Es ist paradox. Kaum etwas könnte dem Kampf gegen den Klimawandel weniger dienlich sein als Panzer mit Dieselantrieb, die ganze Landstriche zerstören. Und doch sind sie es, die der Schweiz mit der Wucht eines, nun ja, heranrollenden Panzers vor Augen führen, welch dringender Handlungsbedarf besteht.
Die Schweiz ist abhängig von russischem Öl und Gas. Ein Ausstieg ist nicht von heute auf morgen möglich – die Versorgungssicherheit könnte nicht gewährleistet werden. Prekär war die Lage aber bereits vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Denn die Schweiz muss aus den fossilen Energieträgern aussteigen. Gleichzeitig wird der Strombedarf bis 2050 um bis zu 50 Prozent steigen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz stuft eine nationale Strommangellage deswegen als die grösste Gefahr für die Schweiz ein.
Woher also nehmen und nicht stehlen?
Es werden immer mehr Stimmen laut, die die Antwort darauf in der Kernenergie sehen. Und so diskutierte man am Freitag in der SRF-«Arena» über eine mögliche Renaissance der Atomkraftwerke. Unter anderem mit folgenden Gästen:
Gleich zu Beginn der «Arena» ging es heiss zu und her. Zu verdanken hatte man das dem SVP-Nationalrat Christian Imark. Nach einigen eher freundlichen Sendungen ohne die wählerstärkste Partei der Schweiz beendete die SVP ihren «Arena»-Boykott und löste damit zumindest die akute Strommangellage im Studio 8.
Imark gab sich keine Blösse und feuerte in typischer SVP-Manier aus allen Kühltürmen. Niemand würde in der Schweiz Verantwortung im Energiebereich übernehmen. SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga wäre eigentlich zuständig dafür, doch wie alle anderen hierzulande (ausser der SVP notabene) würde sie das eigentliche Problem des Energiedilemmas nicht sehen: Die Schweiz muss nicht nur eine Alternative zum jetzigen Strombedarf finden, sondern bald in der Lage sein, bis zu 50 Prozent mehr Strom zu generieren. Und das gehe nur mit Atomkraftwerken.
Gegen die Einwände von SP-Nationalrätin Gabriela Suter, wonach man dies auch mit Photovoltaik-Anlagen tun könnte, entgegnete Imark, dass man den Strom rund um die Uhr brauche und nicht nur im Sommer. Auch mit Müller-Altermatt von der Mitte fing er gleich zu Beginn einen Streit an, weil dieser ihm vorwarf, dass die SVP den Fortschritt bei den erneuerbaren Energien seit Jahren verhindere und man sich deswegen überhaupt über potenzielle Strommangellagen Sorgen machen müsse. Antwort Imark: «Wir hatten bereits vor 15 Jahren zwei Projekte für zusätzliche Kernenergie geplant. Wenn wir diese ins Ziel gebracht hätten, dann hätten wir heute keine Probleme. Wir kommen von den fossilen Energieträgern nicht weg, weil wir keinen Strom haben und Sie sind dafür verantwortlich, Herr Altermatt!»
An Imarks Seite kämpfte Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl. Wären die beiden ein Atomkraftwerk, so wäre Rühl das Kühlwasser. Mit ruhiger, überlegter Stimme legte auch sie dar, wieso man nicht leichtfertig aus der Atomenergie aussteigen dürfe. Sie sprach sich allerdings gegen den Bau neuer Atomkraftwerke aus. «Funktionierende, sichere Atomkraftwerke sollten am Netz bleiben dürfen. Es geht einfach darum, die AKWs nicht leichtfertig abzuschalten.»
In etwas schwieriges Fahrwasser geriet sie beim Einzelgespräch mit Sandro Brotz. Der Moderator fixierte sie auf die Frage, ob die Schweiz aus russischem Gas aussteigen solle. Rühl wich der Frage damit aus, dass die Schweiz gar nicht alleine über ein Embargo entscheiden könne. Nur die EU könne Sanktionen verhängen, die Schweiz könne diese höchstens übernehmen. Ausserdem sei ein Ausstieg schlecht für viele Unternehmen hierzulande, da diese ohne russisches Gas nicht auskommen könnten.
Brotz hakte nach und fragte Rühl, ob die sterbenden Menschen in der Ukraine nicht schlimmer seien, doch diese blieb ihrer wirtschaftszentrierten Linie treu: «Ich weiss, dass dies eine schwierige Aussage ist, aber die Ukrainer haben nichts davon, wenn bei uns die Unternehmen stillstehen und die Lichter nicht mehr angehen.»
Auf der Gegenseite versuchte das Duo Suter/Müller-Altermatt, den glühenden Atombefürwortern Paroli zu bieten. SP-Nationalrätin Suter gelang das mehr schlecht als recht. Dabei konnte sie einem schon fast etwas leid tun. Sie kam zwar gut vorbereitet und machte einige überzeugende Punkte, doch es gelang ihr nicht, die Diskussion auf die erneuerbaren Energien zu lenken. Zu beschäftigt war sie damit, die ständig auf sie einprasselnden Vorwürfe zu verteidigen. Dabei liess man sie zeitweise nicht einmal ausreden. Das gipfelte darin, dass man ihr unterstellte, als Vize-Präsidentin von «Solarsuisse» befangen zu sein.
Suter wirkte zunehmend verzweifelt: «Mir sträuben sich alle Haare, wenn ich all diese Behauptungen über die Sicherheit von AKWs höre, ohne diese richtigstellen zu können.» Doch bevor sie ihre Richtigstellung beenden konnte, wurde sie wieder unterbrochen. «Jetzt kriegt er (Imark) wieder das Wort, ich finde das langsam etwas schwierig», beklagte sie sich enerviert. Anstatt ihr das Wort zurückzugeben, erteilte es Sandro Brotz kurzerhand Stefan Müller-Altermatt.
Dieser schaffte es im Gegensatz zu Suter wesentlich besser, sich zu behaupten. Was natürlich auch damit zusammenhing, dass er im Einzelgespräch mit Sandro Brotz nicht ständig unterbrochen wurde.
Kurz und knackig gelang es Müller-Altermatt, die ganze Palette an Pro-Argumenten für neue AKWs zu entkräften: «Die Fakten sind klar: Ein neues AKW käme zu spät, zudem wäre es ein Milliardengrab. Wir haben keinen Standort, wir haben keinen Erbauer, wir haben nicht einmal mehr Betreiber in wenigen Jahren.» Er rechnete vor, dass es 2050 werden würde, bis überhaupt ein neues Kernkraftwerk vollendet wäre. Sein Verdikt war deshalb klar: «Wenn wir jetzt auf irgendwelche neuen AKW-Technologien setzen, sind wir garantiert schlechter dran als mit erneuerbaren Energien.»
Unterm Strich erwies sich die gestrige «Arena» als äusserst unterhaltsam. Hätte man Christian Imarks Energie an diesem Abend speichern können, so wäre der Strombedarf für die Schweiz auch ohne AKWs für die nächsten Jahre gedeckt gewesen. Wenn er gerade nicht sprach, schrieb er frenetisch Notizen. Gegen Ende der Sendung hatte er mehrere Seiten voll. Auf jede Wortmeldung folgte postwendend der passende Gegenangriff. Oftmals zum Leidwesen von Gabriela Suter.
Moderator Brotz hätte seine Gäste etwas besser in Zaum halten können, doch auch er schien sichtlich Spass an der Action zu haben. Ob Atomenergie tatsächlich die Stromsorgen der Schweiz lösen kann, sei dahingestellt. Klar ist jedoch: Das «Arena»-Comeback der SVP ist geglückt.
Seit Fr. Leuthard den Ausstieg aus der Atomenergie beschloss, sind schon einige Jahre vergangen. Passiert ist aber nicht viel, keine Strategie, wenig Kommunikation.
Wir brauchen keine neuen AKW's, sondern einen vernüftigen Plan, wie die erneuerbaren Energien ausgebaut werden sollen.