Die unendlichen Weiten sind das Geschäft von Ruag International – zumindest in Zukunft. Der ehemalige Rüstungsgüterkonzern in Bundeshand muss sich auf Wunsch des Bundesrates auf das Weltallgeschäft fokussieren, wie er es heute unter dem Namen Beyond Gravity (ehemals Ruag Space) bereits betreibt.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist er daran, weltallfremde Geschäfte Schritt für Schritt zu verkaufen. Prominentestes Beispiel: 2022 übernahm die italienische Waffenherstellerin Beretta das Munitionsgeschäft Ruag Ammotec. Dieses hatte Ruag International 2021 – im Zuge des Donald-Trump-Wahns und der Corona-Paranoia in den USA noch viel Geld in die Kassen gespült. Hinzu kamen zwei weitere Verkäufe. Die Zahl der Mitarbeitenden hat sich damit von 6100 auf knapp 3000 mehr als halbiert.
Das Abstossen der drei Einheiten hatte denn auch einen bedeutenden Anteil am Gewinn auf Stufe Ebit im vergangenen Jahr. Dieser stieg von 70 Millionen Franken im Vorjahr auf 178 Millionen. 115 Millionen Franken davon resultierten durch die Verkäufe. Gleichzeitig sank der Umsatz um 24 Prozent auf 945 Millionen Franken, wie Ruag-International-Chef André Wall am Mittwoch vor den Medien erläuterte.
Nach wie vor zum Geschäft gehört auch der Bereich Aerostructures, also der Flugzeugstrukturbau. Hier gehören unter anderem die Flugzeughersteller Airbus, Boeing und Pilatus zu den Kunden. Dank der starken Erholung in der Aviatik stieg der Umsatz um 12.6 Prozent auf 235 Millionen an.
Allerdings ist auch Ruag International mit Engpässen und Lieferschwierigkeiten konfrontiert, wie Wall auf Nachfrage von CH Media bestätigt. Auch die Chefs von Swiss und SR Technics wiesen kürzlich in Interviews auf diese Problematik hin. Laut Wall könne man derzeit aber gut mit der Situation umgehen.
Trotz der guten Entwicklung soll auch der Bereich Aerostructures verkauft werden, um sich komplett dem Weltall-Geschäft widmen zu können. Gespräche mit Interessenten sind laut Wall am Laufen und er gibt sich zuversichtlich, dass ein Deal bis Ende Jahr Tatsache ist. Der Deutsche macht auch keinen Hehl daraus, dass er sich aufgrund der aktuellen Marktlage einen hohen Preis erhofft: «Das Timing ist perfekt.»
Mit Beyond Gravity möchte Wall durchstarten. Bereits im vergangenen Jahr ist der Umsatz im Space-Geschäft um knapp 12 Prozent auf 356 Millionen Franken gestiegen. Der Auftragsbestand kletterte derweil um 10 Prozent auf 744 Millionen Franken. Dazu beigetragen haben verschiedene Grossaufträge.
Am meisten erhofft sich Wall von der Kooperation mit Amazon. Der US-Internetriese möchte im Rahmen des Projekts Kuiper 3236 Satelliten ins Weltall schiessen und ist bereit, dafür mehrere Milliarden US-Dollar zu investieren. Die Satelliten sollen für den weltweiten Breitband-Internetzugang sorgen. Und Beyond Gravity ist gleich doppelt an Bord.
Vergangenen Frühling konnte die Firma die Zusammenarbeit publik machen. Beyond Gravity wird für Amazon ein so genanntes Dispensersystem für dessen Satellitenkonstellationen entwickeln und herstellen.
Zudem liefert die Firma, die im Sommer ihren Bürohauptsitz von Zürich-Seebach an den Circle am Flughafen Zürich verlegt – auch Nutzlastverkleidungen, die die Amazon-Satelliten vom Start bis zum Einsatz schützen sollen.
Laut Wall sind für Mai erste Probesatelliten das Ziel. Wann diese tatsächlich abheben werden, sagt er nicht. Früheren Berichten zufolge plant Amazon den Start ab 2024.
Um das Auftragsvolumen stemmen zu können, muss Beyond Gravity die Produktionskapazitäten deutlich ausbauen. Am US-Standort in Decatur, Alabama, werden diese sogar verdoppelt, wodurch 200 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Längerfristig rechnet Wall sogar mit 350 neuen Stellen.
Das neue Gebäude im US-Südstaat hat eine Fläche von mehr als 250'000 Quadratmetern. Anfang des nächsten Jahres geht die Anlage in Betrieb. In Schweden, wo Beyond Gravity ebenfalls Satelliten-Trennsysteme herstellt, plant Wall derweil mit 90 bis 100 neuen Angestellten.
Für die Bereiche IT und Maschinenbau kündigt Wall zudem die Expansion nach Portugal an. Nicht nur aus Kostengründen, wie er betont, sondern weil der Markt ausgedünnt sei. Wall verweist auf die Schweizerische Post, die im Herbst aufgrund des Fachkräftemangels ebenfalls den Aufbau eines IT-Standorts in Portugal angekündigt hat.
(aargauerzeitung.ch)