Interne Streitigkeiten erschüttern die Reformierte Kirche der Schweiz. Der jüngste Akt im undurchschaubaren Drama: Gottfried Locher, Präsident der Exekutive der Reformierten Kirche, teilte am Mittwoch seinen sofortigen Rücktritt mit.
Weshalb der höchste Protestant den Bettel nach neunjähriger Amtszeit hinwirft, bleibt rätselhaft. In einer Medienmitteilung ist von einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit die Rede, «wegen eines Geschäfts», von dem der siebenköpfige Rat am 13. April erfuhr.
Der Sachverhalt sei nicht erstellt oder erhärtet und werde nun abgeklärt. Der «Tages-Anzeiger» berichtete, Locher würden «Grenzverletzungen» im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses vorgeworfen.
Ratsvizepräsident Daniel Reuter kommentiert die Mutmassungen nicht. Er verriet aber immerhin, es handle sich um einen Sachverhalt, der fast zehn Jahre zurückliege. Der Rat hat eine «spezialisierte Kanzlei» damit beauftragt, die Angelegenheit zu durchleuchten. Solange die Ergebnisse nicht vorliegen, will Reuter wegen des Persönlichkeitsschutzes nicht kommunizieren, welche Vorwürfe im Raum stehen. Klar ist nur: Ein Strafverfahren ist nicht hängig. Wann der externe Bericht erscheinen wird, ist noch offen.
Die Eskalation hat sich angekündigt. Am 24. April trat Pfarrerin Sabine Brändlin aus dem Nichts aus dem Rat zurück. Dieser teilte kryptisch mit, die Demission stehe im Zusammenhang mit einem «laufenden Geschäft».
Bei diesem Geschäft, also den Vorwürfen gegen Locher, sei «das zurückgetretene Ratsmitglied» wegen einer möglichen Befangenheit in den Ausstand getreten. Brändlin ihrerseits machte persönliche Gründe und unüberbrückbare Differenzen geltend. Brändlin betreute das Dossier Prävention von Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffen. Gemäss «Tages-Anzeiger» kümmerte sie sich um die Beschwerde im Zusammenhang mit Locher.
12 Pfarrerinnen und Pfarrer verlangten in einem offenen Brief Transparenz vom Kirchenrat. Einer davon ist Lars Syring, Pfarrer in Bühler AR. Er wisse absolut gar nichts über die Grenzverletzungen, und ob Locher überhaupt dafür verantwortlich sei. Er bedauert es, dass die nebulöse Kommunikation des Rats Spekulationen befeuert. Ein paar Lichtstrahlen könnte dieser am 15. Juni absondern. Dann wird er vor dem Kirchenparlament eine Interpellation mit Fragen zu Brändlins Abgang beantworten müssen. Reuter dämpft jedoch die Erwartungen. Bis Mitte Juni wird der externe Bericht kaum erstellt sein. Bis das nicht der Fall ist, wird der Rat den Mantel des Schweigens über die Affäre hüllen. Auch Locher und Brändlin sagen vorläufig nichts.
Michel Müller, der Präsident des Zürcher Kirchenrates und Mitunterzeichner der Interpellation, zeigte sich erleichtert über Lochers Abgang. Müller attestiert ihm viele gelungene öffentliche Auftritte. Dass er seine Geschäftstätigkeit nicht im Griff habe, habe er aber schon vor zwei Jahren kritisiert. Zudem gebe es Fragezeichen zu Lochers persönlichen Integrität.
Dafür ist der dreifache Familienvater selber verantwortlich, zum Beispiel wegen Aussagen zur Sexualität. In einem Buch sagte er: «Befriedigte Männer sind friedlichere Männer. Darum sage ich, wir sollten den Prostituierten dankbar sein.» Später formulierte er in einem Interview Bedenken gegen die zunehmende «Feminisierung» der Kirche. Carla Maurer, Pfarrerin an der Schweizer Kirche in London, berichtete derweil, Locher habe sie in einem Café in ein Gespräch über Sexualität verwickelt und erklärt, Männer müssten manchmal über Frauen herfallen, weil sie nun einmal eine aktiv-aggressive Sexualität in sich tragen würden und Frauen eine passive. Bei zahlreichen Pfarrerinnen kamen diese Aussagen schlecht an.
Locher geriert zudem in Kritik, weil er viel Geld für externe Krisenkommunikation aufwendete. Im Juni 2018 schaffte er aber gleichwohl die Wahl für eine dritte Amtszeit. Er setzte sich mit 43 zu 24 Stimmen gegen Herausforderin Rita Famos durch. (aargauerzeitung.ch)