«Beni» Thurnheer ist pensioniert. Wenn ich nicht gemerkt habe, dass ich älter werde, dann weiss ich es jetzt. TV-Sport ohne «Beni». Ich habe gar nie gedacht, dass das überhaupt möglich sein könnte. Da kann ich nur sagen: Ach, Amerika, du hast es besser. Zumindest in dieser Beziehung.
Das TV- und Mediengeschäft in den USA ist uns um Lichtjahre voraus. In den USA arbeiten TV-Reporter in der Regel bis zum Ende ihres Lebens. In Amerika sind kultige TV-Figuren wie der «Beni» bis ins höchste Alter auf dem Bildschirm präsent und beliebter als all die föhnfrisierten jungen Plauderi oder die sexy Mikrofon-Mäuse.
Es macht ja keinen Sinn, dass jene, die am meisten Erfahrung und Wissen haben, die uns ein Ereignis erklären und einordnen, die uns die Welt erklären können, die bei uns die tiefsten nostalgischen Gefühle wecken, die uns seit der Schulzeit vertraut sind, deren Stimme so unverwechselbar ist, einfach ohne Not, nur weil es die Bürohengste des Staatsfernsehens und die Reglemente so wollen, vom Bildschirm verschwinden und in Pension geschickt werden. In Amerika müsste ich diese Zeilen nicht schreiben. Weil uns «Beni» noch jahrelang durch den Sport und durchs Leben begleiten würde.
Mit Bernard Thurnheer geht, um ein Klischee, einen Superlativ aus dem Sport zu bemühen, einer der Grössten, einer der Besten aller Zeiten. Wie gute Geister begleiten uns im Leben nicht nur vertraute Melodien, Gerüche, Landschaften und Gesichter. Sondern auch Sportreporter. Ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre, wie Karl Erb fast in Tränen ausbrach, als er 1972 in den frühen Morgenstunden (wegen der Zeitverschiebung) Marie-Theres Nadigs und Bernhard Russis Olympia-Goldfahrten aus dem japanischen Sapporo kommentierte. Dass Erb nach nur zwölf Jahren TV-Karriere 1973 Geschäftsmann geworden war und uns im Stich gelassen hatte, konnten wir erst überwinden, als «Beni» 1975 die TV-Bühne betrat.
Er ist einer der Grössten und Besten von allen geworden, weil er den Sport mehr liebt als sich selbst. Das mag nun eine gar schmalzige Formulierung sein. Und trifft doch exakt den Kern der Sache: «Beni» ist ein Sportfan im besten Wortsinne. Er hat nie sich selber zelebriert. Sondern stets den Sport, den er kommentierte. Er machte Sprüche, die sich aus der Situation ergaben – und nicht Sprüche um der Sprüche willen, wie das heute so Mode geworden ist. Das entspricht seiner echten, sympathischen Bescheidenheit und ist der Kern seiner Popularität als Sportreporter.
Ich will das an einem Beispiel erklären, das lange her ist und uns doch das «Phänomen Beni» erklärt. Eishockey-B-WM 1989 in Lillehammer. Wahrlich kein rauschendes Sportfest wie Olympische Spiele oder eine Fussball-WM. «Beni» ist auch da und es gibt ein Spiel, das nicht direkt übertragen wird. Italien gegen die Schweiz. Die Schweiz wird sensationell 6:7 verlieren und den Aufstieg in die A-WM verpassen. «Beni» könnte im Hotel bleiben und müsste sich nicht ins kalte, halbleere Stadion bemühen. Aber er ist da.
Wir stehen ganz unten am Plexiglas hinter dem Tor und fiebern mit, sparen nicht mit gelegentlich hämischen Kommentaren. So wäre es auch auf der Stehrampe. Es ist alles in allem grandiose Unterhaltung und wir vergessen die Zeit. «Beni» hat einfach Spass am Sport, im Herzen ist er ein Fan und deshalb gelingt es ihm, diese Freude am Sport auch dem TV-Zuschauer zu vermitteln.
Die Kritiker, die monieren, er habe in den letzten Jahren hin und wieder Fehler gemacht und Spieler verwechselt und es sei an der Zeit, in Pension zu gehen, wissen nicht, um was es geht. Wer den Sport liebt, will keine fehlerlosen Roboter als Kommentatoren. Perfekte Sportreporter sind langweilig. Die Erotik des Sportes sind Fehler, der Charme der Berichterstattung ist der Irrtum.
Nichts wäre langweiliger als das perfekte Hockey- oder Fussballspiel. Also wollen wir auch keine perfekten Reporter, die uns belehren. Wir wollen Reporter wie «Beni», die uns aufs Vortrefflichste unterhalten. Wenn ich etwas ganz genau wissen will, dann kann ich ja heute im Internet alles über jeden Spieler und jedes Team der Welt nachlesen. Ich will zu einem Sporterlebnis eine vertraute Stimme hören. Jemanden, der mit mir mitfiebert, mitleidet, mitjubelt wie «Beni». Ich will in eine andere Welt versetzt werden, wenn ich diese vertraute Stimme höre. Weil ich dann weiss: Jetzt wird im Sport wieder am grossen Rad gedreht.
«Beni» hat uns wie kein anderer dieses Gefühl vermittelt und sollte er mal einen Fehler gemacht haben, habe ich das gar nie bemerkt. Und jetzt geht er in Pension. Niemand kann ihn ersetzen. Mit Bernard Thurnheer hat unser TV-Sport ein Stück seiner Identität verloren. Ach, etwas von der wunderbaren, guten alten Zeit des Sportes ist unwiederbringlich dahin.