Die rot-weissen Snackautomaten von Selecta gehören vielerorts praktisch zum Inventar. Seit Jahren stehen sie stoisch da und bieten Energydrinks, Kaugummis und Kondome in ihren Regalen an. Doch bei der Firma selbst geht es seit längerem drunter und drüber.
Dies hat nicht zuletzt mit Unternehmenschef Christian Schmitz zu tun. Der Deutsche wurde auf Geheiss der Inhaberin, der Private-Equity-Gesellschaft KKR, an den Hauptsitz in Cham ZG entsandt, um die schlingernden Selecta-Umsätze auf Vordermann zu bringen. Schmitz, unterstützt von seinem Mentor, der Wall-Street-Legende Joe Plumeri, baute radikal um, schaffte Stellen ab und lancierte eine neue Firmenkultur, die für Kritik sorgte.
Ende 2023 kamen Gerüchte auf, Selecta solle verkauft werden, dies, nachdem der geplante Börsengang abgeblasen worden war – nicht zuletzt aufgrund der hohen Schuldenlast von über einer Milliarde Franken. Eine Bank wurde laut CH-Media-Recherchen für den Prozess bereits engagiert. Doch vergangenen Frühling liess Schmitz dann plötzlich verlauten: «Es gibt keinen Verkaufsprozess.»
Laut Insidern hatten zuvor mehrere potenzielle Käufer die Segel gestrichen und Selecta als schwer verdaulichen Brocken für ihre eigene Strategie eingestuft. Auch Coop-Chef Philipp Wyss machte öffentlich keinen Hehl daraus, dass er sich nicht für einen Kauf der Partnerfirma interessieret. Zusammen mit Selecta bietet Coop Firmen Snackecken in Büroräumlichkeiten an. Auf dieses Konzept – auch ohne Coop – setzt Selecta stark.
Doch nun sind wieder Gerüchte in der Branche zu hören. Gemutmasst wird, dass Schmitz derzeit die Weichen stellt für einen neuen Anlauf, mit neuer Strategie. Anlass für die Spekulationen sind neue Chef-Ernennungen und neue Strukturen, die Selecta in den vergangenen Tagen durchgeführt hat.
So wurde vergangene Woche mit Beat Welti ein neuer Chef für das Schweizer Geschäft verkündigt. Er folgt auf Frank Keller, der im Frühling Selecta verliess. Weshalb es zu seinem Abgang kam, beantwortete Schmitz nicht. Stattdessen sprach er von einer freundschaftlichen Veränderung. Und er übernahm Kellers Job gleich selbst. «Es wird kein Nachfolger gesucht», sagte Schmitz. «In der Doppelrolle habe ich die tolle Situation, sowohl strategisch als auch operativ involviert zu sein und damit die Umsetzung in unserem grössten Geschäft direkt mitzuverfolgen.»
Nun kommt es also zur Kehrtwende mit der Anstellung von Welti als neuem Leiter des wichtigen Heimmarkts. Er bringe eine grosse Expertise aus der Konsumgüterbranche mit, heisst es in der Medienmitteilung. So habe er früher bei Firmen wie Lindt, Mars, Migros, Unilever und Bofrost gearbeitet.
Welti ist nicht die einzige neue Personalie. Wie das Branchenportal «Food & Coffeemarkets» Ende Dezember berichtete, wurde eine neue Einheit Italien-Frankreich-Spanien erstellt und mit Jean-Christophe Bugeon ein Chef dafür ernannt. Zuvor leitete er nur den Markt Frankreich.
Auf Linkedin gab derweil Selecta-Manager Paul Hearne bekannt, dass er neu die Leitung der Selecta-Einheit «Europe North Region» übernehme. Dazu gehören die Märkte Grossbritannien, Irland, die er bereits führte, und Skandinavien. «Das sieht alles nach einem schönen Päckchen aus, das aufgeteilt werden könnte», lautet das Fazit eines Branchenkenners.
Fakt ist, dass es Selecta und Schmitz nicht wie nach Wunsch läuft, wie die Zahlen des dritten Quartals Anfang November zeigten. Die Snackautomatenfirma erwirtschaftete 5,8 Prozent weniger Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal. Der bereinigte Betriebsgewinn vor Abschreibungen und Amortisationen (Ebitda) schrumpfte gar um knapp einen Drittel Prozent auf 43,3 Millionen Euro. Damit sank auch die bereinigte Ebitda-Marge deutlich. Als Grund nennt die Firma einmalige Aufwendungen im Zusammenhang mit «notwendigen Investitionen». Die Liquidität schrumpfte auf nur noch 76 Millionen Euro. «Das wird brenzlig», lautet der Kommentar eines Insiders dazu.
Wenige Tage später danach folgte, was manche Industrievertreter schon vorher antizipiert hatten: Selecta-Verwaltungsratspräsident Joe Plumeri, 81, kündigte an, sein Amt per Ende 2024 abzugeben und sich in den Ruhestand zu verabschieden. Marc van der Plas, Mitglied des Verwaltungsrats und Ex-KPMG-Manager, übernimmt die Position – allerdings als sogenannter Non-executive Chairman und nicht wie Plumeri als executive Chairman, also als Präsident mit operativer Verantwortung.
Der Kurs des Selecta-Bonds, also der festverzinslichen Anleihe, ist seit den Quartalszahlen regelrecht abgestürzt. Pro Euro gab der Bond gemäss Kurs am Montag gerade noch knapp 30 Cent her. Solche Einbrüche bei Darlehen bedeuten gewöhnlich, dass die Investoren nicht mehr daran glauben, dass sie all ihr Geld zurück erhalten. Und gemäss Branchenvertretern gab es in den vergangenen Wochen seitens Selecta teils Zahlungsverzüge gegenüber Lieferanten.
Und was sagt Selecta zu den Gerüchten, wonach sich die Firma möglicherweise auf einen Break-up der neuen Einheiten vorbereitet? Was sagt sie zur desaströsen Kursentwicklung und zu den angeblichen Zahlungsverzügen? Nichts. «Ausserhalb der Quartalsberichterstattung können wir keine Auskunft zum Geschäftsgang geben und wir kommentieren Marktgerüchte oder Spekulationen im Allgemeinen nicht», sagt Sprecherin Sigrun Wähner.
Allerdings: Eine am Montag publizierte Meldung zeigt, dass Selecta Geld nötig hat. Darin schreibt die Firma, man habe sich zusätzliche Liquidität gesichert in Form eines 50-Millionen-Euro-Darlehens von aktuellen Teilhabenden. Von wem genau und ob auch KKR dazu gehört, wird nicht erwähnt. Damit sei das Unternehmen für den zukünftigen Erfolg aufgestellt. Zudem habe man eine Verlängerung der Zinsfrist für bestehende Darlehen erhalten. Und: Man führe konstruktive Diskussionen mit Investoren, um Refinanzierungsoptionen zu evaluieren.
Selecta, 1957 in der Schweiz gegründet, erzielte im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 1,4 Milliarden Franken. Jeden Tag werden laut eigenen Angaben mehr als 10 Millionen Kundinnen und Kunden in 16 Ländern Europas mit Kaffee, Getränken, Snacks und Mahlzeiten bedient. Zuletzt zählte die Firma 6000 Angestellte.
Ein Blick nach Japan genügt allerdings, um zu sehen dass man keine Kioskpreise an einem Automaten verlangen muss. Dort stehen duzende Automaten in Reih und Glied und bieten einem günstige Erfrischungen (oder heisse Suppen) für faire Preise.