Heute Mittag wird der Tessiner FDP-Bundesrat Ignazio Cassis zum Bundespräsidenten gewählt – wenn alles wie gewohnt läuft. Die Wahl ist quasi Formsache: Entschieden wird der Posten zwar durch die Vereinigte Bundesversammlung – sprich: durch National- und Ständerat gemeinsam. Sie befolgt dabei aber das sogenannte Anciennitätsprinzip.
Dieses besagt, dass jener Bundesrat oder jene Bundesrätin den Präsidentenposten erhält, die ihn am längsten nicht hatte – was heuer auf Ignazio Cassis zu trifft. Dieses «Prinzip» ist dabei alles andere als gesetzlich vorgeschrieben: Es ist mehr eine Tradition, die alle Parteien im Parlament befolgen. Das Bundeshaus selbst spricht auf der Webseite von einer «ungeschriebenen Regel». Die Bundespräsidentenwahl wird deshalb auch dieses Jahr kein Spektakel sein.
Überraschungen gibt es einzig bei der Frage, wie viele Stimmen Ignazio Cassis erhalten wird. Als «Glanzresultat» gelten 200 Stimmen (insgesamt können 246 Bundesparlamentarier einen Wahlzettel einlegen).
Manche nutzen die Wahl aber auch um jemanden abzustrafen: So geschehen oft bei Kandidierenden der SP und SVP – besonders extrem im Jahr 2011, als die Genfer SP-Politikerin Micheline Calmy-Rey nur gerade mal 106 Stimmen erhielt.
Rechtlich gesehen hat ein Bundespräsident kaum irgendwelche Zusatzrechte: Er ist nicht etwa wie in Deutschland oder Österreich das «Staatsoberhaupt» (die Funktion wird quasi vom Gesamtbundesrat wahrgenommen). Als Bundespräsident nimmt er aber die Rolle des «primus inter pares» ein: Er ist der «Erste unter Gleichen». Konkret zeigt sich das, wenn der Bundesrat intern bei einer Abstimmung Gleichstand hat. In diesem Fall darf Cassis nächstes Jahr den Stichentscheid fällen.
Einen weiteren Vorteil bringen die zahlreichen Repräsentationsaufgaben: Der Bundespräsident darf die Radio- und Fernsehansprachen zu Neujahr und zum Schweizer Bundesfeiertag am 1. August oder zum «Tag der Kranken» machen. Zudem übernimmt er in einigen diplomatischen Fragen die Führung: Er reist häufiger ins Ausland, etwa als Vertreter der Schweiz bei der Uno-Generalversammlung.
Zu guter letzt, gibt es auch bisschen mehr Batzen dafür: Zusätzlich zum Jahreseinkommen von 454'581 Franken, darf sich Cassis nächstes Jahr über monatlich 1000 Franken mehr freuen.
Der italienischsprachige Kanton durfte sich mit der Wahl von Cassis in den Bundesrat bereits darüber freuen, «wieder einmal» in der Exekutive einsitzen zu dürfen. Auch die Beförderung ins Präsidialamt wird fast schon historische Verhältnisse haben: Der letzte Tessiner Bundespräsident – der CVP-Politiker Flavio Cotti – ist rund ein Vierteljahrhundert her.
Der erste Tessiner Bundesrat überhaupt wurde zudem nie ins Präsidialamt gewählt: Stefano Franscini brachte der Schweiz zahlreiche Modernisierungen – etwa die Volkszählung. Die Bundesversammlung wollte ihn aber wegen seines introvertierten Charakters und einer zunehmenden Schwerhörigkeit nicht zum Bundespräsidenten wählen.
(pit)