Auch die Cockpitcrew muss mal. Das ist heute kein Problem, schliesslich sind die Pilotinnen und die Piloten vorne nie allein. Stets sitzt noch ein Kollege oder eine Kollegin daneben. Doch das könnte sich in Zukunft ändern.
Denn in der Branche drängen Flugzeughersteller und mehrere Airlines auf eine rasche Einführung der so genannten «Reduced Crew Operations» (CH Media berichtete). Das einfach formulierte Ziel: Nur während Starts und Landungen sollen noch zwei Piloten im Cockpit nötig sein, während des Flugs bloss einer – moderner Technologie sei dank.
Doch was, wenn der einzige Pilot plötzlich aufs WC muss, und schlimmstenfalls sogar während eines Notfalls? Auf diese Gefahr möchte der europäische Pilotenverband, die European Cockpit Association (ECA), mit einer neuen, auffälligen Kampagne aufmerksam machen. Ein Plakatsujet zeigt dabei eine Toilettenschüssel mitten im Cockpit. Zu lesen ist die englische Frage: «Kannst du mit zwei Notfällen gleichzeitig umgehen?». Das Poster soll an Flughäfen aufgehängt werden und die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren.
Der Swiss-Pilotenverband Aeropers ist Mitglied der ECA und unterstützt die Kampagne. «Wir werden sie auf allen unseren Kanälen verbreiten», sagt Aeropers-Sprecher Roman Boller, der selbst Boeing-777-Langstreckenflugzeuge für die Swiss fliegt. Zu sehen wird das Bild im verbandsinternen Magazin und auf den sozialen Medien sein. Eine Plakat-Aktion sei zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht geplant, sagt Boller.
«Als Pilotinnen und Piloten von kommerziellen Passagierflugzeugen ist unser oberstes Ziel stets der sichere Transport unserer Passagiere», sagt Boller. Die Bemühungen für die Reduced Crew Operations der Industrie stellten ein erhebliches Risiko für diese Sicherheit dar. «Viele Fragen sind noch ungeklärt.» Flugzeuge hätten sich über die letzten Jahrzehnte als sicherstes Transportmittel durchgesetzt. Diese Sicherheit dürfe nicht auf Kosten von Profit der Flugzeughersteller und Airlines aufs Spiel gesetzt werden, sagt Boller.
Doch könnte der zweite Pilot, der nach dem Start und vor der Landung hinten im Flugzeug Platz nehmen würde, im Notfall nicht einspringen? «Möglicherweise», sagt Boller. Das Risiko bleibe aber gross. «Denn in Notsituationen ist oftmals jede Sekunde entscheidend, da kann es im schlimmsten Fall auch zu spät sein, bis der Kollege oder die Kollegin vorne im Cockpit ist.»
Das Bewusstsein für die aktuelle Situation des Wetters, des technischen Zustandes sowie der Position des Flugzeuges bedürfe einer gründlichen Analyse. «Befindet man sich im Cockpit, ist man sich als Pilotin oder Pilot dieser Situation jederzeit bewusst», sagt Boller. «Kommt man jedoch aus dem Schlaf notfallmässig ins Cockpit, benötigt man Zeit, eine solche Analyse durchzuführen und sich der aktuellen Situation bewusst zu werden.»
Allen voran drängen die Flugzeughersteller Airbus und Dassault auf eine schnellere Entwicklung. So ist das neuste Flugzeug der Airbusfamilie, der A350, bereits weitgehend auf die Operation mit nur einem Crewmitglied während des Flugs ausgelegt. Unterstützung erhalten die Unternehmen laut Boller ausgerechnet von der EASA, der Flugsicherheitsbehörde der Europäischen Union.
Diese legte ursprünglich einen straffen Zeitplan vor. Ursprünglich wurden Flüge mit teilweise nur einem Piloten im Cockpit bereits ab nächsten Jahr anvisiert. Zuletzt wurde der Zeithorizont jedoch nach hinten verschoben. «Vor 2028 ist vorerst nicht mit Flügen mit nur einem Crew-Member im Cockpit zu rechnen», sagt Boller.
Berufspilot Boller betont, die Flugsicherheit beruhe auf einem Team im Cockpit. «Zu ihren Aufgaben gehören nebst dem Fliegen des Flugzeugs auch die Überwachung des Fluges, das Management der Automatisierung und die Einschätzung sowie die Bewältigung von Risiken in einer komplexen und sich verändernden Umgebung.»
Wenn ein Pilot handlungsunfähig werde, müsse das andere Crewmitglied stets bereit sein, rasch die Kontrolle zu übernehmen. «Der Betrieb mit nur einem Crewmitglied ist entsprechend einem Flug gänzlich ohne Pilotin oder Pilot gleichzustellen und bedeutet ein erhebliches Risiko für die Sicherheit der Passagiere sowie der Bevölkerung am Boden.»
Pikant: Zufälligerweise lancierte der europäische Pilotenverband die Kampagne vergangenen Donnerstag – nur einen Tag vor der weltweiten Crowdstrike-IT-Panne, die für zahlreiche Flugstornierungen und chaotische Zustände an Flughäfen sorgte und die Fehleranfälligkeit von Computersystemen mit entsprechenden Konsequenzen deutlich machte.
«Piloten durch Automatisierung zu ersetzen, kann möglicherweise die Profite erhöhen, aber das wird die Flüge weder günstiger noch sicherer für die Passagiere machen», schreibt der Verband in einer Mitteilung. Und Aeropers-Sprecher Boller verweist auf einen Zwischenfall an Bord eines Edelweiss-Fluges vergangenen Sonntag: Beim Rückflug aus Tampa nach Zürich hatte einer von drei Piloten 90 Minuten vor der Landung ein medizinisches Problem. In der Folge wurde eine Notlage deklariert. Die Landung in Zürich wurde von den zwei anderen Piloten durchgeführt. Die Flugsicherheit war laut der Swiss-Schwesterairline jederzeit gewährleistet.
Allerdings ist es nicht nur der allfällige Profitgedanke, der die Industrie antreibt. Denn die Branche ist mit einem Personalmangel konfrontiert. Laut einer neuen Studie des US-Beratungsunternehmens Kearney mangelt es insbesondere an Piloten und Pilotinnen, auch weil viele von ihnen die volatile Branche während der Coronapandemie verlassen haben. Gleichzeitig boomt die Aviatik wieder, die Lust aufs Fliegen ist zurück.
Laut Kearney-Schätzungen könnten im Jahr 2032 in der weltweiten Luftfahrt fast 80'000 Piloten fehlen. Das Problem aus Airlinesicht: Die Ausbildung von neuem Personal ist zeitaufwendig, und die Verfügbarkeit von Ausbildungspiloten sowie die Betriebskapazität sind begrenzt. Dies hat auch zur Folge, dass um verfügbare Pilotinnen und Piloten teils mit höheren Salären gebuhlt wird, welche die Bilanz belasten.
Auch damals war nur ein Pilot im Cockpit und zwar dieser eine, welcher für den Tod von 150 Menschen alleine verantwortlich ist.