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Wirtschaft

Rudolf Strahm: «Der Bund muss die Sozialhilfe für Flüchtlinge nach ein bis zwei Jahren einstellen»

Der Ökonom Rudolf Strahm hält nichts davon, dass der Bund noch mehr Geld für die Integration von Flüchtlingen ausgibt. 
Der Ökonom Rudolf Strahm hält nichts davon, dass der Bund noch mehr Geld für die Integration von Flüchtlingen ausgibt. Bild: KEYSTONE
Interview

Rudolf Strahm: «Der Bund muss die Sozialhilfe für Flüchtlinge nach ein bis zwei Jahren einstellen»

Der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm über die soziale Zeitbombe der Nicht-Integration von Flüchtlingen, Massnahmen zur Integration und die ideenlose grüne Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli.
26.08.2015, 08:5526.08.2015, 09:40
Rafaela Roth
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Kürzlich warnte die Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli in der «Schweizer Illustrierten» vor drohenden Eritreer-Ghettos. Die 6000 Franken pro Flüchtling, die der Bund zahle, würden nie und nimmer reichen, um die Integration der Eritreer zu gewährleisten. Mindestens viermal so viel Geld müsse her. Rudolf Strahm, der sich im «Tages-Anzeiger» bereits zuvor prononciert zur Problematik der Integration in den Arbeitsmarkt geäussert hat, sieht das ein wenig anders. 

Herr Strahm, was haben Sie sich gedacht, als Sie Frau Hochulis Äusserungen gelesen das haben? 
Rudolf Strahm:
 Da lehnt sich eine wahnsinnig weit aus dem Fenster, hab ich mir gedacht. 

Warum? 
Frau Hochuli sagt nicht die ganze Wahrheit. Der Bund zahlt zwar eine einmalige Integrationspauschale von nur 6000 Franken, das ist zu wenig. Aber danach zahlt er den Kantonen für die anerkannten Asylsuchenden fünf Jahre lang, für die vorläufig Aufgenommenen sogar während sieben Jahren, die volle Sozialhilfe.

Warum äussert sich die linke Frau Hochuli eigentlich gerade jetzt über angeblich zu erwartende Eritreer-Ghettos? 
Das müssen Sie sie selbst fragen. Frau Hochuli ist im Aargau nicht einmal für die Integration von Eriteern zuständig, sondern für deren Unterbringung. Zuständig wäre der aargauische Volkswirtschaftsdirektor. In der letzten SRF-Sendung «Club» zum Thema hat sie sich ebenfalls nicht gerade mit kreativen Ideen zur Integration von Eritreern hervor getan.

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Bild: KEYSTONE
Zur Person
Rudolf Strahm war von 1991 bis 2004 für die SP im Nationalrat. Sieben Jahre lang amtete er als Zentralsekretär der Partei. Ab 2004 bis 2008 war Strahm schweizerischer Preisüberwacher. Seit September 2008 ist er der Präsident des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung. Er lebt in Herrenschwanden und hat einen Sohn. (rar) 
«Maulhelden von links bis rechts sprechen nur über die Betten. Dabei sollten sie sich endlich um konkrete Integrations-Massnahmen kümmern.»

Im Aargau brechen auch bei fast jedem neuen Asylheim beinahe die Mistgabel-Proteste aus. Hat es Hochuli nicht im Griff? 
Das würde ich jetzt nicht sagen. Im Aargau, wie übrigens auch in Zürich und Baselland, ist bloss der Lastenausgleich zwischen den Gemeinden schlecht ausgestaltet. Daher kommt der Widerstand. Die Flüchtlingsbelastung zwischen den Kantonen ist ja relativ gleich. 

Hochuli hat immerhin auch Flüchtlinge bei sich zu Hause untergebracht. 
Das ist löblich, aber wir müssen aufhören immer nur über die Unterbringung von Flüchtlingen zu sprechen, sondern endlich deren Integration in die Hand nehmen. Die Politiker profilieren sich bis jetzt bloss rund um die Frage der Aufnahme oder Ablehnung von Flüchtlingen. Maulhelden von links bis rechts sprechen nur über die Betten. Dabei sollten sie sich endlich um konkrete Integrations-Massnahmen kümmern. 

Noch mehr Geld ausgeben, also? 
Der Bund muss aufhören, die Sozialhilfe über so viele Jahre zu garantieren. 83,5 Prozent der vorläufig Aufgenommenen sind Sozialhilfebezüger. Wenn das Geld nach einem Jahr nicht mehr fliessen würde, würden die Kantone schnell entsprechende Integrationsprojekte starten, um die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der Bund soll den Kantonen eine ausreichende Pauschale bezahlen, dann haben sie auch Anreiz für Integrationsmassnahmen, weil sie sonst die weitere Sozialhilfe allein tragen müssen. 

Warum ist es so wichtig, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren? Sie bleiben ja nur vorläufig. 
Das ist eine Illusion. Wir müssen der Realität ins Auge blicken, dass diese Menschen bleiben werden. Ihre Nichtintegration ist eine soziale Zeitbombe. Arbeitslosigkeit macht arbeitslos. Irgendwann wird es praktisch unmöglich, sie arbeitsmarktfähig zu machen. Menschen brauchen Perspektiven, sonst werden sie apathisch und verlieren jedes Selbstbewusstsein. Integration funktioniert bei uns am besten über die Arbeit, über Teams in der Arbeitswelt.  

«Der Bund muss die Sozialhilfe nach ein bis zwei Jahren einstellen.»

Welche Massnahmen schlagen Sie vor?
Studien zeigen, dass die Erwerbsquote massiv steigt, sobald der Bund nach fünf respektive sieben Jahren die Sozialhilfe streicht. Dann übernehmen die Kantone selber, oder NGO's, Heks, Caritas oder Arbeiterhilfswerk. Die zentrale Massnahme ist also ein anderes Anreizsystem. Der Bund muss die Sozialhilfe nach ein bis zwei Jahren einstellen und einen einmaligen ausreichenden Pauschalbetrag ausrichten. Die Kantone werden dadurch frühzeitig für Beschäftigungsprogramme sorgen. Arbeitsbewilligungen müssen so früh wie möglich erteilt werden und die Idee der einjährigen Flüchtlingslehre von alt Bundesrat Christoph Blocher muss wieder aufgenommen werden. 

Asylgesetz

Christoph Blocher hatte also die beste Idee für die Integration der Flüchtlinge? 
Naja, er hat dafür alle anderen Aufnahme-Kapazitäten heruntergefahren und damit viel Schaden angerichtet. Aber die Flüchtlingslehre ist ein gutes Modell: Eine niederschwellige Ausbildung mit Perspektive, die weniger hohe Ansprüche als eine Berufslehre stellt. 

Gibt es denn genug Arbeitgeber, die Flüchtlinge einstellen? 
Hilfskräfte werden in vielen Branchen gebraucht. Nur muss die interinstitutionelle Zusammenarbeit verbessert werden: Die kantonalen Volkswirtschaftsdirektionen, Asylorganisationen, Sozialhilfe und Wirtschaft müssen enger miteinander kooperieren. Die Kantone können sich ein Beispiel am Kanton Graubünden nehmen. Da klappt es schon gut.

«Flüchtlinge, die arbeiten, erhalten eine Wohnung oder ein Zimmer. Die, die nicht arbeiten, bleiben im Durchgangszentrum.»

Was machen sie richtig? 
Sie setzen die richtigen Anreize. Flüchtlinge, die zum Beispiel in Hotels und im Tourismus arbeiten, erhalten eine Wohnung oder ein Zimmer. Die, die nicht arbeiten, bleiben im Kollektivzentrum. Es gibt viele Jobs für Flüchtlinge im Tourismus, in der Landschaftspflege, auf dem Bau. Der Schlüssel ist die Sprache und eine gute Berufseinführung.

Sprachkurse sind sehr teuer in der Schweiz. 
Einen Gratiskurs erhält jeder Flüchtling von der Sozialhilfe finanziert. Man darf auch etwas von ihnen verlangen. 

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24 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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26.08.2015 09:55registriert März 2014
Gutes, pragmatisches Interview. Strahm, wie immer immun gegen grassierende Hypes von links oder rechts, bleibt sachlich. Ein Lichtblick!
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Angelo C.
26.08.2015 10:46registriert Oktober 2014
So, sind wir nun nicht exakt bei den Punkten und Problemen, die ich hier Übermütigen seit Monaten zu bedenken gebe, angelangt? Nur dieses Mal aus absolut kompetentem Munde.

Strahm ist einer der wenigen verdienten linken Politiker, den ich seit Jahren stets geachtet und ernst genommen habe, und dies nicht nur weil er als Preisüberwacher sozial gute Arbeit geleistet hat, sondern vor Allem auch deshalb, weil er als fähiger Oekonom immer kompetent wirkte, Realist geblieben ist und somit wusste, was de facto machbar, was umsetzbar ist.

Auch er glaubt, dass es nicht nur schwer sein wird, mindergebildete Wirtschaftsflüchtlinge hier auf Teufel komm raus anzusiedeln und lebenslänglich (samt Familienachzug) zu finanzieren, sondern er spricht offen über das, was viele Linke (vor Allem aber Grüne wie Balthasar Glättli und Co) blauäugig negieren oder bewusst verdrängen. Die Sozialhilfe auf 1-2 Jahr zu beschränken ist eine absolute finanzielle Notwendigkeit, sonst wird unsere Sozialsystem, das einmal prioritär für bedürftige Schweizer geschaffen wurde, bald in die Knie brechen, mutwillig und verantwortungslos an die Wand gefahren. Will man das wirklich riskieren?! Oder dann die MwSt um 1-2 % erhöhen, bloss um diesen unverantwortlichen Nonsens fördern?

Das Geld, das in wirtschaftlich schlechter werdenden Zeiten noch vorhanden ist, muss für die Aufnahme echter Kriegsflüchtlinge aus Syrien etc. eingesetzt werden und nicht für kaum hier je umfänglich integrierbare afrikanische Armutsflüchtlinge, die grösstenteils lebenslänglich alimentiert werden müssen. Für die erstgenannten, die Syrer, wäre ich einigermassen zuversichtlich, denn die die meisten unter ihnen werden, sowohl beruflich wie gesellschaftlich, integrierbar sind und sich somit in absehbarer Zeit selbsttragend machen. Reine Wirtschaftsimmigranten jedoch gehören abgelehnt oder rückgeführt Oder die Befürworter sollen uns doch bitte endlich sagen, in welchen ausschliesslichen Berufen, sie hier noch manuell und reine Hilfsarbeit verrichtend, nachhaltig und dauerhaft beschäftigt werden können. Aber auch wo sie dereinst wohnen und hier dauerhaft Akzeptanz in der Bevölkerung finden werden.

Alles Andere ist blablabla und funktioniert nach den System sich nicht erfüllender Hoffnungen...
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Lumpirr01
26.08.2015 11:10registriert März 2014
Frau Hochuli beherbergt zuhause bei sich ebenfalls eine Afrikanerin mit Kindern. Ja, das stimmt, aber es ist eine komplette separate Wohnung, wofür Hochuli Mietzins einkassieren kann. Wie wäre es, wenn diese Flüchtlinge gratis dort (bei einem Salär für eine Regierungsrätin) wohnen könnte? Über echte Erfahrung im Zusammenleben mit Flüchtlingen könnte Frau Hochuli erst glaubhaft berichten, wenn sie Bad und Küche mit diesen Leuten teilen wüde............
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