In einem Punkt ist sich die Fachwelt einig: Ist die Quagga-Muschel einmal in einem Gewässer angekommen, lässt sich deren Ausbreitung kaum mehr verhindern.
Deswegen war die Nachricht vom Dienstag auch ein Schock: Erstmals wurde die invasive Art im Zuger- und Alpnachersee – der in den Vierwaldstättersee mündet – entdeckt. Noch unklar ist momentan, ob auch der Ägerisee befallen ist. Die Proben hätten keine eindeutigen Ergebnisse geliefert, die Behörden würden darum die Hoffnung hegen, dass dies noch nicht der Fall sei.
Diese Hoffnung besteht für den Alpnacher- und Zugersee nicht mehr. Philip Baruffa, Gesamtprojektleiter Schiffsmelde- und Reinigungspflicht in der Zentralschweiz, sagt gegenüber watson:
Und da der Alpnachersee Teil des Vierwaldstättersees ist, «wird sich die Quagga-Muschel auch beim Vierwaldstättersee ungehindert ausbreiten können», so Baruffa.
Zusammen mit diesen drei (den Ägerisee nicht mitgezählt) sind gemäss dem Bund stand heute in mindestens neun Seen der Schweiz Quagga-Muscheln gefunden worden. Bereits betroffen waren:
Um die noch restlichen nicht befallenen Seen vor der invasiven Art zu schützen, haben mittlerweile etliche Kantone Massnahmen ergriffen, die über die Eigenverantwortung der Bootsbesitzerinnen und Bootsbesitzer hinausgehen.
So zum Beispiel in der Zentralschweiz. Hier wird demnächst eine Melde- und Reinigungspflicht (SMRP) für Schiffe eingeführt. Will eine Schiffsführerin oder ein Schiffsführer von einem Dritt-See in ein Gewässer der Zentralschweiz (Kantone Luzern, Obwalden, Nidwalden, Uri, Zug und Schwyz) einwassern, muss dies vorgängig auf einer kantonsübergreifenden Plattform gemeldet werden.
Die Schiffe werden dann durch Fachpersonen gereinigt – und diese Reinigung dann durch die Fachperson auch bestätigt –, «was das Risiko einer Verschleppung sehr stark reduziert», so Baruffa.
Mit der Meldung und dem erhaltenen Reinigungsnachweis wird eine Einwasserungsfreigabe erteilt. Wer ohne diese Bewilligung einwassert, macht sich strafbar. Diese Pflicht und das System greifen ab August, vorerst aber nur in den Zentralschweizer Kantonen.
Baruffa sagt: «Wenn wir es schaffen, schweizweit die SMRP einzuführen, kann jedes immatrikulierte Schiff zu jedem Zeitpunkt eindeutig einem Gewässer zugewiesen werden, wo dessen SMRP-Freigabe besteht.»
Um die weitere Ausbreitung zu verhindern, sei die konsequente Einhaltung der SMRP nötig. «Nur so kann es gelingen, die invasiven aquatischen Organismen durch die Reinigung abzutöten und eine Verschleppung zu vermeiden, wenn gleichzeitig der Gewässerwechsel von Freizeitschiffen beibehalten werden soll», sagt Baruffa.
Er gehe davon aus, dass sich weitere Kantone dem SMRP anschliessen werden. Interesse gezeigt hätten bisher St.Gallen, Zürich, Glarus, Thurgau und der Aargau. Der Kanton Bern wird sich voraussichtlich im Herbst 2024 dem System anschliessen.
Aber Baruffa sieht nicht nur die Kantone, sondern auch den Bund in der Pflicht. Er plädiert für einheitliche, schweizweite Massnahmen:
Dies sieht auch Roman Keller, Abteilungsleiter Jagd & Fischerei des Kantons Zug, so: «Die Problematik geht weiter als die Kantonsgrenzen. Es funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Es wäre viel einfacher, wenn der Bund einheitliche Massnahmen für die ganze Schweiz erlassen würde.»
Darauf angesprochen, bleibt der Bund aber vage. Er verweist auf seine Strategie aus dem Jahr 2016 zur Handhabung von invasiven gebietsfremden Arten. Damit diese Strategie aber umsetzbar ist, bräuchte es rechtliche Anpassungen und darum eine Revision des Umweltschutzgesetzes.
In einer Medienmitteilung anlässlich der Revision von 2019 schreibt er: «Für die Umsetzung der Massnahmen sind weiterhin die Kantone zuständig.» Allerdings sei der Bund für Massnahmen an der Landesgrenze sowie für die Festlegung und Koordination kantonsübergreifender und landesweiter Massnahmen verantwortlich, heisst es weiter.
Auf mehrmaliges Nachfragen von watson, ob der Fall der Quagga-Muschel nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundes falle, will man sich nicht konkret äussern.
Dabei sollte die weitere Verbreitung der Quagga-Muschel für alle Beteiligten oberste Priorität haben. Denn für die betroffenen Gewässer ist die invasive Art ein Desaster.
Das BAFU schreibt dazu: «Von den Great Lakes in Nordamerika weiss man, dass die Präsenz der Quagga-Muschel aufgrund ihrer Eigenschaften (Wasserfiltration, Veränderung der Struktur des Seebodens und der Ufer) einschneidende Folgen für das Ökosystem von Seen hat.»
Noch seien die Auswirkungen für die hiesigen Ökosysteme nicht bekannt. «Im Boden- und Genfersee zeigt sich aber, dass die Quagga-Muschel die Struktur der Ufer und des Seebodens bereits verändert hat», so das BAFU.
Und nicht nur die Natur könnte irreparable Schäden davontragen, auch für Menschen hat die Quagga-Muschel bereits spürbare Konsequenzen. Denn ist sie einmal in einem Gewässer angelangt, kann sie zu Verstopfungen in Rohren bei Wasserentnahmesystemen und Anlagen zur Wärme- und Kältenutzung führen. Die Kosten, um diese wieder zu reinigen, gehen in die Millionen, wie das Beispiel des Bodensees zeigt.
Weiter kann eine Ausbreitung dazu führen, dass sich die Quagga-Muschel an den Uferbereichen eines Sees flächendeckend ausbreitet. Wegen der scharfen Kanten der Muschel werden Menschen nicht mehr barfuss baden gehen können.
Wenn sich die Quagga-Muschel weiter so rasant ausbreiten wird, könnte dies auch bald am Vierwaldstättersee der Fall sein.