Welche Rolle hat man als Frau in der Schweizer Musikszene? Und wird man anders behandelt als Männer? Ja, finden Paula Scharrer (19) und Olivia Merz (19) von der Zürcher Band «Fräulein Luise». Während sie erste Erfolge feiern, an Festivals spielen und immer mehr Aufmerksamkeit bekommen, erleben sie immer wieder Momente, die sich falsch anfühlen.
Sie fragen sich: Geht es nur uns so? Muss man damit als Frau in der Musikszene einfach klarkommen? Oder erleben das auch andere Frauen in der Schweiz? Diesen und anderen Fragen gehen die beiden jungen Musikerinnen im watson-Podcast «Störfrequenz», produziert von Elephant Stories, auf den Grund. Mit watson sprechen sie über Konkurrenz unter Frauen, Sexismus und den Vorteil, aktuell eine junge Frau zu sein.
Im Podcast geht es viel um Sexismus, den auch ihr erlebt habt in den zwei Jahren, seit ihr Musik macht. Gab es Momente, wo ihr am liebsten wieder aufgehört hättet?
Olivia Merz: Nein, nicht deswegen.
Paula Scharrer: Doch, ich schon. Ich sage es auch am Schluss vom Podcast. Ich will nicht die Rolle der Frau in der Musik übernehmen, die vorne auf der Bühne steht. Wenn ich das aber nicht mache, kann ich keine Musik machen, dachte ich. Irgendwann merkte ich aber, ich kann einfach machen, was ich bis jetzt gemacht habe.
Gleich zu Beginn erzählt ihr von einem Bandcontest, wo ihr an einem einzigen Abend eine Häufung von sexistischen Sprüchen über euch ergehen lassen musstet. Auch da nicht?
O: Nein, das «grused» einfach.
P: Nein, das ist mehr peinlich für sie. Logisch ist da eine Wut.
O: Ich glaube, wir weiblich gelesenen Personen sind einfach abgehärtet gegenüber sexistischem Scheiss. Natürlich macht es etwas mit mir, weil es traurig ist. Aber es tangiert mich nicht in meiner Person.
P: Es entsteht vielmehr eine Wut, die einem Kraft gibt. Es hat uns damals angespornt, eine richtig geile Show abzuliefern, um weiterzukommen, danach abzusagen und ihnen aufzuzeigen, was falsch läuft. Wir dachten, so nehmen sie uns auch ernster.
Mit den Musikerinnen Big Zis und Gina Été sprecht ihr im Podcast über den Konkurrenzkampf unter Frauen. Kennt ihr das auch?
P: Ich kenne das nicht auf diese gleiche Art wie Gina oder Big Zis. Früher gab es in der Rapszene nur Platz für eine Frau. Das hat sich schon geändert.
O: Vielleicht ist es einfach weniger plakativ. Wenn es zwei Frauen hat, werden die nicht gegeneinander ausgespielt im Sinne von, welche ist besser oder schöner. Sondern du hast das irgendwo gelernt und dadurch spürst du diese Konkurrenz. Man vergleicht sich und damit ist irgendwo auch der Gedanke, dass es nicht für alle Platz hat.
Also habt ihr das Gefühl, es gibt für Frauen weniger Platz?
P: Nein. Aktuell sind es zwar weniger weiblich gelesene Personen. Aber ich denke, wenn sich genug den Raum nehmen und diesen auch wirklich für sich beanspruchen, hat es gerade jetzt recht viel Platz. Neue Erfahrungen und Perspektiven sind spannend. Vor allem weiblich-queere, non-binäre oder POC-Perspektiven sind noch so viel weniger ausgelutscht und darum auch interessanter. Aus diesem Grund glaube ich, wenn man die Kraft hat, sich durchzusetzen, stösst man auf sehr fruchtbaren Boden.
O: Es ist ein Vakuum. Es gibt so viele weisse Cis-Männer, die Musik machen. Darum hat es viel Platz für weiblich gelesene Personen. Um diesen Platz ist der Zaun aber viel höher als bei den Männern. Ich glaube, das ist das Problem.
Ist es aktuell nicht auch ein Vorteil, eine junge Frau zu sein?
O: Ich glaube, wir wären noch lange nicht da, wo wir jetzt sind, wären wir zwei Männer.
P: Aber vielleicht brauchen wir die Förderung mehr.
O: Ich glaube auch, dass diese Förderung, die wir im Moment im Vergleich zu viel bekommen, nötig ist, damit eine Veränderung passiert. Irgendwann gleicht es sich wieder an. Trotzdem wird uns nichts geschenkt, nur weil wir zwei junge Frauen sind. Wir müssen genauso hart arbeiten, wie alle anderen auch.
Frauen sind oft so sozialisiert, dass sie kritischer sind gegenüber ihrer geleisteten Arbeit, als Männer das sind. Kennt ihr das auch?
P: Das kenne ich sehr stark und habe es auch wieder gemerkt bei der Produktion dieses Podcasts. Ich habe ihn zum ersten Mal mit meiner Freundin in den Ferien gehört und habe die ganze Zeit nach Fehlern gesucht. Irgendwann meinte sie so: «Sei stolz auf dich. Ein Mann wäre es auch und fände es den geilsten Scheiss.»
O: Ich habe auch viel mehr Angst, den Podcast Männern zu zeigen als Frauen.
Wieso?
P: Weil du Angst hast, dass sie sich angegriffen fühlen.
O: Ja, angegriffen und auch irgendwodurch, belächelt zu werden. Ist bis jetzt überhaupt nicht passiert. Aber das ist eine grosse Angst von mir.
Im ganzen Podcast kommt nur ein Mann, Pablo Vögtli vom SRF Cypher zu Wort. Wieso ist er der einzige Mann?
O: Die haben sonst genug Platz. Klingt vielleicht böse, aber Männer bekommen so viele Plattformen. Und wieso sollten Männer etwas in einem Podcast sagen, wo es um die weibliche Erfahrung geht?
Wärt ihr manchmal gerne ein Mann? Ihr sagt das im Podcast sogar einmal.
P: Es wäre in gewissen Momenten sicher einfacher. Ich glaube, im Podcast sagen wir es in diesem Moment, wo du, Olivia, dich im Backstage umziehst. Es wäre sicher einfacher und man würde ernster genommen werden. Gleichzeitig, und vor allem nach diesem Podcast, bin ich zudem gerne eine Frau in der CH-Musikwelt. Weil es mir jetzt noch mehr Kraft gibt, das durchzuziehen, was ich will. Und weil ich diese «Sisterhood», den gegenseitigen Support, noch mehr spüre.
O: Ich glaube, es ist wieder in etwa die gleiche Frage wie «gleichzeitig raubt und gibt es mir Kraft». Wenn es dir Kraft raubt, wäre es viel angenehmer ein Typ zu sein. Wenn dir diese spezifischen Dinge passieren würden, kannst du dich wehren. Ich kann mich schon auch wehren. Aber ich werde halt weniger ernst genommen.
P: Ich wäre manchmal gerne körperlich weniger unterlegen. Wenn zum Beispiel ein Mann vor mir steht, der zwei Köpfe grösser ist als ich und ich hochschauen muss. Das macht schon etwas mit mir, das verunsichert mich. Zudem auf den privaten und Queerness-Aspekt bezogen: Ich müsste keine Angst haben, von einem Typen einfach verhauen zu werden.
Gibt es etwas, was ihr euch für eure Branche wünscht?
O: Mehr miteinander.
P: Ja, ganz fest mehr miteinander.
O: Konkurrenz ist so konstruiert eigentlich.
P: Gerade in der Musik. Es heisst ja eigentlich: miteinander Musik machen.