Vor Bundesstrafgericht in Bellinzona ist am Mittwochmorgen die Berufungsverhandlung gegen einen mutmasslichen IS-Terroristen eröffnet worden. Der 53-jährige Iraker kurdischer Herkunft war im Oktober 2020 zu 70 Monaten Gefängnisstrafe verurteilt worden. Gegen das Urteil hatten der Verurteilte sowie die Bundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt.
Der Beginn der Berufungsverhandlung war von einer Zeugeneinvernahme eines Irakers dominiert, der seit mehr als neun Jahren im Thurgauer Kantonalgefängnis in Frauenfeld einsitzt – in der gleichen Haftanstalt wie der Verurteilte. Dieser Mithäftling erhob in der Befragung durch die vorsitzende Richterin Andrea Blum schwere Vorwürfe gegen den Angeklagten. Dieser habe im Gefängnis ein Terrorregime installiert und Mitgefangene unter Druck gesetzt. Aus der Haftanstalt habe es sogar den Auftrag erteilt, «seine Ex-Frau zu beseitigen». Diese steht mittlerweile unter besonderem Schutz der Behörden.
Laut dem von der Bundesanwaltschaft aufgebotenen Zeugen habe der Beschuldigte zudem weiter Propaganda für den IS gemacht. Alle Häftlinge hätten Angst vor ihm. Delikat: Die Gefängnisleitung habe sich für diese Vorgänge nicht interessiert. Schliesslich konnte der Zeuge jedoch gegenüber der Thurgauer Kantonspolizei Aussagen machen. Richterin Blum gab in diesem Zusammenhang bekannt, dass sie eine Verlegung des Beschuldigten in eine andere Haftanstalt veranlasst habe.
Der Zeuge listete im Übrigen auch eine Reihe von mutmasslichen Delikten des Beschuldigten auf, von denen in der erstinstanzlichen Verhandlung im September 2020 nicht die Rede war, darunter ein Tötungsdelikt sowie Drogen- und Frauenhandel. Dieser habe einst in Zürich und Winterthur schwarz in Clubs gearbeitet.
Am späten Vormittag begann die Befragung des Beschuldigten zur Sache. Er wies erneut die in der Anklageschrift enthaltenen Vorwürfe zurück. In der erstinstanzlichen Hauptverhandlung hatte das Bundesstrafgericht den Beschuldigten am 8.Oktober 2020 wegen Beteiligung an der verbotenen Terrororganisation Islamischer Staat (IS), das heisst wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 10 Monaten sowie 15 Jahren Landesverweis verurteilt.
Das Gericht erkannte in ihm einen «IS-Fanatiker», der «im mittleren Kader» Führungsaufgaben für den IS übernommen hatte. Das Strafmass lag leicht unter dem Strafantrag der Bundesanwaltschaft. Die Verteidigung hatte weitgehend auf Freispruch plädiert.
Den erstmals von der Bundesanwaltschaft in einem solchen Verfahren gestellten Antrag zu einer «Verwahrung» des Straftäters wies das Bundesstrafgericht damals ab. Ebenso scheiterte die BA beim Gericht mit dem Vorwurf, wonach der Iraker Vorbereitungen für einen Anschlag in der Schweiz getroffen habe. Die Ermittlungsbehörde konnte keine ausreichenden Beweise vorlegen. (sda)