Die gefürchtete RSV-Saison beginnt bald. Bereits ist im Ostschweizer Kinderspital ein erster Säugling hospitalisiert, der sich mit dem Respiratorischen-Synzytial-Virus infiziert hat. Nicht nur die Schweizer Kinderspitäler waren die letzten beiden Winter voll mit kleinen RSV-Patienten, die Infektionswellen gingen um die Welt.
«RSV ist die häufigste Ursache für Spitalaufenthalte von Säuglingen in den Wintermonaten. Letzten Dezember hatten wir zu gewissen Zeiten fast ausschliesslich Babys mit RSV auf der Station hospitalisiert», sagt die Infektiologin Anita Niederer-Loher vom Ostschweizer Kinderspital.
Während der Corona-Pandemie war es ruhig um das ansteckende Virus. Die Covid-Hygienemassnahmen verhinderten die Infektion der Kinder. Das RS-Virus wird nämlich meist über Tröpfchen und Aerosole durch Erwachsene und ältere Kinder verbreitet, die selbst nach einer Infektion in der Regel nur an einem Schnupfen leiden.
Anders sieht das bei Neugeborenen aus: Die infizierten Säuglinge bekommen Atemnot und können nicht mehr richtig trinken. Neben Fieber und Mittelohrentzündungen kommt es am häufigsten bei Kindern unter zwei Jahren zu Entzündungen und Schleimansammlung im Bereich der unteren Atemwege oder sogar zu Lungenentzündungen.
Deshalb erhalten die infizierten Babys im Spital Sauerstoff und je nach Schwere der Erkrankung eine Magensonde zur Flüssigkeitszufuhr. Einige Säuglinge erkranken auch schwerer und müssen auf der Intensivstation behandelt werden. Je jünger das Baby ist, desto grösser ist das Risiko einer schweren Erkrankung nach einer RSV-Infektion. Gefährdet sind alle Babys, auch die an sich gesunden.
Nun macht der Wirkstoff Nirsevimab den Eltern Hoffnung, der unter dem Namen Beyfortus verkauft wird. Dieser monoklonale Antikörper wird nach der Geburt in der ersten Lebenswoche gespritzt. «Beyfortus reduziert die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit RSV um etwa 80 Prozent», sagt Niederer-Loher. «Der Wirkstoff hat eine sehr gute Effektivität und ein ausgezeichnetes Sicherheitsprofil», bestätigt Deborah Wallrabenstein vom Kinderspital Basel.
Die Eidgenössische Impfkommission (Ekif) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) haben den Wirkstoff empfohlen, «weil Säuglinge im ersten Winter sehr häufig an einer RSV -Infektion erkranken. Und weil insbesondere in den ersten Lebensmonaten ein hohes Hospitalisationsrisiko besteht», sagt Christoph Berger vom Kinderspital Zürich.
Vor Beyfortus gab es schon einen ähnlichen Wirkstoff namens Synagis. Dieser wirkt allerdings nicht lange, muss deshalb fünf- bis sechsmal in einer RSV-Saison gespritzt werden. Zudem kostet jeder dieser Dosen über 1000 Franken. Angewendet wurde dieser deshalb nur für besonders gefährdete Säuglinge. Beyfortus muss dagegen lediglich einmal pro Saison gespritzt werden.
Nun wird zum ersten Mal schon im Spital eine Spritze verabreicht bei Kindern, die erst wenige Tage alt sind. Säuglinge, diewährend der RSV-Saison zur Welt kommen, wird kurz nach der Geburt Beyfortus gespritzt. Weil dann die Gefahr einer schwer verlaufenden Infektion hoch ist. Ist die Geburt zwischen April und September, wird der Wirkstoff erst zu Beginn der RSV-Saison gespritzt, die von Oktober bis März dauert.
Beyfortus hat in der EU bereits im November 2022 die Zulassung erhalten, in der Schweiz erst ein Jahr später. Die Schweiz hinkt hinterher, der RSV-Schutz für Babys steht bei uns noch gar nicht zur Verfügung. Immerhin ist inzwischen klar, dass die Krankenkassen die Kosten für diese «RSV-Impfung» übernehmen. Auch der Preis ist bekannt, die einmalige Dosis kostet 396 Franken. Die Kinderärzte und -ärztinnen hoffen darauf, dass ab Mitte Oktober die bei der Firma Sanofi bestellten Dosen in der Schweiz eintreffen.
«Die Nachfrage nach Beyfortus war sowohl in Spanien als auch in Frankreich sehr hoch», sagt Niederer. In diesen Ländern konnten bis zu 90 Prozent der Säuglinge immunisiert werden. Das zeige, dass die Akzeptanz der Eltern sehr hoch war, obwohl Frankreich generell ein eher impfskeptisches Land sei. In der Schweiz erwartet die Infektiologin in etwa dieselbe Akzeptanz der Eltern. Allerdings befürchtet sie, dass nicht genügend Dosen geliefert werden können und deshalb bald ein Mangel am Wirkstoff auch in der Schweiz möglich ist.
Einen Mangel gibt es bereits in Deutschland, wo Beyfortus seit Juni empfohlen ist. Der Lieferengpass daure noch mindestens bis zum 11. Oktober, erklärt die Pharmafirma. Für eine rechtzeitige Immunisierung für die kommende Erkältungssaison sei das wie ein Schlag ins Gesicht, sagt dazu ein Sprecher des deutschen Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte.
Die Infektiologin Niederer-Loher stört sich derweil daran, dass überall von einer «RSV-Impfung» zu lesen ist. «Es ist keine Impfung, sondern ein Antikörper, ein Medikament, das gespritzt wird», sagt die Oberärztin. Das macht einen Unterschied: Eine Impfung provoziert unser Immunsystem zu einer Abwehr. Mit einem Virusbestandteil im Impfstoff wird unser Körper zur Produktion von Antikörpern bewegt, welche bei Bedrohung das angreifende Virus bekämpfen können.
Beyfortus enthält dagegen bereits fertiggestellte Antikörper, die gespritzt werden. Diese monoklonalen Antikörper schützen Säuglinge sofort nach der Spritze. Denn die Antikörper neutralisieren bei einer Infektion die Viren direkt. Anders als bei einer aktiven Impfung, oder auch bei einer Infektion, muss das Immunsystem nicht erst selbst Antikörper herstellen. Das Baby ist somit sofort geschützt und nicht erst nach ein paar Tagen wie es bei einer Impfung der Fall ist.
Weil es eine Medikation und keine Impfung ist, fallen auch die symptomatischen Impfnebenwirkungen weg wie zum Beispiel Fieber. Beyfortus hat somit eine sehr gute Verträglichkeit, eine Rötung oder Schwellung an der Einstichstelle kann gegebenenfalls auftreten.
Es gibt aber auch eine aktive RSV-Impfung namens Abrysbo von Pfizer. Diese ist allerdings nur für ältere Personen und in anderen Ländern auch für schwangere Frauen zugelassen, aber nicht für Kinder. Weil im Seniorenalter das Risiko einer schwereren RSV-Erkrankung wieder ansteigt, zielt die Abrysbo-Impfung auf ältere Menschen. Sie kann indirekt aber auch Kleinkindern helfen.
«Die Idee bei der Impfung der Schwangeren ist dieselbe wie bei Keuchhusten oder Influenza. Die Mutter produziert nach der Impfung Antikörper und überträgt diese über die Plazenta an das Kind. In den ersten Lebensmonaten ist es deshalb vor einer schweren Infektion geschützt», sagt Berger. «Allerdings gibt es für die Impfung der Schwangeren mit Abrysbo diesen Winter noch keine Empfehlung der Ekif und keine Kostenübernahme durch die Krankenkassen.»
Soeben eine Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat der mRNA-Impfstoff mRESVIA von Moderna erhalten, der ebenfalls zum Schutz vor RSV-Infektionen für ältere Menschen gedacht ist. In der Schweiz prüft Swissmedic zurzeit das Zulassungsgesuch, eine Empfehlung gibt es dementsprechend noch keine. (aargauerzeitung.ch)