Damit hat kaum jemand gerechnet: Mitten in der grössten Krise der Luftfahrt, nimmt Swiss-Chef Thomas Klühr den Hut. Per Ende Jahr tritt er ab, wie die Airline in einer Medienmitteilung bekannt gibt. Der Verwaltungsrat habe der Bitte des 58-Jährigen mit grösstem Bedauern entsprochen, man respektiere aber Entscheid und Klührs «private Gründe».
Und auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr ist voll des Lobes: Während mehr als drei Jahrzehnten habe Klühr auf in verschiedenen Rollen den Konzern mitgeprägt. «Nicht nur in Deutschland und in der Schweiz, sondern in der gesamten Luftfahrtindustrie verdient Thomas Klühr höchstes Ansehen.»
Was die privaten Gründe für den Rücktritt sind, sagt die Swiss nicht. Jemand, der Klühr nahesteht, sagt jedoch, dass sich der Franke schon seit längerem Gedanken gemacht habe, früher in Pension zu gehen oder nochmals etwas Anderes anzupacken. «Wer ihn kennt, hat mit diesem Schritt also rechnen können», sagt der Insider.
Im Communiqué schreibt die Swiss denn auch, dass Klühr seinen Rückritt eigentlich bereits für Anfang dieses Jahres geplant hatte. Nach Abzeichnen der Coronakrise habe er diesen aber zurückgeschoben, um die Swiss durch die heisse Phase zu steuern.
Die heisseste Phase mit dem weltweiten Grounding der Airlines mag vorbei sein. Doch es stehen schwierige Monate bevor. Die Buchungszahlen erholen sich nicht wie erhofft. Und die Verhandlungen mit den Gewerkschaften sind am Laufen. Während mancherorts zu hören ist, dass die Gespräche konstruktiv verlaufen würden und bis Ende Jahr abgeschlossen sein sollten, ist andernorts von äusserst divergierenden Positionen die Rede.
Die Gewerkschaft SEV-GATA, welche das Swiss-Bodenpersonal vertritt, kündigte am Dienstag an, die auf Mittwoch angesetzten Verhandlungen mit der Swiss abzusagen. Die Swiss sei den geforderten Nachweis schuldig geblieben, dass Kostensenkungen aufgrund ihrer Verträge mit dem Bund zwingend sind. Der Bund bürgt für Bankkredite in der Höhe von 1.3 Milliarden Franken, welche der Swiss das Überleben sichern sollen.
«Den CEO in der Krisenzeit auszuwechseln wirft – bei allem Verständnis für die privaten Gründe von Thomas Klühr – Fragen auf», sagt Philipp Hadorn, Präsident von SEV-GATA. «Wir machen uns Sorgen um die Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen der Swiss-Mitarbeitenden und fordern von der Swiss-Leitung, dass sie für deren Erhalt weiterhin ihr Möglichstes tut.»
Auf dem Spiel stehe nicht «nur» die Zukunft der Swiss-Mitarbeitenden, sondern auch die Aufrechterhaltung systemrelevanter Strukturen des Schweizer Luftverkehrs und die Entwicklung der ganzen Flugbranche und der Wirtschaft in den betroffenen Regionen.
Ein Job-, Sozial- und Leistungsabbau bei der Swiss hätte Auswirkungen auf flugnahe Betriebe, den Arbeitsmarkt in Zürich und Genf, den Schweizer Tourismus und die ganze Volkswirtschaft, sagt Hadorn.
Die Nervosität angesichts der unsicheren Zukunft ist gross. Doch in Bezug auf Thomas Klühr ist in der Branche kaum ein schlechtes Wort zu hören. Der stets besonnene Deutsche übernahm 2016 die Führung der Swiss, nachdem er zuvor das Lufthansa-Drehkreuz in München leitete. Zu Beginn waren Befürchtungen zu hören, der Frankfurt-Gesandte drohe zum Statthalter der Lufthansa zu werden.
Doch es kam anders. Zwar profitierte Klühr durchaus von der Vorarbeit seines Vorgängers Harry Hohmeister, der in die Lufthansa-Chefetage wechselte. Dieser hatte die Swiss mit harter Hand geführt, die Kosten tief gehalten und die Flottenerneuerung eingeleitet. Klühr konnte in den folgenden Jahren die Ernte einfahren und Rekordergebnisse verkünden.
Es war aber auch Klühr, der Ruhe in die Firma brachte, nachdem Hohmeister bei den Personalverbänden und dem Flughafen Zürich viel verbrannte Erde hinterliess. Klühr sorgte für ordentliches Wachstum und schwarze Zahlen am Flughafen Genf, feilte am Premium-Image und betonte konsequent die Swissness der Lufthansa-Tochter.
Sandrine Nikolic-Fuss, Präsidentin der Kabinen-Gewerkschaft Kapers, bedauert den Abgang Klührs: «Er war ein sehr guter Sozialpartner, ein Manager alter Schule, der sich für die Mitarbeitenden eingesetzt hat.» Sein Rücktritt sei für die Firma «ein grosser Verlust.» Von seinem Nachfolger erwarte sie ebenso viel Respekt für die Gewerkschaften und Empathie für die Angestellten in diesen schwierigen Zeiten.
Henning Hoffmann, Geschäftsführer des Pilotenverbands Aeropers, sieht es ähnlich: «Thomas Klühr war der richtige Mann am richtigen Ort.» Er sei stets verlässlich und glaubwürdig gewesen, und habe zugehört. «Das heisst aber nicht, dass er in der Sache nicht hart bleiben konnte.»
SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf zeigt sich überrascht vom Rücktritt. Die persönlichen Gründe für seinen Schritt seien natürlich zu respektieren. Dennoch komme der Abgang des Deutschen zur Unzeit. «Es mutet schon komisch an, wenn der Chef in der grössten Krise der Luftfahrt geht», sagt Seiler Graf, die auch Stadträtin der Flughafengemeinde Kloten ist.
Gerade für die Mitarbeiter sei dies nicht vertrauenserweckend. Für viele sei es ein Schock. «Die Sorgen und Ängste der Angestellten nehmen damit nur noch mehr zu.», sagt Seiler Graf.
Es werde gemunkelt, dass Klühr die Verhandlungen über Lohnkürzungen und Stellenabbau nicht mehr habe führen wollen. Der Höhepunkt der Krise stehe für die Fluggesellschaften erst noch bevor. «Umso wichtiger wäre es gewesen, dass jemand das Unternehmen führt, der die Swiss bereits gut kennt». Daher bedaure sie den Rücktritt Klührs.
In einer Videobotschaft an das Personal vom Dienstagmorgen verwies Klühr darauf, dass es bei der Lufthansa nicht unüblich sei, spätestens mit 60 Jahren ein Vorstandsamt abzugeben. Zudem bedankte er sich beim Personal und versprach, sich bis zum Jahresende voll in den Dienst der Airline zu stellen. Schliesslich sind die Verhandlungen mit den Gewerkschaften über Sparmassnahmen derzeit am Laufen.
Indirekt bleibt Kühr der Swiss auch nach Jahresende verbunden. Nach seinem Rücktritt wird er Einsitz in der Schweizer Luftfahrtstiftung nehmen, die im November gegründet werden soll. Sie ist eine Auflage des Bundes im Rahmen der verbürgten Kredite und soll sicherstellen, dass die Lufthansa beim Wiederaufbau des Betriebs die Swiss gleichwertig berücksichtigt und nicht bloss die Lufthansa-Hubs stärkt.