Nebst politischem Einfluss ist ein Amt als National- oder Ständerat auch mit finanziellen Anreizen verbunden. Mitglieder des Nationalrats erhalten im Durchschnitt eine jährliche Entschädigung inklusive aller Spesen von rund 140'000 Franken. Im Ständerat, dessen Mitglieder pro Kopf mehr Kommissionsarbeit leisten, sind es rund 155'000 Franken. Allerdings müssen die Ratsmitglieder aus dieser Summe ihre Büroinfrastruktur, persönlichen Mitarbeitenden, Pensionskassenbeiträge und Abgaben an Fraktion und Partei bezahlen.
Wer nebst dem Parlamentsamt kein anderes berufliches Standbein mehr hat, den kann eine Abwahl empfindlich treffen. Seit 2003 können Ratsmitglieder, die «nach ihrer Abwahl keinen gleichwertigen Ersatz für das Einkommen als Ratsmitglied erzielen können oder bedürftig sind», während maximal zwei Jahren eine Überbrückungshilfe beantragen. Diese beträgt im Monat höchstens 2370 Franken – die Höhe einer vollen AHV-Rente.
Wie Bundesparlamentarier mit den Folgen einer unerwarteten Abwahl umgehen, zeigen folgende Beispiele.
Die Zürcher SP-Nationalrätin Barbara Marty Kälin wurde 2007 nach sieben Jahren im Amt abgewählt. Die damals 53-Jährige stand «buchstäblich vor dem Nichts», wie die Zeitung «Sonntag» damals schrieb. Ein Standbein neben der Politik hatte Marty Kälin keines mehr. Sie hatte sich voll auf den Nationalrat konzentriert, während ihr Mann für den Haushalt und die Kinder sorgte. Diese waren bei ihrer Abwahl zwar inzwischen volljährig geworden, aber alle noch in Ausbildung. Ihr an Krebs erkrankter Mann konnte zum Zeitpunkt ihrer Abwahl nicht mehr arbeiten.
Die frühere Berufsschullehrerin Marty Kälin schrieb mehr als 30 Bewerbungen – ohne Erfolg. Auch als Kioskfrau werde sie sich bewerben, wenn es nötig sei, sagte sie dem «Sonntag». Fünf Monate nach der Abwahl hatte sie noch 34 Franken auf dem Konto, wie sie dem Blick erzählte. Marty Kälin ging stempeln und war froh um die Überbrückungshilfe. Schliesslich klappte es dann auch auf dem Arbeitsmarkt: Sie fand eine 40-Prozent-Stelle als Geschäftsführerin einer Non-Profit-Organisation. Das Geld reiche gerade, sagte sie 2011 zum «Blick»: «Aber grosse Sprünge sind nicht drin.»
Der gelernte Landwirt sass von 2011 bis 2015 für die Solothurner CVP im Parlament. Er rückte für den in den Ständerat gewählten Pirmin Bischof in den Nationalrat nach. Schläfli galt als stiller Schaffer, von den Medien wurde er oft als «Hinterbänkler» bezeichnet. Er fiel nicht auf und suchte mit seiner politischen Arbeit kaum je die Öffentlichkeit. Das kostete den damals 52-Jährigen vor vier Jahren die Wiederwahl.
Nach seiner Abwahl kehrte Schläfli der Politik den Rücken. Noch im gleichen Jahr begann er die 18-monatige Ausbildung zum Fahrlehrer und gründete kurz darauf eine eigene Fahrschule. Dazu motiviert hätten ihn unter anderem seine Töchter, schreibt Schläfli auf seiner Homepage. Als diese auf die Autoprüfung übten, war er oft als Begleitperson mit dabei und entdeckte so die Freude am Unterrichten.
2007 wurde der Zürcher Nationalrat der christlich-konservativen EDU von den Wählern nach Hause geschickt. Das Timing war denkbar ungünstig. Wenige Monate vor den Wahlen war Agrochemiker Wäfler von seinem Arbeitgeber Syngenta frühpensioniert worden.
«Ich merkte schnell, dass ich in meinem Alter als Agrotechniker keinen Job mehr finde. Da nützte mir auch das ehemalige Nationalratsmandat nichts», sagte Wäfler zum Blick. Wäfler griff auf die Überbrückungshilfe zurück. Neun Monate nach seiner Abwahl fand Wäfler eine andere Möglichkeit, sein Einkommen aufzubessern. Er trat eine Teilzeitstelle am Flughafen Zürich an, wo er wertvolle Fracht zwischen Terminal und Flugzeugen beförderte. «Ohne den Job würde es finanziell eng werden», sagte er 2011 zum «Blick».
Unter den 2015 abgewählten Nationalräten war auch die Grüne Yvonne Gilli. Im Kanton St. Gallen verlor Gilli ihren Sitz aufgrund der politischen Verschiebung gegen rechts. «Wie ein Tsunami» bezeichnete Gilli ihre Abwahl im St. Galler Tagblatt. Sie trauerte ihrem achtjährigen politischen Engagement nach.
Finanziell war die Abwahl für die Hausärztin jedoch kein herber Rückschlag. Sie stockte ihre Arbeit als Ärztin nach der Abwahl wieder auf. Das Parlament sei für sie finanziell nicht lukrativ gewesen, so Gilli. Und dennoch: Vier Jahre später will sie es wieder versuchen. Gilli kandidiert auf der Grünen-Liste wieder für den Nationalrat. Die 62-Jährige hofft darauf, dass sie mithilfe der Klimabewegung erneut einen Sitz ergattern kann.
Der 18. Oktober 2015 war für den SP-Nationalrat Andy Tschümperlin ein denkwürdiger Tag. Eigentlich sahen viele im Kanton Schwyz seine Wiederwahl als reine Formsache. Doch das war es nicht. Am Abend des 18. Oktobers stellte sich heraus: Der vierfache Vater war seinen Nationalratssitz nach acht Jahren los.
Das stellte Tschümperlin kurzfristig vor einige Herausforderungen. Als der Sozialdemokrat 2012 zum Fraktionschef gewählt worden war, kündigte er seine Stelle als Schulleiter. Nach der Abwahl stand er vor dem Nichts. Nur noch ein paar ehrenamtliche Mandate blieben ihm übrig. Tschümperlin nahm sich einen Führungscoach und las Stellenanzeige nach Stellenanzeige. Gartenarbeit, ein Sprachaufenthalt in Südfrankreich und das Geld aus der Überbrückungshilfe für abgewählte Parlamentarier halfen dem damals 53-Jährigen, die Niederlage zu verdauen.
2016 fand Tschümperlin einen neuen Job: Beim Arbeiterhilfswerk wurde er zum Leiter für Bildung im Strafvollzug. Unterdessen hat Tschümperlin eine Kaderstelle in der Zuger Kantonsverwaltung gefunden.