Als die Schweizerische Nationalbank (SNB) vergangene Woche ihren Chef Thomas Jordan verabschiedete und eine dritte Leitzinssenkung bekannt gab, fand sich in der Medienmitteilung auch diese Information: Hypotheken machen 85 Prozent des inländischen Kreditvolumens aus – 85 Prozent!
Diese Zahl ist das Ergebnis eines mächtigen Trends: Die Immobilienpreise ziehen so ziemlich alles mit sich in die Höhe, was an ihnen dran hängt. Deshalb sind die Hypotheken viel schneller gewachsen als alles andere – schneller als die Bevölkerung, schneller als die Einkommen und eben schneller als alle anderen Kredite der Banken.
Das Hypothekenvolumen stand laut den neuesten SNB-Zahlen im Juli bei genau 1216 Milliarden Franken. Die Marke von 1200 Milliarden wurde im Januar 2024 erreicht – und damit eine Verdoppelung innerhalb von nicht ganz zwei Jahrzehnten. Die Marke von 600 Milliarden hatten die Hypotheken im November 2005 übertroffen.
Das Bruttoinlandprodukt konnte da längst nicht mithalten. Blickt man der Vergleichbarkeit wegen nicht auf monatliche, sondern auf jährliche Zahlen, so ergibt sich für die zwei Jahrzehnte von 2003 bis 2023 folgendes Bild: Eine Zunahme von 110 Prozent bei den Hypotheken, von 117 Prozent bei den Eigenheimpreisen (also jeweils mehr als eine Verdoppelung); von nur 65 Prozent beim Bruttoinlandprodukt und von gerade einmal 11 Prozent beim Durchschnitt aller Konsumentenpreise.
Die Hypotheken sind also zwei Jahrzehnte lang schneller gewachsen als das Bruttoinlandprodukt. Die Folge davon ist, dass ihre Bedeutung für die Schweizer Wirtschaft in jeder Hinsicht stark zugenommen hat. Sie machen nicht nur die besagten 85 Prozent aller Bankenkredite aus. Ihr gesamtes Volumen übertraf im Jahr 2023 das Bruttoinlandprodukt überdeutlich – um fast 50 Prozent.
Die Banken in der Schweiz haben «The Great Mortgaging» erlebt, wie dieser Wandel in einer Studie genannt wird. Auf Deutsch wäre das in etwa «Die grosse Hypothekarisierung». Nicht nur in der Schweiz, sondern in den meisten Industriestaaten habe es eine «Explosion der Hypothekarvergabe» gegeben und Banken würden nicht länger primär Geld an Unternehmen verleihen, welche dieses in Maschinen oder Erfindungen investieren. Neu seien sie laut der Studie «primär Immobilien-Kreditgeber».
Derzeit sieht es so aus, als würde sich dieser Trend hierzulande ungebremst fortsetzen. Denn selbst eine Zinswende konnte ihn nicht stoppen, auch wenn der damalige SNB-Vizepräsident im Sommer 2022 gewarnt hatte, sie könne «eine Korrektur am Hypothekar- und Immobilienmarkt auslösen».
Gut zwei Jahre später sinken die Zinsen wieder, und der künftige SNB-Chef Martin Schlegel sagte zuletzt: «Das Risiko einer Korrektur ist kurzfristig natürlich kleiner geworden.» Damit meinte er, dass es beispielsweise weniger wahrscheinlich geworden ist, dass die Immobilienpreise bald stark fallen oder das Wachstum der Hypotheken zum Stillstand kommt.
Somit ist es sozusagen offiziell von der SNB bestätigt: Auch die Zinswende hat den Immobilien- und Hypothekenboom nicht stoppen können. Und Martin Schlegel bleibt nur zu tun, was vor ihm schon zwei seiner Vorgänger als SNB-Direktoren getan haben, nämlich die Banken zu warnen, trotz allem wachsam zu bleiben.
Schon vor rund zehn Jahren, im Winter 2014, mahnte der Vorvorgänger von Schlegel als Vizepräsident der SNB: «Der Immobilienmarkt befindet sich in der Gefahrenzone. Das Risiko einer Korrektur ist gross.» Vergangene Woche sagte Schlegel, durch die tieferen Zinsen werde die «Verwundbarkeit» langfristig zunehmen. «Die Immobilienpreise sind nicht mehr erklärbar.»
Wo sich der Immobilienmarkt nun hinbewegt, haben die Ökonomen der Grossbank UBS so auf den Punkt gebracht: «Zurück in die Tiefzinswelt.» Diese Rückkehr werde zufolge haben, dass das Kaufen von Wohnraum schon bald wieder günstiger sein werde als das Mieten. Zumal diese Mieten weiter stark ansteigen würden.
Für die Immobilienpreise bedeutet dies, dass es noch mehr in die Höhe geht – die Frage ist nur, wie schnell. «Vorerst» ist das Tempo laut UBS nicht wieder so hoch wie vor der Zinswende. Für 2025 sei aber bereits mit einem Anstieg der Eigenheimpreise um 3,5 Prozent zu rechnen.
Sinken die Zinsen, wird der Anlagenotstand wieder grösser, weil beispielsweise Anleihen vom Bund weniger abwerfen, ebenso von Kantonen oder Unternehmen. In dieser Not werden wieder mehr Pensionskassen oder Versicherungen ihr Glück in Immobilien versuchen, diese kaufen und vermieten.
In Zürich, dem grössten regionalen Markt, seien Eigenheime zwar schon heute kaum mehr bezahlbar, dennoch werde es laut den UBS-Ökonomen «sogar noch teurer». Die Nachfrage werde unter anderem von einem neuartigen Trend gestützt: Im eigenen Heim zu leben, werde zunehmend als «Luxusgut» wahrgenommen und als «Statussymbol». (aargauerzeitung.ch)