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Pharmachef: Versorgungssicherheit ist ein Problem in der Schweiz

Pharmachef warnt: «Die Versorgungssicherheit ist heute ein Problem in der Schweiz»

Der Preisdruck auf die Medikamente bremst die Produktion in der Schweiz. Das zeigt auch der Fall des Schweizer Pharmaunternehmens Ibsa. Deshalb hat es die Volksinitiative «Zur medizinischen Versorgungssicherheit» mitentwickelt, die am Donnerstag eingereicht wurde.
03.10.2024, 21:54
Florence Vuichard / ch media
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Knackst das Knie, gibt es Condrosulf. Täglich, für immer. Und da ziemlich viele Knie knacksen in der Schweiz, aber auch weltweit, ist die Nachfrage gross nach den weissen Tabletten, die aus der Küche eines der grössten inhabergeführten Pharmaunternehmens der Schweiz stammen. Seinen Sitz hat Ibsa im Tessin, unweit von Lugano. Von da aus verkauft es seine Medikamente über 20 Tochtergesellschaften und zahlreiche Vertriebsstellen in rund 90 Länder.

Das Medikament Condrosulf: In der Schweiz der «Blockbuster» aus dem Hause Ibsa.
Das Medikament Condrosulf: In der Schweiz der «Blockbuster» aus dem Hause Ibsa.Bild: zvg

Entwickelt und produziert werden die Medikamente grösstenteils im Tessin selbst und teilweise in China und Italien. Die Produktion im südlichen Nachbarland wurde seit 2015 ausgebaut, seit jenem Jahr also, als die Schweizer Nationalbank den Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken hat fallen lassen. Die Rechnung sei nicht länger aufgegangen mit den hohen Schweizer Produktionskosten und den tiefen europäischen Preisen, erklärt der Chef der Schweizer Einheit, Maleša Sidjanski, im Gespräch vor Ort.

Das Preisproblem treibt Sidjanski auch heute noch um. Die Herstellungskosten würden steigen, die Energie- und Rohstoffpreise würden teurer. «Doch das wird beim alle drei Jahre vom Bund auferlegten Auslandspreisvergleich nicht berücksichtigt.» Das wiederum habe Folgen für das Unternehmen: «Unsere Marge sinkt.» Und für das Land: «Die inländische Produktion ist gefährdet und damit auch die Versorgungssicherheit mit Medikamenten in der Schweiz.»

Maleša Sidjanski
Maleša Sidjanski, Chef von Ibsa Schweiz.Bild: Peter Klaunzer / KEYSTONE

Bereits 2016 hat Sidjanski deshalb eine Interessengemeinschaft gegründet mit gleichgesinnten Pharmaunternehmen in der Schweiz, ein Netzwerk, das den Kontakt während der Pandemie intensiviert und im Frühjahr 2023 gar eine Volksinitiative «Zur medizinischen Versorgungssicherheit» lanciert hat. Am Donnerstag wurde sie nun bei der Bundeskanzlei eingereicht. «Die Versorgungssicherheit ist heute ein Problem in der Schweiz», sagt Sidjanski. «Es fehlen bereits 1200 Medikamente.»

Mit der Initiative, die auch von der Ärzteschaft, den Apothekern und Patientenorganisationen unterstützt wird, soll der Bund unter anderem dazu verpflichtet werden, die «Erforschung, Entwicklung und Herstellung von wichtigen Heilmitteln in der Schweiz zu fördern», Vorräte zu halten und den Vertrieb und die Feinverteilung sicherzustellen.

Von 40 auf 3200 Mitarbeitenden

Aller Widrigkeiten zum Trotz: Ibsa will die Schweiz respektive das Tessin nicht verlassen. Hier sind die Wurzeln des Unternehmens, hier wohnt der mittlerweile 89-jährige Eigentümer und Verwaltungsratspräsident Arturo Licenziati, der zur Arbeit täglich ins Büro kommt. 1985 hat er die Firma Institut Biochimique SA mit rund 40 Leuten übernommen, heute zählt das Unternehmen rund 3200 Angestellte weltweit, 900 davon arbeiten im Tessin.

Und die Firma soll in Familienhand bleiben, die beiden Enkel arbeiten heute schon für Ibsa. Das freut auch Sidjanski. Er ist ein Ibsa-Urgestein, ist 1992 aus der Deutschschweiz zum Tessiner Pharmaunternehmen gestossen und seitdem geblieben. Das liegt am Erfolg des Unternehmens, das im Tessin Hunderte von Stellen geschaffen und «selbst während der Pandemie» nie jemanden entlassen hat, wie er erklärt. Und natürlich an der Kultur eines inhabergeführten Familienunternehmens.

Blick in die Ibsa-Produktion im Tessin.
Blick in die Ibsa-Produktion im Tessin.Bild: Beppe Raso

Insgesamt erwirtschaftet Ibsa einen Umsatz von knapp einer Milliarde Franken – etwa mit dem besagten Arthrosemittel Condrosulf, den Flector-Wirktstoffpflastern, die bei Verstauchungen, Prellungen und Muskelzerrungen Linderung versprechen, aber auch mit seinen Schilddrüsenpräparaten in Ampullen und Weichkapseln und den Fruchtbarkeitshormonen.

Und das Unternehmen will mehr. Es hat soeben die Produktionskapazitäten beim Hauptsitz ausgebaut. Heute laufen pro Jahr rund 7,5 Millionen Packungen übers Band der modernen Schilddrüsenhormon-Abfüllanlage, die auch die Auflagen der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA erfüllt. Das Potenzial liege bei jährlich über 9 Millionen Packungen, ergänzt Sidjanski beim Rundgang durch die Fabrik.

Bald sollen alle sechs Tessiner Ibsa-Produktionsstätten beim Hauptsitz zusammengelegt werden, in Pian Scairolo, dem Industrie- und Gewerbegebiet zwischen Lugano und Collina d'Oro. Hier «im Spreitenbach des Tessins», wie es ein Ibsa-Mitarbeiter formuliert, haben nebst Ikea, Jumbo und vielen Automarken auch zahlreiche produzierende Firmen ihre Ableger.

Der Bauplan jedenfalls steht schon, die Investitionen sind reserviert. «Wir gehören in Bezug auf die Investitionen zu den führenden Unternehmen im Tessin», sagt Sidjanski. Denn auch im Südkanton, der in der Deutschschweiz vor allem als Sonnenstube und Tourismusdestination wahrgenommen wird, ist die Industrie für rund einen Fünftel der Wirtschaftsleistung verantwortlich, und wie im Rest der Schweiz überflügelt auch bei der Tessiner Industrie die Pharma alle anderen. (aargauerzeitung.ch)

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74 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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recherchierenbitte!
04.10.2024 00:02registriert Mai 2023
Ich wohne an der Grenze und meine nächstgelegene Apotheke ist in Deutschland. Deshalb kaufe ich hin und wieder dort Medis.

Meine Erfahrung ist dass Produkte mit vergleichbarer Zusammensetzung zwischen der Hälfte bis zum Teil ein Viertel so viel kosten wie in der Schweiz.

Das ist schon krass.
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Joshzi
04.10.2024 02:35registriert September 2014
Da hilft nur eines: Endlich Parallelimporte zulassen. Das hilft gleich 2-fach. Einmal gegen diese überrissenen Preise und gegen diesen angeblichen Versorgungsengpass.
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chrissyl Baumgartner
03.10.2024 22:40registriert August 2022
Oh, die Marge sinkt? Bleibt nichts übrig für die armen, gebeutelten Aktionäre? Da muss natürlich der Schweizer mit seinem schmalen Portemonnaie über hohe Medikamentenpreise kräftig unterstützen, sonst verhungern die Investoren noch. Das darf nicht passieren, erst recht nicjt in der Schweiz!
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