Die Schweiz ist ein Paradies für Tabakkonzerne.
Philipp Morris, British American Tobacco und Japan Tobacco International – die grössten Tabakkonzerne der Welt sind hierzulande ansässig. Die Schweiz fungiert mit ihren attraktiven Rechtsvorschriften als perfekter Zufluchtsort und Marketinglabor in einem.
Die Liebesbeziehung zwischen der liberalen Schweiz und der Tabakindustrie, für die Freiheit kein unternehmerischer Luxus, sondern ein Grundbedürfnis geworden ist – sie ging lange gut.
Doch eine Initiative droht die Harmonie zu stören. Am 13. Februar stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung darüber ab, ob Tabakwerbung künftig verboten sein soll.
Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab. Gemäss ersten Umfragen sind rund 70 Prozent der Wählenden klar oder eher dafür.
Woher kommt diese Divergenz? Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich? Ist die Initiative tatsächlich so naiv, wie die Gegnerschaft behauptet? Oder befindet sich die Schweizer Politik in den vergilbten Fängen einer übermächtigen Tabaklobby? Eine Analyse.
Beginnen wir bei den Fakten. Dass die Schweiz ein Paradies für Tabakkonzerne ist, lässt sich nämlich eindeutig beweisen.
Da wäre zum Beispiel die «Tobacco Control Scale», die alle drei Jahre vom Verband der europäischen Krebsligen durchgeführt wird. Sie untersucht, wie fortgeschritten die Tabakprävention in den Ländern Europas ist.
Bei der letzten Ausgabe 2019 belegte die Schweiz insgesamt Platz 35 von 36. Nur Deutschland schnitt schlechter ab. Berücksichtigt man das umfassende Tabakwerbevervot, das unsere nördlichen Nachbarn letztes Jahr eingeführt haben, so dürfte die Schweiz mittlerweile abgeschlagen auf dem letzten Platz liegen.
Die Schweiz bekam sogar noch einen extra Minuspunkt, weil sie das einzige Land in Europa ist, das das Abkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs nicht ratifiziert hat. Sie hat es bei der Verabschiedung 2004 zwar unterschrieben, aber nie umgesetzt.
Auf der Website des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) erfährt man, dass die Ratifikation nach wie vor ein Ziel des Bundesrates sei.
Ein Ja der Bevölkerung am 13. Februar würde eine Ratifikation überflüssig machen. Ironischerweise würde der Bundesrat das Abkommen der WHO aber erst dann übernehmen, wenn die Initiative angenommen würde. «Die Schweiz ratifiziert internationale Konventionen gemäss der gängigen Praxis erst, wenn sie ihre nationale Gesetzgebung angepasst hat», sagte BAG-Mediensprecher Daniel Dauwalder gegenüber «Swissinfo».
Heisst also: Der Bundesrat will das Abkommen prinzipiell ratifizieren und umsetzen. Dafür müssten aber die Gesetze in der Schweiz den Minimalvorgaben des Abkommens entsprechen. Die Tabakwerbeverbots-Initiative würde diese Grundlagen schaffen, denn ein Werbeverbot ist eine Minimalvorgabe der WHO. Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative jedoch ab. Und der Gegenvorschlag wiederum würde den Minimalvorgaben der WHO nicht entsprechen. Die Politik sabotiert sich also selbst.
Stellt sich die Frage: wieso?
Dass Rauchen extrem schädlich ist, wird auch hierzulande niemand abstreiten. Der Bund gibt offen zu, dass der Tabakkonsum «zu den grössten Problemen der öffentlichen Gesundheit» gehört. Dazu ein paar Zahlen:
Dass Bundesrat und Parlament es trotzdem für nicht nötig erachten, Tabakwerbung zu unterbinden, obwohl es genügend Studien gibt, die die Effektivität solcher Massnahmen beweisen (dazu gleich mehr), lässt nur einen Schluss zu: Die wirtschaftlichen Interessen werden höher gewichtet.
Das kommt nicht von ungefähr, sondern ist ein Resultat jahrzehntelanger Lobbyarbeit. Zu diesem Ergebnis kommt auch der internationale Tabaklobby-Index. Insgesamt 80 Länder wurden für den Bericht genauer unter die Lupe genommen. Es wurde untersucht, wie gross die Anstrengungen der jeweiligen Regierungen gegen die Einflussnahme der Tabakindustrie sind.
Die Bilanz fiel ernüchternd aus: Die Schweiz landete auf dem 79. Platz, nur die Dominikanische Republik schnitt noch schlechter ab.
Der Bericht kritisiert die Schweiz auf allen Ebenen. Es gebe keine formellen Regeln gegen die Beteiligung der Tabakindustrie an der öffentlichen Gesundheitspolitik. Keine Richtlinien, die Bundesämter oder einzelne Beamte daran hindern, Partnerschaften mit der Tabakindustrie einzugehen. Keine Gesetze, welche die Bundesverwaltung verpflichtet, Treffen, Interaktionen oder Spenden mit und von der Tabakindustrie öffentlich bekannt zu geben.
Da verwundert es nicht, dass die Schweiz 2019 einen Skandal auslöste, als bekannt wurde, dass der Schweizer Pavillon bei der Weltausstellung in Dubai von Philip Morris hätte gesponsort werden sollen. Erst auf massiven Druck von Ärzten, Gesundheitspolitikerinnen und der WHO sah Aussenminister Ignazio Cassis – seines Zeichens selbst Arzt – davon ab.
Die Expo-Affäre steht stellvertretend für eine Schweizer Politik, die unter starken Einfluss der Tabakindustrie steht. Dass die Verbandelung von Philip Morris und Co. zur Politik hingegen so öffentlichkeitswirksam zutage tritt, ist eher selten. Die Tabaklobby besteht aus einem undurchsichtigen Netzwerk an Allianzen, Organisationen und Lobbyisten.
watson hat sich für diese Analyse die Verbindungen der Tabakindustrie zur Schweizer Politik etwas genauer angesehen. Dabei stellte sich heraus, dass mindestens 41 Parlamentarier und Parlamentarierinnen direkte oder indirekte Verbindungen zur Tabakindustrie haben, wie folgende Infografik aufzeigt:
Im Mittelpunkt steht die «Allianz der Wirtschaft für eine massvolle Präventionspolitik» (AWMP). Die AWMP wendet sich gegen neue Eingriffe in die freie Marktwirtschaft durch eine noch höhere Regulierungsdichte. Sie ist 2007 unter der Federführung des Schweizerischen Gewerbeverbands entstanden. Sie wird von der SVP und der Mitte unterstützt. Mitte-Nationalrat Alois Gmür ist offiziell Mitglied.
Partnerorganisation der AWMP ist unter anderem «Swiss Cigarette». Der Verein wurde von den drei grossen Tabakmultis Japan International Tobacco, British American Tobacco und Philip Morris gegründet. FDP-Nationalrat Philippe Nantermod hat eine seiner zwei Lobbyisten-Zutrittskarten Martin Kuonen, Geschäftsführer von «Swiss Cigarette», zur Verfügung gestellt.
Der Verein ist zudem Mitglied von Economiesuisse, dem Schweizer Wirtschaftsdachverband. Auch beim Schweizer Arbeitgeberverband ist «Swiss Cigarette» Mitglied. Die AWMP ist ihrerseits sogar Partnerorganisation beider Wirtschaftsverbände, welche grossen Einfluss im Parlament haben.
Die Tabakindustrie hat es noch auf weiteren Wegen geschafft, sich Einfluss im Parlament zu verschaffen (siehe Infografik). Die Liste dürfte indes unvollständig sein, denn die Beziehungen von Parlamentariern und Lobbyisten sind nicht immer transparent. So tarnen akkreditierte Personen mit Zutritt zum Parlament ihr Kernmandat oft, indem zum Beispiel einfach eine PR-Agentur angegeben wird.
Mitte-Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel sagte dem Westschweizer Fernsehen RTS 2018: «Es gibt eine Tabaklobby im Schweizer Parlament. Zwar nicht offiziell, aber bestens vertreten durch den Schweizerischen Gewerbeverband.»
Mit dieser Ausgangslage ist klar, wieso es Verschärfungen der Tabakpolitik schwer haben in der Schweiz. Ein erster Entwurf des kürzlich verabschiedeten Tabakproduktgesetz wurde 2015 vom Parlament zurückgewiesen. Er hätte den Mindestanforderungen der WHO-Konvention entsprochen. Das Gesetz wurde daraufhin überarbeitet und stark verwässert – und am 21. Oktober 2021 dann vom Parlament gebilligt.
Seit Jahren schon wiederholt sich dieses Szenario, und jeder Versuch, das Schweizer Recht mit der WHO-Konvention in Einklang zu bringen, stösst auf eine gemeinsame Front von Parlamentarierinnen, die sich auf die Seite der Tabakunternehmen stellen.
Die Tabakwerbeverbots-Initiative könnte diesen Bann nun durchbrechen. Parlament und Bundesrat lehnen sie zwar ab, aber das letzte Wort hat das Volk.
Die Gegner wollen dies natürlich verhindern. Dafür wird das bewährte Schreckgespenst Liberalismus-Bedrohung gesetzt. Das Nein-Komitee behauptet, dass ein Werbeverbot «extrem und unnötig» sei. Die Wirtschaftsfreiheit stehe auf dem Spiel. Zudem sei es «naiv zu glauben, dass Werbung der Kern allen Übels ist».
Ist es naiv?
Die Wissenschaft sagt da etwas anderes. Die Weltbank kam schon vor 20 Jahren zum Schluss, dass Werbeeinschränkungen klar zu weniger Tabakkonsum führen.
Neuere Studien aus Grossbritannien kommen zum gleichen Ergebnis. Eine wiederholte Befragung bei 1300 Kindern im Alter von 11–16 Jahren vor dem Werbeverbot (2011) und nach dem Verbot (2016) kam zu dem Ergebnis, dass die Neigung zum Rauchen vor dem Verbot 97 Prozent höher war. Zu ähnlichen Ergebnissen kam diese Langzeitstudie des britischen «National Institute for Health Research».
Hinzu kommen weitere Beispiele aus Grossbritannien, sowie eine neuere Studie der EU, in der gezeigt wird, dass vor allem jüngere Leute mit einem Werbeverbot vom Rauchen abgehalten werden. Der legendäre Surgeon-General-Report aus den USA belegt zudem, dass nur allumfassende Werbeverbote wirklich wirksam sind, da Schlupflöcher, wie sie der Gegenvorschlag bietet, schonungslos von der Industrie ausgenutzt werden.
Das Nein-Komitee argumentiert hingegen, dass andere Länder, allen voran Frankreich, trotz Werbeverboten einen höheren Raucheranteil aufweisen als die Schweiz. Ein cleverer Schachzug, nur sagt dies nichts über den Nutzen von Werbeverboten aus. Die Raucherquote wird durch eine Vielzahl an Faktoren bestimmt, ausserdem ist nicht wichtig, ob ein Land mehr Raucherinnen hat, sondern wie stark die Raucherquote nach Einführung von Werbeverboten gesunken ist.
Ironischerweise ist Frankreich dabei ein gutes Beispiel. 2016 entschied das Land, dass Tabakprodukte nur noch in neutralen Verpackungen verkauft werden dürfen. Laut OECD-Statistik sank der Anteil Raucher in den folgenden Jahren von knapp 30 Prozent auf heuer gut 22 Prozent.
Natürlich tragen auch höhere Steuern und andere Massnahmen zu tieferen Rauchquoten bei. Trotzdem: In der Schweiz blieb der Anteil Raucherinnen in derselben Zeitspanne praktisch unverändert.
Die Liste an Studien und Statistiken könnte hier beliebig fortgeführt werden. Australien, Neuseeland, die USA, Singapur, Hongkong – die Wirkung von Tabakwerbeverboten sollte wirklich nicht mehr Thema einer Debatte sein.
Und doch ist sie es in der Schweiz. Dabei ist dies selbst aus liberaler Sicht nur schwer zu verstehen. Klar, die Tabakindustrie generiert Milliarden für die Schweizer Wirtschaft. Laut einem Bericht des Wirtschaftsprüfers KPMG vom Oktober 2017 tragen die Tabakunternehmen jährlich rund 6 Milliarden Franken zur Schweizer Wirtschaft bei und stellen rund 11'500 Arbeitsplätze.
Gleichzeitig kosten die gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums rund 5.6 Milliarden Franken im Jahr. Unter dem Strich ist es also ein Nullsummenspiel. Mit dem Unterschied, dass zusätzlich fast 10'000 Personen jährlich sterben.
Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist das nur schwer schönzureden.
Und die Profiteure von der SVP an fordester Front. Und ja. SVP ist, wenn Geld und Gier vor Mensch und Moral kommen. Und ja. Die SVP schadet. Immer und überall.
merci dafür :)
Als langjähriger starker Raucher (von 15-31 täglich 20-40 Zigaretten, seit nunmehr genau 10 Jahren glücklich rauchfrei) muss ich klar sagen, dass ich damals auch darum anfing, weil Zigaretten allgegenwärtig waren in Werbung und Gesellschaft. überall wurde gepafft, überall war es verfügbar, überall war es bepriesen, alles war damit in Verbindung.
Die coole Camel Trophy, das geile Mclaren-Marlboro-Rennauto, die hippe Parisienne-Einladung zum Club, usw.
mMn ist das Werbeverbot der initiative tatsächlich nicht mal radikal genug!