Stell dir sich vor, du wärst Richterin oder Richter und hättest es mit folgendem Fall zu tun. Vor dir sitzen vier junge Männer, die eine 16-jährige Bekannte einluden, zusammen Marihuana in ihrem Auto zu rauchen. Auf einem Parkplatz in einem Industriequartier begannen die Männer auf der Rückbank, die Frau zu küssen und überall zu berühren. Sie wehrte sich anfangs und sagte: «Nei, hör uff!» Doch die Männer machten einfach weiter. Einer sagte, dies sei doch nicht so schlimm, und er drang in sie ein. Ein anderer rief «schneller, schneller», und ein weiterer filmte das Geschehen mit seinem Handy.
Das Gericht muss folgende Konstellation berücksichtigen: Ein Mann beging die Tat, die anderen unterstützten ihn dabei. Sie handelten also mittäterschaftlich und werden alle wegen Vergewaltigung verurteilt.
Nun kommt für dich als Richterin oder Richter die schwierige Frage: Welche Strafen gibst du den vier Männern? Jetzt überlegst du vielleicht: 1 Jahr Gefängnis? 2 Jahre? 4 Jahre? 6 Jahre? Möglich wären bis zu 10 Jahre.
Der Fall ist nicht erfunden. Er stammt aus dem Thurgau und ist rechtskräftig entschieden. Das Urteil fiel allerdings ganz anders aus.
Die Täter mussten keinen einzigen Tag ins Gefängnis. Sie erhielten alle nur bedingte Freiheitsstrafen. Das bedeutet, dass sie eine Justizvollzugsanstalt nur dann von innen sehen werden, falls sie rückfällig werden.
Möglich ist dies, weil Freiheitsstrafen unter zwei Jahren in der Regel bedingt ausgesprochen werden, wenn ein Gefängnisaufenthalt nicht nötig erscheint, um die Täter von künftigen Delikten abzuhalten. Davon profitiert jeder dritte Vergewaltiger.
Diese Woche hat sich der Ständerat mit dem Problem befasst. Zur Diskussion stand, die Mindeststrafe für eine qualifizierte Vergewaltigung von einem Jahr auf mehr als zwei Jahre zu erhöhen. Damit wären bedingte Freiheitsstrafen nicht mehr möglich gewesen. Mit nur einer Stimme Unterschied kam der Ständerat jedoch zum Schluss, in diesem Punkt alles so zu belassen, wie es ist.
Die neue Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider wehrte sich gegen härtere Strafen. Ihr wichtigstes Argument ging so: Eine Verschärfung könnte dazu führen, dass weniger Verurteilungen gesprochen werden. In den meisten Fällen steht nämlich Aussage gegen Aussage. Die Gerichte müssen dann vor allem beurteilen, welche Erzählung glaubwürdig erscheint und welche nicht. Dabei könnten sie in Fällen mit schwieriger Beweislage eher von einem Schuldspruch absehen, wenn sie den Täter dafür zwingend ins Gefängnis schicken müssen.
Das Argument der SP-Bundesrätin überzeugt nicht. Denn in einem Gerichtsurteil gibt es keine Grauzone. Es gibt nur Schwarz oder Weiss. Schuldig oder unschuldig. Es darf deshalb nicht sein, dass eine Schuld eher anerkannt wird, falls damit nur eine milde Strafe verbunden ist. Die Justizministerin hat eine seltsame Vorstellung von der Justiz.
Im Ständerat war das aber kein Thema. Denn die Mindeststrafen sind nur ein Nebenaspekt in der Debatte zum Sexualstrafrecht. Im Vordergrund steht die Frage, wie ein Opfer seinen Willen ausdrücken soll («Nein heisst Nein» oder «Ja heisst Ja»). Es geht darum, das Recht an veränderte gesellschaftliche Normen anzupassen.
Die Politik sendet damit ein wichtiges Signal: Sex gilt heute nicht mehr als etwas, das man sich im Kampf erobert. Widersprüchlich ist aber, dass die Politik gleichzeitig auch signalisiert: Nicht jede qualifizierte Vergewaltigung ist so schlimm, dass der Täter ins Gefängnis muss. Ist das wirklich zeitgemäss?
Asmodeus
Jeder dritte ÜBERFÜHRTE Vergewaltiger.
Es gibt leider noch viel mehr Fälle in denen die Täter ungeschoren davon kommen.
du_bist_du
Bruno Wüthrich
Beim Strafmass geht es nicht darum, ob es zeitgemäss, sondern ob es angemessen ist. Es muss ja auch in einem Kontext stehen zu Strafen anderer Verbrechen (Mord, Totschlag). Um allerdings nur eine bedingte Strafe auszusprechen, müssten jedoch ganz spezielle Gründe vorliegen. Ob es solche Gründe gibt, vermag ich nicht zu beurteilen.
Generell stellt sich die Frage, ob Verbrechen gegen Leib und Leben im Vergleich zu Vermögensdelikten nicht zu milde beurteilt werden.