Der Schweizer Souverän hat die Initiative für ein Tabakwerbeverbot mit 57 Prozent der Stimmen klar angenommen. Eine schwere Klatsche für Bundesrat und Parlament, die das Anliegen ablehnten.
Die linken Parteien feiern das als Sieg des Volkes über den Lobbysumpf in Bern. SVP-Exponenten werfen dem Initiativkomitee hingegen ein geschicktes Unterdrücken von Tatsachen vor.
Wer hat recht? Wie kam es zu diesem deutlichen Ja? Wie steht die Schweiz nun international da? Und vor allem: Ist das das Ende der Schweizer Tabaklobby? Eine Übersicht.
Herr und Frau Schweizer waren noch nie bekannt dafür, an der Urne sonderlich progressiv zu sein. Experimentelle Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen werden meist chancenlos abgeschmettert.
Die hiesige Stimmbevölkerung folgt meist der Taktik des Zurücklehnens und Beobachtens: Am Status Quo wird erst gerüttelt, wenn die Folgen klar absehbar sind.
Die Abstimmung über das Tabakwerbeverbot bestätigt dieses Vorurteil. Vier Anläufe hat das Anliegen gebraucht. Ähnliche Volksbegehren in den Jahren 1979, 1993 und 2012 wurden abgelehnt.
Vor 43 Jahren wäre ein Werbeverbot revolutionär gewesen, die Schweiz weltweit Vorreiter. 2022 ist Prävention ein gut erforschtes und breit akzeptiertes Instrument der Gesundheitspolitik. Nicht zuletzt auch dank der Corona-Massnahmen der letzten zwei Jahre. Dass Rauchen zu den grössten Gefahren für die Gesundheit gehört, ist zudem nicht mehr Thema von Debatten, sondern gesellschaftlicher Konsens. Die Diskrepanz zwischen den Ansichten der Bevölkerung und dem Gesetz dürften also schlicht zu gross geworden sein, während die Mehrheit in Bern auf diesem Auge blind war.
Der Politologe Urs Bieri von gfs.bern sieht das ähnlich: «Es gab einen Druck von der Strasse», sagt Bieri. «Das Parlament hat die wirtschaftlichen Folgen in den Vordergrund gestellt. Das Stimmvolk ist in Sachen Prävention aber sehr sensibilisiert.» Rauchen sei als Genussmittel weiterhin toleriert. «Der Raum dafür wird aber zunehmend kleiner. Der Tabakbranche weiterhin Freiheiten einräumen, das wollte eine Mehrheit des Stimmvolks nicht mehr.»
SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen wird noch deutlicher. Ihrer Ansicht nach ist das Ja ein klares Zeichen der Stimmbevölkerung gegen die Tabaklobby in Bern: «Es gibt ein grosses Missverhältnis zwischen den Anliegen der Tabaklobby, die grossen Einfluss hat und der Befürwortung von Prävention in der Schweizer Bevölkerung.»
Anders sieht das der SVP-Nationalrat Mike Egger. Er betont, dass er weder Raucher sei, noch in irgendeiner Weise etwas mit der Tabakindustrie zu tun hätte. «Persönlich ist mir der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Tabakprodukten wichtig. Deshalb haben wir den Gegenvorschlag, welcher unter anderem das Mindestalter 18 vorsieht, unterstützt.» Er habe sich auch aus liberalen Überlegungen gegen die Initiative engagiert. Dementsprechend wenig hält er von der These, dass die Tabaklobby überproportionalen Einfluss gehabt hätte. «Die Stimmbevölkerung hat sich für ein Ja entschieden, weil das Ja-Komitee sehr emotional Werbung für ihr Anliegen gemacht hat.» Dabei hätte man die Vorzüge des Gegenvorschlags bewusst verschwiegen. «Uns ist es hingegen weniger gut gelungen, unsere Argumente zu übermitteln», sagt Egger.
Was auch immer den Ausschlag gegeben hat: Die Initiative ist angenommen. Damit wird der Tabakwerbung faktisch den Garaus gemacht.
Die Schweiz dürfte nun international etwas besser dastehen. Zuletzt bildete sie nämlich im europäischen Vergleich das Schlusslicht, was die Tabakprävention angeht.
Augenscheinlich wird das in der Tobacco Control Scale (TCS), die alle drei Jahre vom Verband der europäischen Krebsligen durchgeführt wird. Sie untersucht, wie fortgeschritten die Tabakprävention in den Ländern Europas ist. Bei der letzten Ausgabe 2019 belegte die Schweiz insgesamt Platz 35 von 36. In der Kategorie Tabakwerbung lag unsereins abgeschlagen auf dem letzten Platz, mit lediglich zwei von dreizehn Punkten.
Nach der Umsetzung dürfte die Schweiz in dieser Kategorie fast die volle Punktzahl erhalten und sich dementsprechend irgendwo im Mittelfeld platzieren.
Prävention besteht jedoch nicht nur aus Werbeverboten, wie auch Mitte-Nationalrat Philipp Kutter anmerkt: «Das Ja-Komitee stilisierte das Werbeverbot zur Lösung aller Probleme hoch. Doch das ist es nicht.»
Kutter engagierte sich aktiv gegen die Initiative, obwohl er gleichzeitig Co-Präsident der Kinderschutzorganisation Alliance Enfance ist. Er zweifelt an der Wirkung von Werbeverboten, würde jedoch andere Anstrengungen in der Prävention begrüssen.
Dies dürfte jedoch schwer werden – was uns zum letzten Punkt führt.
Die Schweiz schnitt in der TCS nämlich nicht nur in der Kategorie Werbung schlecht ab, sondern so ziemlich überall. «Die Schweiz scheint sich mehr für das Wohlergehen der Tabakkonzerne als für die Gesundheit ihrer Bürger zu interessieren», resümierten die Studienautoren.
Das kommt nicht von ungefähr, sondern ist ein Resultat jahrzehntelanger Lobbyarbeit. Zu diesem Ergebnis kommt auch der internationale Tabaklobby-Index, bei der die Schweiz auf dem 79. Platz landete. Nur die Dominikanische Republik schnitt noch schlechter ab.
Recherchen von watson bestätigten dieses Bild. Die Tabaklobby ist weit verzweigt und undurchsichtig. Die Annahme der Initiative wird daran nicht sehr viel ändern.
So dürfte es schwer werden, die Tabakprävention in Zukunft weiter auszubauen. Hohe Tabaksteuern wären dafür das beste Mittel, wie die Autorinnen der TCS schreiben. In der Hälfte der EU-Staaten liegt die Tabaksteuer heute bei 75 Prozent. In der Schweiz bei knapp 52.
Eine Erhöhung der Steuern ist momentan nicht möglich. 2013 hat das Parlament dem Bundesrat die Kompetenz zur Steuererhöhung entzogen. Preiserhöhungen sind dementsprechend nur möglich, wenn die Tabakunternehmen ihren Preis und damit auch ihre Gewinne erhöhen.
Bei weiteren Massnahmen wie der Erhöhung von Präventionsbudgets oder Einführung neutraler Verpackungen dürfte es zu ähnlichem Widerstand kommen.
Doch es gibt eine Alternativlösung, wie SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen sagt: «Mit dieser Abstimmung ist endlich eine Lobby für eine wirksame Gesundheitsprävention entstanden: das Volk».
Bei der Darstellung zu den Todesfällen passt nicht ganz alles zusammen (15% wäre mehr also nur 1 Person auf 15).