Das grösste Logistikzentrum der Versandfirma DPD in der Schweiz steht in einer Industriehalle in Buchs ZH: 80'000 Pakete rattern hier pro Tag über die Förderbänder. Ständig treffen neue Lastwagen ein, die meisten kommen direkt vom Flughafen Zürich-Kloten.
In der Halle aber herrscht heute nicht «business as usual». Zöllnerinnen und Zöllner in blauen Uniformen und gelben Leuchtwesten haben vor den Förderbändern einen Kontrollposten eingerichtet. Sie führen an insgesamt zehn Standorten gleichzeitig die grösste Kontrolle des Warenverkehrs in der Geschichte des Schweizer Zolls durch. Vierzig Personen stehen fünf Tage lang im Einsatz.
Über die Luftfracht kommen so viele Pakete in der Schweiz an, dass Kontrollen am Flughafen den Verkehr behindern würden. Deshalb fahndet der Zoll dezentral in den Logistikzentren der Speditionsfirmen nach illegalen Sendungen.
Der Zoll reagiert mit der Schwerpunktkontrolle auf den Boom des Versandhandels. In der Coronapandemie haben auch Leute, die sonst lieber im Geschäft einkaufen, die Vorzüge des Onlineshoppings kennengelernt. Gleichzeitig haben Plattformen aus Asien ihr Angebot ausgeweitet und ihre Transportketten beschleunigt.
Plattformen wie Temu, Shein oder Wish überschwemmen den Schweizer Markt seither nicht nur mit billiger, sondern auch mit illegaler Ware. Alles ist auf einen Klick bestellbar: illegale Waffen, Doping, Potenzmittel, Drogen oder Exotisches wie Haifischleberöl. Mit dem Black Friday am 29. November beginnt nun wieder die Hochsaison des Onlinehandels, die bis Weihnachten dauert.
Am Rand der Halle steht ein grauer Bus. Darin sitzt ein Zöllner vor einem Bildschirm. Im Sekundentakt tauchen neue Röntgenbilder auf. Damit schaut er in die Sendungen, die seine Kolleginnen und Kollegen durch ein Förderband in seinem Wagen laufen lassen.
Sie haben Paletten mit verdächtigen Sendungen für den Versand sperren lassen und kontrollieren nun, ob der Verdacht begründet war. Aus ermittlungstaktischen Gründen wollen sie nicht verraten, nach welchen Kriterien sie die Pakete herausfischen. Das Muster lässt sich allerdings auf dem Tisch mit den beschlagnahmten Gegenständen erkennen: Die meisten sind «made in China».
Die Farbe auf den Röntgenbildern verrät nur das Material. Doch der Zöllner vor dem Bildschirm sieht die meisten Gegenstände vor seinem geistigen Auge plastisch vor sich. Als kleine grüne Punkte auftauchen, sagt er: «Das sind billige Strasssteine.» Plastikperlen. Dann entdeckt er Fläschchen: «Das könnte Doping sein – oder eine chinesische Gesichtscreme.»
Eine DPD-Mitarbeiterin schneidet die Verpackung auf. Aus versicherungstechnischen Gründen darf der Zoll das nicht selber machen. Fehlalarm: Es sind nur Beautyprodukte. Sie klebt die Hülle wieder zu und schickt sie über ein Förderband zurück auf den Transportweg.
Doch nun taucht auf dem Bildschirm ein metallener Stab auf. Auch diese Sendung sieht auf den ersten Blick harmlos aus. Sie besteht aus einem Set von Schlüsselanhängern, speziell designt für eine feminine Kundschaft. Alle Anhänger sind lilafarben, einer ist mit Plüsch versehen.
Der verbotene Gegenstand ist für Laien nicht als solcher erkennbar: Er ist etwas länger als ein Kugelschreiber, vorne spitz zulaufend und in der Mitte mit vier Rillen für einen festen Griff versehen. Es ist ein Kubotan.
«Das ist ein gefährlicher Trend», sagt Tanja Brunner, Chefin des Zolls Zürich. Sie leitet den Einsatz. Die Kubotans machen mittlerweile die Mehrheit der beschlagnahmten Waffen aus, wie die Schwerpunktkontrolle zeigt.
Erfinder und Namensgeber war der Japaner Takayuki Kubota in den 1960er-Jahren. Er hat die Stichwaffe für Polizistinnen von Los Angeles entwickelt. Diverse asiatische Kampfsportarten verwenden sie zudem als Druckpunktverstärker. Die Kämpferinnen lernen dabei, welche Punkte am Körper des Gegners sie für welche Verletzungen treffen müssen.
Ein Kubotan ist allerdings nicht gefährlicher als ein Schraubenzieher oder eine Schere. Entscheidend ist aber der Verwendungszweck. Eine Waffe ist gemäss Schweizer Gesetz ein Gerät, das dazu da ist, Menschen zu verletzen – im Unterschied zu einem Werkzeug. Deshalb sind bestimmte Messer verboten, andere nicht. Und deshalb ist auch der Kubotan verboten. Sein einziger Zweck ist, jemanden zu verletzen.
Im Onlinehandel werden Kubotans zwar vor allem zur Selbstverteidigung angepriesen. Im Gegensatz zu einem Pfefferspray könne frau dieses Gerät unauffällig in der Hand halten und somit überraschend zuschlagen, heisst es in Werbetexten. Mit einem gezielten Schlag könnten damit auch körperlich überlegene Gegner ausser Gefecht gesetzt werden. Pfeffersprays, die nur Pfeffer enthalten, hinterlassen hingegen keine Verletzungen und sind deshalb in Fachgeschäften ab 18 Jahren ohne Waffenschein erhältlich.
Der Kubotan steht für eine Aufrüstung des Nachtlebens. Junge Männer haben vermehrt Klappmesser im Hosensack. Bei jungen Frauen baumelt öfter einer dieser metallenen Stifte am Schlüsselbund.
In der Schwerpunktkontrolle findet der Zoll fast 700 Sendungen mit illegalen Waren. Sie enthalten unter anderem 241 Medikamente, 79 Waffen und 71 Laserpointer. Hinzu kommen als Beifang 543 Markenfälschungen. Bei allen genannten Kategorien führt ein Land die Herkunftsliste an: China.
Im Mehrjahresvergleich stellt der Zoll schwankende Zahlen fest. Im einen Jahr werden zum Beispiel mehr Waffen beschlagnahmt, im nächsten wieder etwas weniger. Diese Angaben sagen allerdings wenig über den Onlinehandel aus, sondern mehr über die Personalsituation beim Zoll.
Die Schwerpunktkontrolle zeigt: Wer sucht, der findet. In den Jahren mit abnehmenden Fallzahlen fehlten dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit die Ressourcen für Paketkontrollen.
Hinter vielen illegalen Sendungen steckt allerdings keine böse Absicht. Zollchefin Brunner räumt ein: «Teilweise ist es für die Kunden schwierig zu erkennen, ob sie verbotene Produkte bestellen.» Ihr Team hat die einschlägigen Onlineplattformen nach illegalen Produkten durchsucht, um den Fokus der Schwerpunktkontrolle zu justieren, und viele irreführende Angaben in den Produktbeschreibungen gefunden. Bei Kubotans steht zum Beispiel oft, es handle sich auch nach Schweizer Gesetz nicht um Waffen.
Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Der Zoll beschlagnahmt die Waren und schickt diese den kantonalen Staatsanwaltschaften. Für die Strafverfolgungsbehörden haben sich die Paketkontrollen zu einem Massengeschäft entwickelt. Die grossen Staatsanwaltschaften stellen fast täglich Strafbefehle dazu aus. Das sind Urteile im Schnellverfahren, bei denen die Ermittler auch als Richter amten.
Soeben ist ein Strafbefehl der Aargauer Staatsanwaltschaft rechtskräftig geworden. Hans S. (Name geändert), ein 52-jähriger Mann aus Lenzburg, bestellte über die App Wish eine Luftdruckpistole und drei Teleskopschlagstöcke. Wish ist eine amerikanische Verkaufsplattform, die vor allem chinesische Billigprodukte vertreibt.
Der Zoll Zürich beschlagnahmte die Luftdruckpistole, weil sie als Imitationswaffe gilt. Sie ist verboten, weil sie mit einer echten Feuerwaffe verwechselt werden kann. Bei den Schlagstöcken handelt es sich um verbotene Waffen, die nur mit einer Einfuhrbewilligung gekauft werden dürfen.
Die Staatsanwaltschaft erledigte den Fall mit Textbausteinen. Hätte sich der Mann vorgängig über das Gesetz informiert, hätte er gewusst, dass er etwas Verbotenes bestellt. «Er hätte es somit vermeiden können, die besagten Waffen ohne Bewilligung in die Schweiz einzuführen», schreibt die Staatsanwaltschaft. Sie verhängt eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 30 Franken – unbedingt. Wenn der Mann die 1200 Franken nicht bezahlt, muss er 40 Tage ins Gefängnis. Hinzu kommen 2380 Franken Verfahrenskosten.
Hans S. ist dadurch finanziell ruiniert. Er lebt von einer 900-fränkigen IV-Rente und zahlt seine Strafe in Raten ab. Die Bestellung hatte nur 100 Franken gekostet. Er sagt: «Die Waffe habe ich als Geschenk für meinen kleinen Bub bestellt, die Stöcke zum Trainieren. Ich mache Kampfsport.» Zudem sei er Jäger und habe deshalb einen Waffenschein – allerdings nicht für Schlagstöcke.
Auf der Verkaufsplattform seien die Produkte als legal angepriesen worden. Hans S. hat aus dem Fall gelernt: «Ich bestelle nie mehr etwas auf Wish.»
Wer eine Waffe will braucht einen WES WaffenErwerbsSchein, oder eine Ausnahmebewilligung, klein oder gross, für verbotene Waffen und Waffenbestandteile. Wie umgebaute Halbautomaten, Vollautomaten, Schalldämpfer und dergleichen. Für Ausnahmebewilligungen muss ein Bedürfnis nachgewiesen werden.
Und das System ist gut so wie es ist. Danke Schweiz.
Überlegt euch besser was ihr wirklich braucht und informiert euch woher die Dinge kommen. Es gibt auch sehr viele schweizer Produkte die nicht viel teurer sind. Ausserdem bleibt so die Wetschöpfung auch im Inland.