Er stand neben mir im Zug, wegen der vielen Leute gerade so nah, dass ich ihn gut betrachten konnte. Dass ich sah, wie enorm sein Bizeps war, und wie nah dran dieser war, den Ärmelbund seines T-Shirts zu sprengen.
Er sah gut aus, der Oberarm und der Mann, an dem er dran war. Ein Gesamtkunstwerk, muskulöse Vollendung gar, man musste dabei auch gar nichts erahnen, alles war so schön offenbar, drückte sich mit plumper Verführungskraft durch die Enge des Stoffs, auf dass sich die Linien, die Wölbungen, die formschönen Päcklein darauf in aller Schärfe abzeichneten.
Ganz in diese makellose Körperlandschaft versunken, fuhr ich weiter, bis ein Ruckeln unser Abteil erfasste, ausgelöst durch eine etwas ruppige Tunneleinfahrt oder Ähnliches, eine zage Erschütterung bloss, doch fuhr sie in uns wie ein Blitz, durchwellte alle Köpfe, Rümpfe und Beine gleichzeitig, als wären wir ein Leib, an unsichtbaren Fäden hängend, schicksalshaft vereint für einen letzten Tanz.
Als jene unheilvolle Kraft von uns abliess, im Moment der Befreiung jedoch, zerfielen wir sogleich in die Einzelwesen, die wir immer waren.
Und da stand er noch immer, der Berg von Mann, aber er war nicht mehr schön. Das kleine Beben hatte ihm zu schaffen gemacht, hatte seine ganze gigantische Muskelmasse erfasst, und ihn schier umgeworfen. Er hatte ihm nichts entgegenzusetzen ausser seiner masslosen Trägheit. Und so schaffte er es in peinigender Not bloss noch, die Türstange zu umklammern, die ihn aus seiner haltlosen Ohnmacht zog.
Das Gerüttel hatte ihn besiegt. Und er wusste es.
Ich sah ihn an, den vorher so rege bestaunten Koloss, und er wurde zu dem, was er wirklich war: ein Scheinberg. Ein zweckentfremdetes Lügengebilde.
Wer will schon einen Berg besteigen, der keinerlei Halt bietet? Was sollen derart aufgeblasene Arme, wenn darin keinerlei Kraft wohnt? Wozu hat man Muskeln, wenn sie dem Körper nicht mehr dienen können?
Wenn sie Bewegung verhindern, statt sie zu ermöglichen?
Wie will man durchs Leben kommen, wenn man nicht mehr fähig ist, auf ein lächerliches Ruckeln, eine spontane Krafteinwirkung von aussen mit einer knackigen Kniebeuge zu reagieren?
Im «Bachelorette»-Universum, in dem ein Personal Trainer bei Larissas Sport-Challenge nur 13 Liegestütze schafft, mag dies normal sein. Aber draussen, in der echten Welt?
«Da gibt's Menschen, die können sich vor lauter Muskeln kaum mehr selbst den Arsch abwischen – nur noch mit Schwung», sagt Toggi, der neben mir sitzt.
«Himmelherrgott. Was für eine Welt!», sage ich.
«Es ist die, in der mein Lieblingsschoggidrink aus dem Coop-Regal verdrängt wird von diesen Proteinbombengesöffen!», sagt Dani Huber, der neben Toggi sitzt.
Dann holt er aus, um in gewohnt apodiktischer Manier jene Fit-Shakes als sichere Zeichen des drohenden Untergangs zu werten. Und vielleicht hat er recht.
Vielleicht ist diese Welt wirklich dem Untergang geweiht. Hier gaukeln dir metallic-glänzende Plastikbehälter vor, dich nach Schluck 1 unverzüglich in Terminator zu verwandeln.
All diese leeren Versprechungen für noch leerere Muskeln.
Mit denen kann man keine verdammte Apokalypse überleben!
All diese leeren Reden vom Mann als Beschützer. Wie wollt ihr denn die Bachelorette beschützen mit euren plumpen Blasebalg-Körpern?
Wollt ihr euch einölen und damit die Atombombe blenden?
Bleibt zu hoffen, dass der Untergang sich noch ein bisschen hinzieht. Zumindest so lange, bis die Herren den Ausgang aus ihrer selbst verschuldeten Schwerfälligkeit gefunden haben.
Auf dass jeder Mensch fähig wird, seinen eigenen Dreck wegzuwischen.
Für mich gibt's fast nichts, was ich sexier finde an einem Mann als echte Muskeln (okay vielleicht noch Intelligenz und schöne Augen😉)
Also Muskeln, die durch harte Arbeit (z.b.auf dem Bau, in der Landwirtschaft...) entstanden sind. Muskeln die auch einen Zweck erfüllen.
Muskeln die nach harter Arbeit zwangsläufig entstehen und nicht herangezüchtet sind. Die sehen dann aber auch viel natürlicher aus🤷♀️