Bei manchen erweckt das Smartphone den Anschein, ein ausgelagertes Organ zu sein. Immer dabei, kompakt und überlebenswichtig. So scheint es zumindest. Schon klar, dass sich um ein derart wichtiges Artefakt unserer Gesellschaft so manche Dramen ranken.
Insbesondere dann, wenn es darum geht, dieses Organ am Laufen zu halten. Dem mitreissenden Kampf um den Akku wird hier darum ein fünfaktiges Drama gewidmet. Hach, Geschichten, die das Leben schreibt ...
Von all den unzähligen, mannigfaltigen Paralleluniversen hat es ausgerechnet dein Universum fertig gebracht, das Handy fachmännisch und einwandfrei über Nacht aufladen zu lassen. Zuverlässig, wackelkontaktfrei und einfach verdammt erwachsen.
Denn das bedeutet für dich einen neuen Tag voller nicht endend wollender Batterieressourcen. Ein prall gefülltes Füllhorn an positiven Emotionen tut sich in dir auf, was einen starken Kontrast zum Abend davor bildet, als der Akku schwächlich in den letzten Atemzügen lag und du stiefmütterlich damit zu wirtschaften gezwungen warst.
Der kerngesund anmutende Zustand deines Akkus weckt die Marie Antoinette in dir; du frönst dem Surfen in Saus und Braus. Jegliche Feeds werden im Akkord aufgefrischt, soziale Kontakte bespasst und die Ohren mit feinster Musik oder den geistreichsten Podcasts verwöhnt, um das Gemüt so in die seidenen Laken des Glücks zu betten. Wohlverdient.
Doch so, wie sich einst die Guillotine auf Marie Antoinettes zartes Genick darnieder legte, so bleibt auch das protzige Gesurfe nicht ohne Konsequenz. Anstatt den erwarteten 98% verbleibende Batterie (waren ja nur ein paar Minuten!) sind es noch etwas über 50% (waren eben doch ein paar Minuten ...). Entsetzen. Schock. Ungläubigkeit.
Das Schlimme daran ist ja, dass es so furchtbar ungerecht, unfair ist. Denn als das Handy neu war, verfügte es technisch gesehen über eine Pferdelunge, war Dauerbrenner, der Stephan Lichtsteiner unter den Smartphones. Und jetzt? Nichts. Nichts, nur das Messer in deinem Rücken.
Der Fall ist glasklar: Tech-Mafia, die Chips einbaut, die deinen Akku nach einer gewissen Zeit unweigerlich erlahmen lassen. Das Opfer: du, die Affiche: skandalös. Sind wir mal ehrlich, ist doch so.
Wie es sich für Gewinnertypen gehört, scheiterst du nicht, sondern lernst. Das spiegelt sich auch in den mantraartigen Floskeln in deinem Kopf wieder, die an philosophischer Tiefe und geistigem Esprit kaum zu übertreffen sind.
Mit diesem verinnerlichten Winner-Mindset machst du dich nun diszipliniert daran, die Ressourcen fortan eisern einzuteilen und dir frivoles, virtuelles Dahinsinnen asketisch vom Mund abzusparen.
Wo Akku gespart wird, fallen Späne – wie man so schön sagt. Das gleissende Verlangen nach Ablenkung, die drahtige Macht der Gewohnheit, die fear of missing out und die spitzbübische Neugier für alles, was trendet, entpuppen sich in dieser Konstellation als die vier apokalyptischen Reiter. Für deinen Akku zumindest.
Ohne deine aktive Kenntnisnahme hat sich der Batterieladestand in unheilige Gefilde stibitzt. Die negativen Gedankenstrudel, die du beim Einschlafen fleissig übst, präsentieren sich derweil in beneidenswerter Höchstform.
Diese bleischwere Gemütssenke wird jedoch von einem durchaus genialen Gedankenblitz ausgehebelt: Den Akku einfach zwischendurch mal wieder aufladen, bevor du aufbrichst. Ein Krisenmanagement derart on fleek, dass die Swissair Laudationen am Laufmeter auf dich halten würde, wenn es sie denn noch gäbe.
Wahnsinn, nöd?
Kurioserweise merkst du erst eins vor Aufbruch, dass du vor lauter scrollen, swipen, liken und refreshen vergessen hast, das Handy auch effektiv aufzuladen. Zum Glück hast du ja eine Powerbank. Jene Powerbank, die seit dem ersten Gebrauch leer ist und die du dir seit Urzeiten schwörst, wieder aufzuladen.
Apropos Uhrzeit: Du stürmst hastig (und aufgrund deines Versagens der unpässlichen Umstände ordentlich misanthropisch) los. Nix mit YouTube, Instagram, WhatsApp und Co. unterwegs, jetzt herrscht Notstand und folglich ein brutales Akku-Sparregime. Du siehst dich gezwungen, deinen Blick in jener Umwelt umherschweifen zu lassen, die deine Misere aufgrund ihrer Existenz erst ermöglicht.
Dein Akku hangelt sich mit letzter Kraft mutig und tapfer zum Treffen mit deinen Freunden, jener Oase, von der du dir versprichst, die so dringend benötigte Energiequelle zu finden (natürlich nicht im sozialen Sinne gemeint). Doch die Oase entpuppt sich als gnadenloser Hort natürlicher Selektion.
Und egal, wie sich diese nervlich äusserst prekäre Situation letztlich auflöst – du freust dich bereits auf den Moment, wenn du abends nach Hause kommst und dein Handy in Ruhe an das zu kurze Ladekabel schliessen und in der daraus resultierenden unbequemen Position deine Feeds refreshen kannst, während Netflix im Hintergrund mit mütterlicher Fürsorge jene Serie wiedergibt, die du schon 63 Mal gesehen hast.
Positiver Nebeneffekt: Der Chef nervt nicht mit Anrufen, Whatsapp, Zoom etc.