Schweiz
Review

SRF-«Arena»: Haben Atomkraftwerke eine zweite Chance verdient?

Bild
BILD: SCREENSHOT SRF
Review

Atom-Imark treibt Gabriela Suter in der Strom-«Arena» an den Rand der Kernschmelze

Abhängigkeit von Russland und eine drohende Strommangellage: Beim SVP-Comeback in der SRF-«Arena» ging es um die Frage, ob Atomkraftwerke eine zweite Chance verdienen.
23.04.2022, 00:2023.04.2022, 12:23
Dennis Frasch
Mehr «Schweiz»

Es ist paradox. Kaum etwas könnte dem Kampf gegen den Klimawandel weniger dienlich sein als Panzer mit Dieselantrieb, die ganze Landstriche zerstören. Und doch sind sie es, die der Schweiz mit der Wucht eines, nun ja, heranrollenden Panzers vor Augen führen, welch dringender Handlungsbedarf besteht.

Die Schweiz ist abhängig von russischem Öl und Gas. Ein Ausstieg ist nicht von heute auf morgen möglich – die Versorgungssicherheit könnte nicht gewährleistet werden. Prekär war die Lage aber bereits vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Denn die Schweiz muss aus den fossilen Energieträgern aussteigen. Gleichzeitig wird der Strombedarf bis 2050 um bis zu 50 Prozent steigen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz stuft eine nationale Strommangellage deswegen als die grösste Gefahr für die Schweiz ein.

Woher also nehmen und nicht stehlen?

Es werden immer mehr Stimmen laut, die die Antwort darauf in der Kernenergie sehen. Und so diskutierte man am Freitag in der SRF-«Arena» über eine mögliche Renaissance der Atomkraftwerke. Unter anderem mit folgenden Gästen:

  • Monika Rühl, Direktorin Economiesuisse
  • Christian Imark, Nationalrat SVP
  • Gabriela Suter, Nationalrätin SP
  • Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat Die Mitte

Christian Imark, das personifizierte Atomkraftwerk

Gleich zu Beginn der «Arena» ging es heiss zu und her. Zu verdanken hatte man das dem SVP-Nationalrat Christian Imark. Nach einigen eher freundlichen Sendungen ohne die wählerstärkste Partei der Schweiz beendete die SVP ihren «Arena»-Boykott und löste damit zumindest die akute Strommangellage im Studio 8.

Imark gab sich keine Blösse und feuerte in typischer SVP-Manier aus allen Kühltürmen. Niemand würde in der Schweiz Verantwortung im Energiebereich übernehmen. SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga wäre eigentlich zuständig dafür, doch wie alle anderen hierzulande (ausser der SVP notabene) würde sie das eigentliche Problem des Energiedilemmas nicht sehen: Die Schweiz muss nicht nur eine Alternative zum jetzigen Strombedarf finden, sondern bald in der Lage sein, bis zu 50 Prozent mehr Strom zu generieren. Und das gehe nur mit Atomkraftwerken.

Gegen die Einwände von SP-Nationalrätin Gabriela Suter, wonach man dies auch mit Photovoltaik-Anlagen tun könnte, entgegnete Imark, dass man den Strom rund um die Uhr brauche und nicht nur im Sommer. Auch mit Müller-Altermatt von der Mitte fing er gleich zu Beginn einen Streit an, weil dieser ihm vorwarf, dass die SVP den Fortschritt bei den erneuerbaren Energien seit Jahren verhindere und man sich deswegen überhaupt über potenzielle Strommangellagen Sorgen machen müsse. Antwort Imark: «Wir hatten bereits vor 15 Jahren zwei Projekte für zusätzliche Kernenergie geplant. Wenn wir diese ins Ziel gebracht hätten, dann hätten wir heute keine Probleme. Wir kommen von den fossilen Energieträgern nicht weg, weil wir keinen Strom haben und Sie sind dafür verantwortlich, Herr Altermatt!»

Video: watson

Die Krux mit dem russischen Gas

An Imarks Seite kämpfte Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl. Wären die beiden ein Atomkraftwerk, so wäre Rühl das Kühlwasser. Mit ruhiger, überlegter Stimme legte auch sie dar, wieso man nicht leichtfertig aus der Atomenergie aussteigen dürfe. Sie sprach sich allerdings gegen den Bau neuer Atomkraftwerke aus. «Funktionierende, sichere Atomkraftwerke sollten am Netz bleiben dürfen. Es geht einfach darum, die AKWs nicht leichtfertig abzuschalten.»

«Die Ukrainer haben nichts davon, wenn bei uns die Unternehmen stillstehen und die Lichter nicht mehr angehen.»
Monika Rühl

In etwas schwieriges Fahrwasser geriet sie beim Einzelgespräch mit Sandro Brotz. Der Moderator fixierte sie auf die Frage, ob die Schweiz aus russischem Gas aussteigen solle. Rühl wich der Frage damit aus, dass die Schweiz gar nicht alleine über ein Embargo entscheiden könne. Nur die EU könne Sanktionen verhängen, die Schweiz könne diese höchstens übernehmen. Ausserdem sei ein Ausstieg schlecht für viele Unternehmen hierzulande, da diese ohne russisches Gas nicht auskommen könnten.

Brotz hakte nach und fragte Rühl, ob die sterbenden Menschen in der Ukraine nicht schlimmer seien, doch diese blieb ihrer wirtschaftszentrierten Linie treu: «Ich weiss, dass dies eine schwierige Aussage ist, aber die Ukrainer haben nichts davon, wenn bei uns die Unternehmen stillstehen und die Lichter nicht mehr angehen.»

Video: srf

Suter unter Dauerbeschuss

Auf der Gegenseite versuchte das Duo Suter/Müller-Altermatt, den glühenden Atombefürwortern Paroli zu bieten. SP-Nationalrätin Suter gelang das mehr schlecht als recht. Dabei konnte sie einem schon fast etwas leid tun. Sie kam zwar gut vorbereitet und machte einige überzeugende Punkte, doch es gelang ihr nicht, die Diskussion auf die erneuerbaren Energien zu lenken. Zu beschäftigt war sie damit, die ständig auf sie einprasselnden Vorwürfe zu verteidigen. Dabei liess man sie zeitweise nicht einmal ausreden. Das gipfelte darin, dass man ihr unterstellte, als Vize-Präsidentin von «Solarsuisse» befangen zu sein.

Suter wirkte zunehmend verzweifelt: «Mir sträuben sich alle Haare, wenn ich all diese Behauptungen über die Sicherheit von AKWs höre, ohne diese richtigstellen zu können.» Doch bevor sie ihre Richtigstellung beenden konnte, wurde sie wieder unterbrochen. «Jetzt kriegt er (Imark) wieder das Wort, ich finde das langsam etwas schwierig», beklagte sie sich enerviert. Anstatt ihr das Wort zurückzugeben, erteilte es Sandro Brotz kurzerhand Stefan Müller-Altermatt.

Video: srf

Dieser schaffte es im Gegensatz zu Suter wesentlich besser, sich zu behaupten. Was natürlich auch damit zusammenhing, dass er im Einzelgespräch mit Sandro Brotz nicht ständig unterbrochen wurde.

Kurz und knackig gelang es Müller-Altermatt, die ganze Palette an Pro-Argumenten für neue AKWs zu entkräften: «Die Fakten sind klar: Ein neues AKW käme zu spät, zudem wäre es ein Milliardengrab. Wir haben keinen Standort, wir haben keinen Erbauer, wir haben nicht einmal mehr Betreiber in wenigen Jahren.» Er rechnete vor, dass es 2050 werden würde, bis überhaupt ein neues Kernkraftwerk vollendet wäre. Sein Verdikt war deshalb klar: «Wenn wir jetzt auf irgendwelche neuen AKW-Technologien setzen, sind wir garantiert schlechter dran als mit erneuerbaren Energien.»

Video: srf

And the winner is ...

Unterm Strich erwies sich die gestrige «Arena» als äusserst unterhaltsam. Hätte man Christian Imarks Energie an diesem Abend speichern können, so wäre der Strombedarf für die Schweiz auch ohne AKWs für die nächsten Jahre gedeckt gewesen. Wenn er gerade nicht sprach, schrieb er frenetisch Notizen. Gegen Ende der Sendung hatte er mehrere Seiten voll. Auf jede Wortmeldung folgte postwendend der passende Gegenangriff. Oftmals zum Leidwesen von Gabriela Suter.

Moderator Brotz hätte seine Gäste etwas besser in Zaum halten können, doch auch er schien sichtlich Spass an der Action zu haben. Ob Atomenergie tatsächlich die Stromsorgen der Schweiz lösen kann, sei dahingestellt. Klar ist jedoch: Das «Arena»-Comeback der SVP ist geglückt.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Grösste Atom-Unfälle der letzten 25 Jahre
1 / 10
Grösste Atom-Unfälle der letzten 35 Jahre
6. April 1993: In der russischen Anlage Tomsk-7 werden durch einen Unfall grosse Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt. Auslöser war die Reinigung eines Reaktions-Gefässes mit Salpetersäure, was zu einer unkontrollierten Kettenreaktion führte.
quelle: globalsecurity.org
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Reaktion auf Atomtest
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
297 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
DARTH OLAF
23.04.2022 00:39registriert August 2018
Es ist halt schon mühsam mit dieser SVP in der Arena. Dass Atomstrom der günstigste ist und die endlagerung ein gelöstes Problem ist, ist schlicht gelogen. Zum 🤢
33295
Melden
Zum Kommentar
avatar
Daniel Pünter
23.04.2022 00:35registriert April 2021
Kaum ist die SVP wieder dabei, wird die Arena wieder unterirdisch. Das Gezänke der SVP ist kaum aushaltbar.
Seit Fr. Leuthard den Ausstieg aus der Atomenergie beschloss, sind schon einige Jahre vergangen. Passiert ist aber nicht viel, keine Strategie, wenig Kommunikation.
Wir brauchen keine neuen AKW's, sondern einen vernüftigen Plan, wie die erneuerbaren Energien ausgebaut werden sollen.
32896
Melden
Zum Kommentar
avatar
MAD?
23.04.2022 03:31registriert Juni 2021
Was ich nicht nachvollziehen konnte, warum haben die Grünen in dieser Runde gefehlt? Fand ich bei dieser Thematik etwas schade. Economiesuisse hat für meinen Geschmack übrigens deutlich zu viel Präsenz in der Arena. Ihre Interessen werden meist sowieso entweder von der SVP, FDP oder manchmal auch der Mitte vertreten.
8719
Melden
Zum Kommentar
297
Putin sagt «Grüezi», Köppel bettelt um ein Interview – so antwortet der Kreml-Chef
Weltwoche-Verleger Roger Köppel darf dem russischen Machthaber an einem öffentlichen Anlass eine Frage stellen. Der ehemalige SVP-Nationalrat lobt Putin dabei in den höchsten Tönen, sein Auftritt sei «fantastisch». Dessen Reaktion ist bemerkenswert.

Im Kreml war er schon: Diesen Sommer begleitete Roger Köppel, Weltwoche-Verleger und ehemaliger SVP-Nationalrat, den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán auf dessen umstrittener Reise nach Moskau.

Zur Story