Mal ungeachtet der Tatsache, dass 2020 uns bislang so ziemlich alles um die Ohren schlägt, was irgendwie möglich war, kann man nach einigen Wochen Ausnahmezustand dennoch feststellen, dass es so verrückt eigentlich gar nicht mehr ist.
Wir haben uns an die Ausnahme angepasst. Komische Stimmung in Restaurants? Besser als nichts. Mit Schutzmasken in den Supermarkt? Immerhin hat's wieder WC-Papier. Freier Sitzplatz im Ă–V? Nein danke, ich stehe lieber in dieser Ecke hier. This is our life now.
Wenn wir uns an den Anfang zurĂĽckbesinnen, war das jedoch anders. Versuchen wir, die Entwicklung unseres Befindens zu rekonstruieren.
Die Boomer hatten den Summer of Love, die Generation X den Mauerfall. Und die Generation Y? 9/11? Nein, über das macht man keine Witze. Finanzkrise? Meh, langweilig. Als man schon dachte, dass diese Generation kein definierendes Ereignis mehr haben wird, naht Erlösung. Das Coronavirus! Voll in die Fresse. Jedem einzelnen von uns. Perfekt.
Grenzen zu, Läden dicht, Normalität weg. Nicht gerade geil, aber – sind wir mal ehrlich – im ersten Moment schon auch ein wenig aufregend. Längerfristige Konsequenzen werden zugunsten des einmaligen Sensationsgehalt ausgeblendet; fiebrig (IM METAPHORISCHEN SINNE!) wird verfolgt, wie ein Land nach dem anderen alles runterfährt. HO. LY. FLU.
Doch diese Phase hält aufgrund des Ausmasses der Gefährdung (und den damit einhergehenden moralischen Implikationen) nur kurz. Es folgt Phase 2.
Mit der Kampfansage gegen das Coronavirus bricht der Bundesrat im gleichen Zug auch verkrustete Geschäftsstrukturen auf. Selbst die präsenzpflichtgeilsten Chefs des Landes wurden dazu angehalten, wo auch immer möglich Home Office zu verhängen. Das arbeitnehmende Proletariat wird in ein Stadium der enthusiastischen Unruhe versetzt.
Der Umgang mit dieser ausserordentlichen Lage schlägt sich ungefähr in folgenden Aussagen nieder.
Doch auch der Home-O Sapiens entwickelt sich früher oder später weiter ...
Nachdem die neue Realität einigermaseen verarbeitet wurde, geht es nicht lange, ehe die Phase der Vorsatzutopien einsetzt. Es soll sich rückblickend als das goldene Zeitalter der Quarantäne herausstellen. Optimismus lässt Kräfte frei werden, die seit der Turnstunde in der vierten Klasse, als du beim Kegelvölk zuletzt gewählt wurdest, verloren schienen.
Das Sixpack, von dem ich seit vier Silvestern rede? Hol ich mir. Diese Sprache, die mich schon seit Kindstagen fasziniert? Mach ich mir zu eigen. Der Frühlingsputz 2015, den ich seit etwas mehr als einem Jahr vor mich herschiebe? My time to shine. Alkoholpause? Wenn nicht jetzt, wann dann?! Und es geht auch tatsächlich auf. Anfänglich.
Das ganze Brimborium um einen unsichtbaren Widerling verlangt nach kathartischer Entlöhnung. Und zwar im ganz grossen Stil.
Es werden schöne Dinge bestellt – brauchbare, ja gar lebensnotwendige Dinge, zweifelsohne – während die flehenden Hilferufe der überfluteten Pakteboten mit gekonnter Präzision ignoriert werden. Was sein muss muss sein. Und vor allem:
Nachdem das Konsumbedürfnis mit aller Liebkosung und Zärtlichkeit befriedigt wurde, bahnt sich ein Vakuum an, das auch nicht durch eine «Zigi danach» gefüllt werden kann. Auch das spitzbübische Trinken von Quarantinis, Long Isolation Ice Teas, Covid-Politans (und wie sie alle heissen) am helllichten Tag mag nicht mehr über eine gewisse Leere hinwegtäuschen.
Da ist er nun also, der Alltag.
Die Normalität noch ein gutes Stück weit weg und die Stimmung bereits wesentlich weniger prickelnd. Das kann's doch nicht gewesen sein. Und tatsächlich, es tut sich nochmals was. Es werden nämlich landesweit Hobbies akquiriert, dass es nur so «chlöpft» und «tätscht».
Der Social-Media-Kanal von exzessiven Nachtschwärmerinnen wird zum rustikalen Bauernbrot-Back-Channel, der von aufstrebenden Bankern zum packenden-Puzzle-Kanal und jener deines Ex-Partners zum Literatur- und Philosophieclub. What a time to be alive.
Irgendwann (erfahrungsgemäss zwischen dem 18. und dem 19. Bananenbrot) ist das Pulver aber auch wieder verschossen. Die Ablenkungsalternativen sind ausgegangen. Kein Nachschub mehr, System überlastet. Erinnerungen an das WC-Papier-Fiasko vom März werden wach.
Folglich werden die Grenzen ausgelotet. Möglichst weit weg von den eigenen Gedanken. In ein Restaurant. Zu viert. Unter ungemütlichen Umständen. Meinetwegen, mir egal, hab's langsam gesehen. «Päsche und Brigle sollen auch noch kommen.» Sind wir halt zu sechst. Sterben werden wir ja wohl nicht wegen einer Person zu viel. Haha.
Normalität. Ein Hauch davon. Geil. «'Tschudligung? Ah, wir dürfen nicht mehr als fünf Personen sein? Sorry, ja, klar, tut uns leid.»
(Als Erinnerung)
PS: gibts irgendwo noch Hefe?
Top!
Ich mag auch ein Zwickel-Hier...
DafĂĽr macht sich Phase 8 breit: Resignation.