Eine ordentliche Liquidation via Aktionärsbeschluss - dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit - kann Sybille B. verhindern. Ihr Bruder schwenkt jetzt auf das Szenario Notverkauf. Zu diesem Zweck treiben Roland B. und der Verwaltungsratspräsident die Holding scheinbar nahe an den Konkurs, um die Veräusserung der Liegenschaften zu legitimieren. Erstaunlich: Trotz angeblichen Liquiditätsengpässen richten sie in einem Jahr eine Dividende von 500'000 anstatt der üblichen 200'000 Franken aus - mit dem Segen von Sandras Stimmrechtsvertreter notabene. Sie unterlassen es, mit der Vermietung der Villen Einkünfte zu generieren. Und sie verzichten auf die Rückzahlung von Darlehen.
Am 14. September 2017 verkaufen Roland B. und der Verwaltungsratspräsident die Seegrundstücke für 16 Millionen Franken an eine superreiche, national bekannte Person aus Oberägeri. Als Sybille B. rund einen Monat später vom heimlichen Deal erfährt, erstattet sie gegen ihren Bruder und den Verwaltungsratspräsidenten Strafanzeige wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung. Sie moniert, durch den Verkauf sei sie in ihrem Vermögen geschädigt worden. Ob sich Roland B. und der Verwaltungsratspräsident und andere Personen, gegen die in diesem Zusammenhang Strafverfahren laufen, strafrechtlich etwas haben zu Schulden kommen lassen, hat die Justiz noch nicht geklärt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Klar ist jedoch: Die Art und Weise des Verkaufs wirft Fragen auf. So gebe es keinen plausiblen Grund, die Traumresidenz nicht öffentlich auszuschreiben, schreiben Wüest Partner in der Verkaufsanalyse. Zudem könne das Verkaufsprozedere bei Liebhaberobjekten länger als ein Jahr dauern. Der beauftragte Makler habe aber die Liegenschaft nur während rund 100 Tagen angeboten und auch nicht über das nötige Netzwerk zu potenziell viel bietenden Käufern verfügt. Ein Glencore-Manager, der zwei Jahre vor dem Verkauf 20 Millionen Franken für die Liegenschaft geboten hatte, taxierte den tieferen Preis als nicht nachvollziehbar. Es gibt weitere Hinweise, dass die Liegenschaft im Hauruck-Verfahren regelrecht verscherbelt wurde.
Die Zuger Kantonalbank, die das Geschäft abwickelte, stellte dem Käufer zur Finanzierung des Erwerbs einen Kredit von bis zu 25 Millionen Franken in Aussicht. Und bevor der Verkauf über die Bühne ging, bot Roland B. einem Architekten aus der Region an, die Seegrundstücke billig zu verkaufen, um einen Teil davon später wieder von ihm zu erwerben. Gibt es einen Schattendeal?
Roland B. wusste, dass er sich auf rechtliches Glatteis begeben würde. Wenige Tage vor dem Verkauf riet ihm sein Anwalt von einem Liegenschaftsverkauf ab. Es bestehe ein nicht zu unterschätzendes Risiko, wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung verurteilt zu werden. In einer allfälligen Strafuntersuchung würden sich zwei zentrale Fragen stellen: Nützte der Verkauf der Liegenschaften der Gesellschaft? Wurde dafür ein marktkonformer Preis erzielt? Dies wiederum setze eine öffentliche Ausschreibung voraus. Der Anwalt warnte vor einer Strafverschärfung, sollte sich der Täter selber unrechtmässig bereichern wollen: «Dies kann auch indirekt geschehen, indem beispielsweise Strohleute zwischengeschoben werden, die die Liegenschaften zu einem zu tiefen Preis erwerben und hernach dem eigentlichen Täter weiterverkaufen.»
Sybille B. strengt bei der Gemeinde Oberägeri ein Aufsichtsverfahren gegen Sandras Stimmrechtsvertreter an, worauf dieser sein Amt niederlegt. Mit der Hilfe von Sandras neuem Interessenvertreter gelingt es, den Bruder und dessen Vertrauten aus dem Verwaltungsrat abzusetzen.
Zugriff auf die Mittel aus dem Verkaufserlös hat Sybille B. nicht. Ihr Bruder hat ihn auf eine Art Sperrkonto bei der Bank Linth deponiert. Die Zuger Staatsanwaltschaft schreitet ein und repatriiert die verbliebenen 13.5 Millionen Franken zur Holding.
Die jüngste Wende nimmt der Fall im vergangenen Dezember. Roland B. meldet sich und seine Familie von seiner Wohngemeinde im Kanton Zug nach Costa Rica ab. Ob er tatsächlich dort ankommt, ist unklar. Will er sich im Ausland einem möglichen Prozess entziehen? Die Staatsanwaltschaft hegt keine solchen Befürchtungen. Weder lässt sie ihn international zur Verhaftung ausschreiben, noch verlangt sie eine Kaution. Sie begnügt sich mit der anwaltschaftlichen Versicherung, Roland B. stehe für die Strafuntersuchung weiterhin zur Verfügung.
Sybille B. beisst bei der Staatsanwaltschaft auf Granit. Will die Staatsanwaltschaft die Verfahren versanden lassen? Will sie den reichen Käufer vor unangenehmen Turbulenzen bewahren? Entscheidet ein Gericht, dass die Grundstücke strafbar veräussert wurden, werden diese nämlich den Verkäufergesellschaften zurückgegeben. Tatsache jedenfalls ist: Ganze dreieinhalb Jahre seit Eingang der ersten Strafanzeige hat die Staatsanwaltschaft Sybille B. immer noch nie als Zeugin einvernommen. Das Gleiche gilt für den Architekten, dem ihr Bruder einen Rückkauf vorschlug.
Schon zweimal stellte die Staatsanwaltschaft ohne nähere Begründung die Einstellung des Verfahrens in Aussicht, was Sybille B. mit der Eingabe neuer Beweis vereitelte. Die Taktik der angezogenen Handbremse erstaunt. Die Strafprozessordnung verpflichtet die Untersuchungsbehörden nämlich, im Zweifelsfall Härte zu markieren und Anklage zu erheben - ein Gericht kann später die Angeklagten immer noch freisprechen. Die Staatsanwaltschaft teilte CH Media mit, es stehe ihr nicht zu, materiell-rechtliche Fragen zu einer rechtshängigen Strafuntersuchung zu beantworten. Und weiter: «Die Staatsanwaltschaft weist darauf hin, dass sie gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag unabhängig und unparteiisch arbeitet und einzig dem Gesetz verpflichtet ist.»
Das Zuger Obergericht rüffelte die Staatsanwaltschaft schon wiederholt, weil sie Ermittlungen zum krummen Millionendeal verweigerte - zum Beispiel im Fall Stimmrechtsvertreters. Das Obergericht sah einen hinreichenden Anfangsverdacht auf ungetreue Geschäftsbesorgung.
Und dass der Stimmrechtsvertreter bei der Wahl den neuen Verwaltungsratspräsidenten in Kauf genommen haben könnte, dass er zusammen mit Roland B. die Liegenschaften zu einem zu tiefen Preis verkauft. Auch die Analyse von Roland B.s Anwalt zu möglichen strafrechtlichen Folgen des Verkaufs nahm die säumige Staatsanwaltschaft erst auf Geheiss des Obergerichts zu den Akten. Diese sind mittlerweile umfangreich. Ein baldiges Ende der juristischen Auseinandersetzungen zeichnet sich nicht ab. Die Idylle am Ägerisee ist gestört. (aargauerzeitung.ch)
Dann noch die ganzen Verwaltungsräte, Stimmrechtsvertreter und Anwälte, die dabei mittmachen.