das ist meine erste 1.-August-Rede. Und wahrscheinlich auch meine letzte. Denn ich habe nicht vor, das morgenrötliche Strahlenmeer zu beschwören, den sich rötenden Alpenfirn oder gar die betenden Freischweizer.
Ich will mich auch nicht in wolkige Grundsatzdebatten zur Lage der Nation ergehen, nicht in wehleidige Weinerlichkeit und fatalen Fatalismus verfallen wie so mancher Leitartikler zum heutigen Bundesfeiertag. Wenn deren Ergüsse die Befindlichkeit jener Kreise reflektieren, die eine moderne und aufgeschlossene Schweiz anstreben – na dann gute Nacht!
Deshalb komme ich gleich zur Sache, werte Anwesende. Mich treibt eine Frage um: Welchen Platz soll die Schweiz in der Welt anno 2014 einnehmen? In einer Welt, in der alles drunter und drüber zu gehen scheint? In der uns auch «Freunde» wie Deutschland und die USA aufs Dach steigen?
Die Versuchung ist gross, sich in unser gut gepolstertes Schneckenhaus zu verkriechen. Nur nichts zu schaffen haben mit den Übeln dieser Welt. Igeln wir uns ein, schotten wir uns ab. Uns geht es gut, was kümmern uns die Probleme anderer? Neutralität ist schön, Neutralität ist populär.
Kann unser reiches, hoch entwickeltes Land wirklich so tun, als ginge uns das alles nichts an? Der Rest der Welt wird uns das nicht einfach so abkaufen. Man wird nicht wegsehen, wenn wir weiterhin Geschäfte mit Russland machen, während Europa und die USA Sanktionen ergriffen haben, die auch ihnen selbst weh tun. Das Thema Steuerflucht ist auch nicht ausgestanden. Wie lange schauen die anderen noch zu, wie wir ihnen Firmen und gute Steuerzahler abluchsen?
Liebe Landsmänner und Landsfrauen, manchmal wundere ich mich schon über unseren Hang zur Nabelschau. Unsere Unfähigkeit, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.
Wir sind das reisefreudigste Volk der Welt. Ich weiss es, ich habe schon an den seltsamsten Orten plötzlich Schweizerdeutsch gehört. Aber oft habe ich den Eindruck, die Schweizerinnen und Schweizer reisen ins Ausland, um sich zu überzeugen, dass es zu Hause eben doch am besten ist. Und sie sich schon bei der Abreise wieder auf den Heimflug freuen.
Heimweh war einst bekannt als Schweizer Krankheit, in jenen Zeiten, als wir noch nicht als Heimat des Roten Kreuzes bekannt waren, sondern für den Export besonders blutrünstiger Söldner.
Heute tun wir uns schwer mit dem «Import» von Menschen. Und damit meine ich nicht die skandalisierte Asylpolitik. Sondern die Zuwanderung, das derzeit vielleicht wichtigste Thema im Land. Ich habe mich vor der Abstimmung vom 9. Februar kritisch zur Personenfreizügigkeit geäussert. Was mir prompt den Vorwurf der SVP-Nähe eingebracht hat.
Ich habe der Initiative nicht zugestimmt, sondern leer eingelegt. Und auch nicht unbedingt auf ein Ja gehofft. Man kann mich dafür als naiv verspotten. Aber inzwischen bin ich über das Resultat nicht einmal unglücklich. Es zwingt uns, endlich den Problemen ins Auge zu schauen, die mit der Zuwanderung entstanden sind. Oder es würde uns dazu zwingen, denn noch immer neigen die Eliten aus Politik und Wirtschaft dazu, diese zu verharmlosen und herunterzuspielen.
Der 9. Februar zwingt uns auch dazu, unser Verhältnis zur Europäischen Union zu überdenken. Mit ihr stecken wir ohnehin in einem schwierigen Rank. Die EU will uns in einem Rahmenabkommen faktisch einbinden, ohne dass wir mitreden können. Und uns ihrer Gerichtsbarkeit unterstellen. Selbst die glühendsten EU-Freunde müssen sich fragen, ob das ein Zustand ist, der eines stolzen und souveränen Landes würdig ist.
Für Christoph Blocher und seine publizistischen Lautsprecher ist der Fall klar: Wir brauchen die EU nicht! Wir können ohne die bilateralen Verträge auskommen. So wie Kanada, Australien oder China. Die machen auch ohne Bilaterale gute Geschäfte mit Europa.
Wir sind von Europa umzingelt, und das ist nicht nur ein Schönheitsfehler. Klar, über die technischen Handelshemmnisse könnten sich die Unternehmen wohl untereinander einigen, da hat Blocher vermutlich recht. Aber was ist mit Dublin? Gerade SVP-Politiker beziehen sich lautstark auf dieses Abkommen, wenn es um abgewiesene Asylbewerber geht.
Wenn wir uns abkoppeln, müssten wir konsequenterweise auch die Teilnahme an Schengen/Dublin aufkündigen. Die Schweiz würde zu einem Magneten für Asylbewerber aus ganz Europa, deren Gesuch abgelehnt wurde. Einfach an der Grenze zurückschicken, wird die SVP fordern. Aber werden unsere Nachbarländer das akzeptieren?
Und da wäre noch der Transitverkehr. Er ist mit dem Landverkehrsabkommen geregelt. Die EU hat darin unsere LSVA akzeptiert, wir im Gegenzug die 40-Tönner. In der EU verkehren aber bereits Euro-Lastzüge bis 60 Tonnen. Ohne Vertrag werden die ruckzuck an unserer Grenze auffahren. Wir können sie dichtmachen. Im Gegenzug könnte Deutschland seinen Luftraum für den Verkehr von und zum Flughafen Zürich sperren. Und unser Land kann man notfalls auch umfahren.
Ohne Bilaterale werden wir nachgeben und unsere Strassen für die 60-Tönner öffnen müssen. Die drei Neat-Röhren, die wir aus eigenem Antrieb für fast 20 Milliarden Franken in den Fels gebohrt haben, werden niemals ausgelastet sein. Und niemals rentieren.
Aber meinetwegen, versuchen wir es. Koppeln wir uns ab von der EU, verkriechen wir uns ins Schneckenhaus. Wir werden sehen, was dabei rauskommt. Schneckenhäuser haben dünne Wände.
Wenn es schief läuft, dann kommt nicht zu mir und jammert, weil uns nur eine Option bleibt: Der Vollbeitritt zur Europäischen Union. Wir hätten es wissen können.
Aber eben: In des Himmels lichten Räumen kann ich froh und selig träumen!