Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der grössten Schweizer Fluggesellschaft erstmals zu einem Streik kommt, ist so gross wie noch nie. Am Wochenende gab die Pilotenvereinigung Aeropers bekannt, dass sich in einer internen Abstimmung 93.7 Prozent ihrer Mitglieder für eine mögliche Arbeitsniederlegung ausgesprochen haben – bei einer Stimmbeteiligung von 97.2 Prozent. Wie geht es nun weiter? Was bedeutet der Konflikt für die Passagiere? Und könnte ein Streik noch verhindert werden? Eine Übersicht zu den wichtigsten Fragen und Antworten.
Im Februar 2021 kündigte die Swiss den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ihrer Pilotinnen und Piloten, nachdem sie monatelange Verhandlungen zur Bewältigung der Covid-Krise abgebrochen hatte. Die Swiss forderte Zugeständnisse der Cockpit-Crew, um die Einbussen im Zuge der Pandemie wettzumachen. Sprich: Ihr war der GAV zu wenig krisenfest. Er galt noch bis im Frühling dieses Jahres weiter, seit April fliegen die Piloten jedoch ohne Vertragswerk durch die Welt. Damit ist auch ihre Friedenspflicht aufgehoben, Streiks sind möglich. Aeropers bezeichnete die Vertragskündigung als «traurigen Tiefpunkt der Sozialpartnerschaft und bedenkliches Zeichen der Firma gegenüber den Piloten». Dies auch, weil man während der Pandemie der Firma sehr stark entgegengekommen sei mit temporären Massnahmen. Und schliesslich sei der gekündigte GAV sehr wohl krisenfest, sagt Aeropers-Geschäftsführer Henning Hoffmann. «Schliesslich haben wir unter diesem Vertrag gemeinsam die Krise gemeistert.»
Nach der GAV-Kündigung durch die Swiss gab es erneut Verhandlungen. Und kurzzeitig eine Einigung, welche die Swiss aber wieder zurückzog. Das Problem, wie es manche Insider vermuten: Airline-Chef Dieter Vranckx liess seinen Managern auf unterer Stufe in den Verhandlungen eine zu lange Leine und zu viel Zeit, anstatt schon früher ein Machtwort zu sprechen und sich selber an den Verhandlungstisch zu setzen. Andere Stimmen erzählen von Zwist und Uneinigkeit in der Geschäftsleitung.
Erst am Freitag vorletzter Woche kam es dann zu einem Spitzentreffen zwischen Vranckx und Aeropers-Präsident Clemens Kopetz. In diesem Gespräch habe es positive Zeichen gegeben, verlautete die Pilotenvereinigung darauf. Nur: Eine Lösung brachte das Treffen nicht. Am 22. und 23. Oktober sind nun weitere Gespräche zwischen Vranckx und Kopetz angesetzt. «Wir wollen eine Lösung am Verhandlungstisch. Sollte der CEO jedoch auch diese Gelegenheit ungenutzt lassen, sind wir bereit, die berechtigten Interessen unserer Mitglieder mit rechtmässigen Arbeitskampfmassnahmen durchzusetzen», sagt Kopetz.
Kommt darauf an, wann du fliegst – und wann genau die Pilotinnen und Piloten gedenken zu streiken, sofern eine Einigung mit Vranckx spätestens am 23. Oktober ausbleibt. Am 24. will Aeropers über das weitere Vorgehen informieren. In Kantonen wie Genf, Freiburg, Tessin und Waadt dauern die Herbstferien aber zuweilen noch bis Ende Oktober oder sogar Anfang November. Sprich: Dein Flug ins Ferienparadies oder die Rückkehr ist in Gefahr, wenn die Swiss-Piloten ernst machen.
Würden die Swiss-Piloten streiken, drohen Hunderte Flüge auszufallen, Tausende von Passagieren wären betroffen. Die Swiss müsste die betroffenen Gäste umbuchen oder ihnen das Ticket rückerstatten. Einen Anspruch auf eine zusätzliche Entschädigung gibt es generell allerdings nur, wenn ein Flug weniger als 14 Tage im Voraus annulliert wird.
Laut dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) besteht potenziell ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in dieser Höhe:
Die Airlines können diese Entschädigung halbieren, wenn sich die Reise mit einem alternativen Flug je nach Entfernung nicht länger als 2, 3 oder 4 Stunden verzögert.
Bei grossen Verspätungen müssen die Fluggesellschaften laut dem Bazl Verpflegung anbieten, je nach Dauer auch eine Hotelübernachtung. Wenn die Verspätung mehr als 5 Stunden beträgt, hat man als Passagier das Recht, eine Rückerstattung einzufordern.
Kommt darauf an, wen man fragt. Mitte September kommunizierte die Swiss, dass sie dem Pilotenverband ein um 60 Millionen Franken verbessertes Angebot für einen Gesamtarbeitsvertrag unterbreitet hatte. Dieses sei vom Personalverband allerdings abgelehnt worden. Aeropers bestätigte diese Ablehnung. Das Angebot sei allerdings 54 Millionen tiefer als der vorherige, nicht mehr gültige Gesamtarbeitsvertrag gewesen, so der Verband. Die Swiss sei somit nicht ausreichend auf die Interessen der Pilotinnen und Piloten eingegangen. Laut der Airline hatte Aeropers Forderungen im Umfang von 200 Millionen Franken gestellt. «Das ist eine Fantasiezahl und unseriös», erwidert Steffen.
Die Airline betonte, dass der abgelehnte Vertrag ein Kompromiss gewesen wäre, welcher die Interessen der Fluggesellschaft und des Cockpit-Personals ausgewogen berücksichtigte. Aeropers hingegen befand das Gegenteil. Der Vertrag sei in einer Phase grosser Unsicherheit ausgehandelt worden und die Abstimmung habe während der Erholung der Branche stattgefunden. Dies habe zur Ablehnung mit mehr als 80 Prozent der Stimmen geführt. Tatsächlich hat die Swiss in der Zwischenzeit sehr gute Halbjahreszahlen präsentiert und der starke Aufschwung in der Luftfahrt hält an.
Inhaltlich geht es der Aeropers insbesondere um sozialverträglichere Anstellungsbedingungen. Die kurzfristige Ankündigung des Einsatzplans im Vormonat ist ihnen schon seit Jahren ein Dorn im Auge. «Es ist extrem schwierig, Ferien mit der Familie vorzeitig planen zu können, wenn ich nicht weiss, an welchen Tagen ich in zwei Wochen fliegen muss», sagt ein Pilot.
Klar ist: Swiss-Piloten erhalten einen guten Lohn mit einigen Zusatzleistungen wie vergünstigte Flüge für sich und Verwandte und einer guten Pensionskasse. Auch im internationalen Vergleich stehen sie nicht schlecht da. Allerdings ist das Lohnsystem der Swiss ist relativ komplex und für Aussenstehende rasch undurchsichtig.
Bekannt ist, dass das Einstiegssalär eines Co-Piloten bei rund 76'000 Franken pro Jahr liegt. Laut Swiss-Sprecher Michael Pelzer steigt dieses jährlich um 4000 Franken. Das Basissalär eines Kurzstrecken-Kapitäns beträgt zu Beginn rund 140’000 Franken – mit einer jährlichen Lohnerhöhung von 3000 Franken. «Und das Basissalär eines Langstrecken-Kapitäns beträgt am Ende seiner Laufbahn potenziell mehr als 210'000 Franken», sagt Pelzer. Hinzu kommen laut der Airline durchschnittlich 7000 Franken Spesen pro Jahr. Und bei einem guten Geschäftsverlauf gibt es einen variablen Gewinnanteil obendrauf, der im Schnitt bei 15 Prozent des Basissalärs liegt, im Maximum laut Pelzer aber auch 30 Prozent betragen kann.
Die Pensionskasse der Pilotinnen und Piloten wird zu 100 Prozent durch die Swiss finanziert, und das ordentliche Pensionierungsalter liegt bei 61 Jahren.
«Es gibt so so viele interne und externe Faktoren wie die Kaufkraft oder den Steuersatz, welche einen seriösen, internationalen Vergleich von Piloten praktisch unmöglich machen», sagt Aeropers-Geschäftsführer Henning Hoffmann.
Pilotinnen und Piloten der Swiss argumentieren oft zuerst mit der enormen Spezifikation ihres Berufes, die sie quasi auf ewig an die Firma bindet. Ein Branchenwechsel sei nur mit massivem Salärverlust möglich. Hinzu kommt natürlich die Verantwortung, welche Piloten tragen, wenn sie Hunderte Passagiere an Bord haben. Die Arbeit mit vielen Schnittstellen, die ständige Auffrischungstrainings im Simulator benötigt, ist trotz der inzwischen hohen Automatisierung eine grosse Herausforderung, der nicht alle Kandidatinnen und Kandidaten gewachsen sind. Laut Aeropers bestehen 95 Prozent der jährlichen Bewerber die Aufnahmetests nicht.
Hinzu kommen die unregelmässige Arbeitszeit und das längere Fernbleiben von Freunden und Familien, die körperliche Belastung mit den verschiedenen Zeit- und Klimazonen. Immer wieder tauchen auch Studien auf, die darauf hinweisen, dass die Arbeit an Bord langfristig mit Gesundheitsrisiken wie zum Beispiel Hautkrebs verbunden sein könnte. Kosmische Strahlung und UV-Strahlung, denen Piloten und Flight-Attendants ausgesetzt sind, und ihre unregelmässigen Schlafrhythmen werden dafür verantwortlich gemacht.
Ja, bei der Swiss ist es seit ihrer Gründung vor 20 Jahren noch nie zu einem Streit gekommen. Vor einigen Jahren standen die Piloten aber bereits einmal kurz davor. Auch da ging es um GAV-Verhandlungen mit dem damaligen Swiss-Chef und heutigem Lufthansa-Manager Harry Hohmeister. In letzter Minute gab es aber eine Einigung, so wie es auch heute die meisten Piloten erwarten und die Passagiere und Reisebüros erhoffen.
So publizierte Globetrotter-Chef André Lüthi am Sonntag nach Bekanntwerden des Streik-Votums auf der Online-Plattform Linked-in ein Stossgebet in Richtung Cockpit-Crew: «Liebe Pilotinnen und Piloten, liebe Swiss – bitte findet einen Weg. Die Reisebranche und eure Kundinnen und Kunden zählen auf euch. Danke.» Dies widerspiegelt die Nervosität der Branche, die sich nach der Pandemie endlich wieder nach ruhigeren Zeiten und stabilen Umsätzen sehnt.
Dass es die Piloten ernst meinen, zeigten sie vor zwei Wochen mit einem Protestmarsch in Kloten bis vor den Bürositz der Swiss.
Kaum. Viel eher ist die aktuelle Streitlust mit der generellen Unzufriedenheit zu erklären, die sich in den vergangenen zwei Jahren aufgestaut hat. Daran ist allerdings nicht nur die Pandemie schuld, sondern auch das Verhalten der Swiss-Führung. Sie agierte in der Krise kommunikativ nicht immer ideal, verlor den Draht zur Belegschaft und zu ihren Partnern. Die Kabinen-Crew trägt seit längerem einen Pin mit einer Zitrone, denn diese sei ausgepresst. Die Gewerkschaft des Bodenpersonals SEV-Gata zieht die Swiss vor Gericht. Von der Reisebüro-Industrie wird der Airline Arroganz vorgeworfen. Und aufgrund der zahlreichen Annullationen und Umbuchungen, die teils miserable Kundenservice-Zustände zu Tag brachten, litt auch das Image der selbst ernannten Premium-Airline bei der Kundschaft.
Ein Pilot bringt die Stimmung auf den Punkt: «Es geht uns um sozialverträgliche Einsatzpläne, es geht uns um faire Entlöhnung, es geht uns aber auch sehr stark um Wertschätzung für unseren Beruf und unser tägliches Engagement, denn diese ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen.»
Die Schweizerinnen und Schweizer sind kein streikfreudiges Volk. 2017 kam eine Studie des Düsseldorfer Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts zum Schluss, dass Schweizer zwischen 2006 und 2015 lediglich an zwei Arbeitstagen pro 1000 Angestellte und Jahr ihre Arbeit niederlegten. So selten wie die Österreicher. In Schweden waren es fünf, in Polen sechs und in den USA sieben. Am streikfreudigsten zeigten sich – wohl kaum eine Überraschung – die Französinnen und Franzosen, mit 123 Streiktagen.
Dennoch gab es in der letzten Zeit gleich mehrere Streikmeldungen. Vergangene Woche fuhren in Genf keine Trams und Busse an zwei Tagen, weil die Belegschaft streikten. Die Beamten der Kantonsbehörden wollen es ihnen schon bald gleichtun, wie sie angekündigt haben.
Einstiegslohn 76000, dann 4000 mehr pro Jahr.
Als Kapitän dann 140000 und 3000 mehr pro Jahr bis 210000.
Übendrauf dann noch 15-30% des Jahressalärs als Bonus.
Irgendwas sagt mir ja, dass die Piloten eigentlich genug hätten.
Wie sehen das die Stewardessen, da ist wohl ein anderes Lohngefüge....