Schweiz
Zürich

Daniel rettet Frau aus brennender Wohnung – und macht Passanten Vorwürfe

Brand in Zürcher Kreis 2
Daniel* vor der Wohnung, aus der Mitte September Rauch austrat.bild: watson

Daniel* rettet Frau aus brennender Wohnung – und macht den Passanten schwere Vorwürfe

Bei einem Brand im Zürcher Kreis 2 rettete ein Mann eine Frau aus dem Rauch. Auch wenn er dabei beste Absichten hatte, war sein Vorgehen ziemlich gefährlich.
03.10.2023, 05:14
Corsin Manser
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Nachdenklich steht Daniel vor dem Mehrfamilienhaus, aus dem er vor zwei Wochen eine Frau gerettet hat. Er blickt zum Balkon im ersten Stock und sagt: «Hier stand ich und habe um Hilfe geschrien.»

Seinen richtigen Namen will Daniel nicht in den Medien lesen. Es gehe ihm nicht darum, als Helden gefeiert zu werden, sagt er. Dennoch möchte er erzählen, was er am Nachmittag des 12. Septembers erlebt hat. Denn das Verhalten der Passanten geht ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Der Brand und die Rettung

Gemäss Daniels Aussagen hat sich Folgendes abgespielt:

Es ist Dienstagnachmittag, als er mit seinem Motorrad im Zürcher Kreis 2 auf dem Nachhauseweg ist. Er passiert die Google-Büros und das Hürlimann-Areal, rechts von ihm tauchen Wohnblöcke auf. Daniel sieht, dass aus einem Fenster Rauch austritt. Er zögert nicht lange und stellt sein Motorrad ab. Er will wissen, was passiert ist, ob jemand Hilfe braucht.

Daniel eilt ums Haus und findet den Haupteingang. Er klingelt bei allen Wohnungen, doch niemand öffnet. Also begibt er sich wieder zur Hauptstrasse. Er bittet Passanten, ihm zu helfen, die Polizei zu rufen. Doch sie ignorieren ihn. Starren auf ihr Handy und laufen weiter.

Daniel macht auf eigene Faust weiter. Er sieht, dass die Balkontüre offensteht, und beschliesst, auf den Balkon zu klettern.

Er geht in die Wohnung und trifft auf die Bewohnerin. Ihre Haare brennen bereits, doch sie denkt nicht daran, nach draussen zu gehen. Sie will stattdessen den Brand löschen. Daniel packt sie und zerrt sie gegen ihren Willen auf den Balkon.

Auf dem Balkon angekommen, schreit Daniel um Hilfe. Jemand soll ihn dabei unterstützen, die Frau vom Balkon zu heben. Doch zum Erstaunen Daniels reagiert wiederum niemand. Zwar hat das Feuer Schaulustige angelockt, doch diese eilen nicht zur Hilfe. Stattdessen zücken sie ihre Handys und filmen den Brand.

Brandschenkestrasse
Blick auf die Brandschenkenstrasse, wo sich der Brand ereignete.bild: watson

Daniel ist erschöpft, setzt sich hin und versucht, frische Luft in die Lungen zu bekommen. In diesem Moment entwischt ihm die Bewohnerin und begibt sich erneut in die Wohnung. Sie will immer noch den Brand löschen. Daniel folgt ihr und zerrt sie wiederum auf den Balkon.

Mittlerweile hat eine Frau die Polizei alarmiert. Zwei Männer sind zudem auf den Balkon geklettert, um Daniel zu helfen. Wenige Minuten später steigt auch ein Polizist hoch. Sie wollen helfen, die verletzte Frau, vom Balkon zu heben.

Doch Daniel hört, dass eine weitere Person in die brennende Wohnung getreten ist. Sie muss durch die Wohnungstür ins Innere gelangt sein.

Daniel will auch diese Person auf den Balkon holen. Doch der Polizist rät davon ab, nochmals ins Innere zu gehen.

Ein Mann reicht Daniel eine Wasserflasche, womit er sein T-Shirt benetzt. Er hält sich das nasse Kleidungsstück um die Nase und den Mund, geht trotz der Anweisungen des Polizisten noch einmal in die Wohnung. Daniel bringt auch die zweite Person auf den Balkon. Es ist der Vater der Bewohnerin, der helfen wollte.

Mithilfe der Polizei können die Personen vom Balkon evakuiert werden. Alle überleben den Vorfall. Die Bewohnerin muss wegen der Brandverletzungen jedoch über zwei Wochen im Spital bleiben.

Die Vorwürfe an die Passanten

Tags darauf erhält Daniel einen Brief der Stadtpolizei Zürich. Sie spricht ihm für den «beherzten und äusserst mutigen Einsatz» ein «grosses Lob» aus. Als Dankeschön gibt es ein kleines Präsent in Form eines Portemonnaies.

«Ich habe nach Instinkt gehandelt», erzählt Daniel, als wir den Ort des Brandes besuchen. Von aussen sind keine Spuren mehr sichtbar. Die beschädigten Fenster wurden ersetzt.

Hinter dem Haus treffen wir auf die Mutter der verletzten Bewohnerin. Sie bedankt sich bei Daniel, bezeichnet ihn als «Helden». Die Strasse sei voll mit Menschen gewesen, aber nur Daniel habe geholfen, sagt sie.

Daniel versteht nicht, warum ihm niemand half, als er darum bat. «Wir müssen einander doch helfen. Jeder kann in eine solche Situation geraten. Das nächste Mal könnte es ein Kind oder ich selber sein.»

Es sei zwar nachvollziehbar, dass man in einer solchen Situation nicht auf den Balkon klettere. «Aber jemand hätte doch unter den Balkon stehen können, um die Frau auf die Strasse zu heben», so Daniel. «Was mich auch stört, sind die Menschen, die ich gleich zu Beginn angesprochen habe. Sie haben mit Ohrstöpsel in den Ohren und Blick aufs Handy den Rauch aus dem Fenster einfach ignoriert.»

Trotz der Anerkennung ist Daniel auch irritiert ob des Verhaltens der Polizei. Weshalb sagte der Polizist auf dem Balkon, dass er nicht hineingehen solle, um den Mann zu retten?

Rettungskräfte warnen vor Betreten von brennenden Gebäuden

Die Stadtpolizei Zürich kann auf den konkreten Fall nicht eingehen, da der entsprechende Polizist momentan nicht befragt werden kann. Mediensprecher Marc Surber hält aber allgemein fest: «Ein Brand birgt grosse Gefahren, nicht nur solche, die gesehen werden, wie zum Beispiel das lodernde Feuer oder der Rauch. Es können unsichtbare, giftige Gase entstehen.»

Die Polizistinnen und Polizisten würden zwar im Umgang mit Bränden und Feuern geschult, so Surber weiter. «Für sie gilt aber auch, dass sie ein brennendes oder stark mit Rauch gefülltes Gebäude nicht betreten. Dafür sind die Mitarbeitenden der Feuerwehr ausgerüstet und ausgebildet.»

Die eigene Sicherheit gehe vor, so Surber. «Dies gilt auch für Drittpersonen, die nicht selten zu ihrem Schutz durch Einsatzkräfte am Betreten eines brennenden Objektes gehindert werden müssen.»

«Das Problem bei einem Brand ist, dass man das entstandene Kohlenmonoxid weder sieht noch riecht.»
Severin Lutz, Mediensprecher Schutz & Rettung Zürich

Severin Lutz, Mediensprecher von Schutz & Rettung Zürich, mahnt ebenfalls zur Vorsicht. Gegenüber watson sagt er: «Das Problem bei einem Brand ist, dass man das entstandene Kohlenmonoxid weder sieht noch riecht. Wer es einatmet, kann bewusstlos werden oder sich eine Rauchgasintoxikation zuziehen. Dies führt dazu, dass unsere Feuerwehrleute – welche die entsprechende Ausrüstung tragen – anschliessend eine Patientin oder einen Patienten mehr retten und die Sanität eine Person mehr medizinisch behandeln muss.»

Auch wenn es Daniel gut gemeint hat und dieser Fall den Umständen entsprechend glimpflich ausgegangen ist, sollte man sich als Passant oder Drittperson grundsätzlich vorsichtig verhalten und brennende Gebäude meiden. Stattdessen soll so schnell wie möglich professionelle Hilfe geholt werden.

*Name wurde von der Redaktion geändert.

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91 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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PlusUltra
02.10.2023 06:21registriert Juni 2019
Daniel hat instinktiv und richtig gehandelt, das ist ihm hoch anzurechnen! Für die Aussage des Polizisten sollte er Verständnis haben, Selbstschutz wird wohl von Laien in solchen Momenten oft vergessen.

Das Verhalten der Passanten ist einfach nur beschämend! Da kann ich seinen Groll und Ungläubigkeit gut verstehen.

Ich habe mich kürzlich gefragt, was ich im Notfall unbedingt bräuchte aus meiner Wohnung. Es gibt nichts. Keine Ahnung ob das nun traurig ist, aber es schützt mich zumindest davor, mich in Gefahr zu bringen.
Es wäre sicher sinnvoll für jeden, solch ein Szenario mal durchzuspielen!
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tannair
02.10.2023 06:22registriert November 2014
Ich hab als Kind gelernt, wenn es brennt ruf sofort die Feuerwehr, bevor man selber beginnt zu löschen versuchen.
Gelingt es nicht, dann sind Sie unterwegs und können schlimmeres verhindern.
Gelingt es einem das Feuer zu löschen, kann man wieder anrufen und Sie kommen nur noch kontrollieren. Dies sei auch gut wegen der Versicherung.
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Rethinking
02.10.2023 06:05registriert Oktober 2018
Unsere Gesellschaft besteht zu grossen Teilen nur noch aus Arbeit, Konsum und Selbstdarstellung…

Echte Beziehungen, Solidarität etc. sind in den Hintergrund gerückt…
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