Es war der dritte grosse Frauenstreik nach 1991 und 2019: Am 14. Juni gingen erneut weit über hunderttausend Menschen in den Schweizer Städten auf die Strasse. Doch diesmal, so wurde bereits im Vorfeld moniert, sei es anders. Diesmal hätten die linken Feministinnen und Feministen den Streik «gekapert» und ihn zu einer Demonstration für rein linke Anliegen verkommen lassen.
Stimmt das? Unter anderem dieser Frage wollte Moderator Sandro Brotz in der «Arena» mit vier Frauen in der ersten Reihe nachgehen. Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte-Frauen und «Arena»-Neuling, bekräftigt dabei den Vorwurf. Sie sei dem Streik in diesem Jahr ferngeblieben, weil «Extremforderungen» gestellt wurden. «Ihr wisst, dass ihr dadurch nicht nur die Bürgerlichen, sondern sogar die Mitte ausschliesst», wendet sich Bachmann-Roth, die ansonsten der Meinung ist, man hätte eigentlich genügend gemeinsame Themen, an ihre Gegnerinnen.
Dem widersprechen die Grüne Irène Kälin und Tamara Funiciello von der SP: Die Kollektive hätten vorher demokratisch diskutiert und gemeinsam über die Forderungen abgestimmt – man hätte die eigenen dort auch einbringen können. «Und wir hätten auch gemeinsam auf die Strasse gehen können, ohne dass wir in allem einverstanden sind», meint Kälin.
Es wäre eine durchaus interessante Diskussion, deren Grundlagen vielleicht gar nicht so weit auseinanderliegen – wäre da nicht Barbara Steinemann, die immer wieder den Rahmen dessen, was man zumindest als gemeinsam empfundene Realität beschreiben könnte, sprengte.
Frauen seien in der Schweiz «total gleichgestellt», meint die SVP-Frau. Die Diskussion um die Forderungen am Streiktag zeige ja gerade, dass den Feministinnen die Themen ausgegangen seien, weshalb man jetzt zu rein linken Appellen greifen würde. «Ihr kämpft fürs Klima, für mehr Lohn für weniger Arbeit und für eine Einheitskasse!», sagt Steinemann. Um den Punkt der längst erreichten Gleichstellung zu unterstreichen, fügt sie an:
Doch es war nicht einmal diese Aussage, die Tamara Funiciello zu der Aussage «Ich bin verstört» hinreissen liess. Nein, es war der Vorwurf ihrer Gegnerinnen, es ginge hier um «Extremforderungen». «Ich fordere, dass es genügend Schutzplätze für Frauen gibt, die Gewalt erfahren», sagt die Bernerin. «Ich fordere, dass es höhere Löhne gibt für Menschen in der Pflege.» Das seien keine «Extremforderungen».
Apropos Löhne: Mit der Diskussion um die Lohnungleichheit möchte Sandro Brotz den Realitätscheck Nummer zwei angehen: Gibt es sie nun oder nicht? Das Problem scheine oft zu sein, dass Äpfel mit Birnen verglichen würden. Erneut ist bei drei von vier Teilnehmerinnen die gemeinsame Basis zur Diskussion zu erkennen.
Tamara Funiciello sagt: «Wir müssen zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine ist: gleicher Lohn bei gleicher Arbeit. Und das andere: Typische Frauenberufe sind grundsätzlich schlechter bezahlt.»
Kälin sagt: «Wir müssen viel mehr über Lohntransparenz reden.»
Und Bachmann-Roth sagt: «Das Problem liegt oft bei der Erwerbsbiografie. Es fängt an, sobald die Frauen schwanger werden.»
Nur bei Steinemann ist die Realität erneut eine ganz andere: «Wenn Frauen wirklich schlechter bezahlt würden, würden Arbeitgeber ja nur noch Frauen einstellen.» Man wolle allen weismachen, dass das weibliche Geschlecht von Nord bis Süd, von West bis Ost in der Schweiz schlechter bezahlt würde.
Das kann Funiciello nicht stehen lassen: «Die Lohnungleichheit ist eine statistische Erhebung des Bundes.»
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Zum Schluss folgt Realitätscheck Nummer drei: die neue «Nein heisst Nein»-Regelung, die Reform des Sexualstrafrechts, die kürzlich vom Parlament beschlossen wurde. Moderator Brotz will wissen, was diese den Opfern bringt. «Für die Frau ändert das sehr viel», meint Bachmann-Roth, die ihren ersten «Arena»-Auftritt im Übrigen Performance-technisch höchst souverän erledigt. Die Reform sei übrigens ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit der Mitte mit den Linken. Lächeln bei Funiciello und Kälin.
Nur Steinemann lächelt nicht. Sie ist wütend. Funiciello hat zuvor nämlich erklärt, weshalb das Täterstrafmass, über das man sich im Parlament uneinig war, nur eine untergeordnete Rolle spiele. «Wichtig ist in erster Linie, dass überhaupt mehr Vergewaltigungen angezeigt werden.» Steinemann erwidert: «Ich glaube, ich höre nicht richtig.» Die SVP habe sich für eine härtere Strafe bei Vergewaltigung ausgesprochen, und gerade die Linken hätten sich dagegen ausgesprochen. Heute könne jeder dritte verurteilte Vergewaltiger als freier Mann und nur mit Geldstrafe wieder davonziehen.
Und dann äussert Funiciello einen bemerkenswerten Satz: «Wir müssen aufpassen, dass wir bei dieser Diskussion nicht in Populismus verfallen.» Ausgerechnet Tamara Funiciello, der man nicht selten selbst Populismus vorwirft, ist dabei immer wieder bemüht um eine faktenbasierte Diskussion. Sie sagt: «Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Strafmass und Prävention gibt.»
Dass sexuelle Gewalt Realität ist, war denn auch der kleinste gemeinsame Nenner in der Frauenrunde. Ansonsten war klar: Während für die einen die Gleichstellung längst erreicht ist und im Alltag «keine Diskriminierung» stattfindet, braucht es für andere weiterhin einen feministischen Streiktag. Die Frauenstreik-«Arena» förderte also nicht nur verschiedene Meinungen zutage, sondern gleich verschiedene Auffassungen der Realität.
In der freien Marktwirtschaft gibt es zum Glück den gleichen Lohn für gleiche Leistung. Somit kann z. B. auch jemand mit einer tieferen Bildung mehr verdienen (Informatiker) als jemand mit einem Hochschulabschluss (Kunsthistorikerin)
Leistung ist dabei ein Mix zwischen dem Wert der Tätigkeit (Was ist jemand bereit dafür zu zahlen) und der Effizienz. Der Bund wird aber die Leistung niemals richtig statistisch erfassen können, sondern nur die Arbeit und das ist ein Grundproblem der ganzen Debatte.