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Das Ende der alten SCB-Ordnung – Ambri ist das Opfer

Berns Ramon Untersander, Mark Arcobello, Marc Kaempf und Vincent Praplan, von links, sind enttaeuscht im Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem SC Bern und dem HC Lugano, am Fr ...
Hängende Köpfe: Was ist bloss mit dem SC Bern los?Bild: KEYSTONE

Die Revolution frisst ihre Kinder: Das Ende der alten SCB-Ordnung – Ambri ist das Opfer

Was ist bloss aus all den klugen Saison-Prognosen geworden? «Totales Hockey», von Ambri «erfunden», setzt sich durch und bestraft die «Schablonisten».
19.10.2019, 18:31
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Eine Zeitenwende? Vielleicht. Oder wird in den Playoffs das Rad der Zeit im nächsten Frühjahr wieder zurückgedreht? So oder so gilt: Noch nie seit Einführung der Playoffs hat sich im Herbst eine bestehende Ordnung so aufgelöst. Selten haben sich so viele vermeintlich kluge Prognosen so schnell in Torheiten verwandelt.

Überraschungen hat es schon immer gegeben. Aber noch nie so viele im gleichen Herbst.
  • Wer hat vorausgesehen, dass Leonardo Genoni mit einer Fangquote von 88,71 Prozent nach mehr als einem Viertel der Saison bloss die Nummer 12 der Liga ist? Und eine Direktbegegnung mit Lakers-Torhüter Noël Bader mit 88,46 zu 95,24 Prozent (und 2:3) verliert? Niemand.
  • Wer wagte die Prognose, dass die SCL Tigers und Meister Bern im späten Oktober punktgleich «am Strich» klassiert sind? Niemand.
  • Wer prognostizierte Servette – ohne Chris McSorley an der Bande – nach 14 Runden auf Position drei? Niemand.
  • Wer erwartete Gottéron nach 11 Spielen auf dem letzten Platz und Christian Dubé an der Bande? Niemand.
  • Wer hat auch nur zu denken gewagt, dass Meister SC Bern nach 13 Spielen am zweitmeisten Gegentreffer einkassiert hat? Niemand.
  • Wer traute dem rundum erneuerten HC Davos zu, nach dem ersten Heimspiel die Tabelle nach Verlustpunkten anzuführen? Niemand.
  • Wer hatte den Mut zur Weissagung, SCB-Star Mark Arcobello werde nach 13 Spielen bloss auf Position 15 der Skorerliste stehen und schon mit einem Dreijahresvertrag mit Lugano in der Tasche? Niemand.

Die alte Ordnung löst sich auf – auch in Bern

Fast punktgenau hat sich nur Ambri an die Saisonprognosen gehalten und steht nach 13 Partien auf dem 11. und zweitletzten Platz. So wie es die meisten erwartet haben.

Ambri als letzter Leuchtturm der Liga, an dem wir uns noch ein wenig orientieren können. Und ausgerechnet Ambri ist das Opfer der Revolution, die es selbst mitausgelöst hat.

Der Blick auf die Statistik zeigt uns, wie beschwerlich der Alltag des letztjährigen Überraschungsteams geworden ist. Vor einem Jahr lag Ambri nach zehn Runden mit 21 Punkten und einem Torverhältnis von 34:35 auf Position 7 der Tabelle, geriet nie in Gefahr, die Playoffs zu verpassen und erreichte schliesslich den 5. Schlussrang und die Champions Hockey League.

Jetzt ist es bei 15 Punkten und einem Torverhältnis von 29:35 der 11. und zweitletzte Platz. Ein langer, beschwerlicher Kampf um die letzten Playoffplätze hat begonnen.

Die raue Wirklichkeit kommt nicht überraschend und führt deshalb auch nicht zu Unruhe. Ambri zelebriert die hohe Kunst der Geduld. Die Kunst, die Nerven nicht zu verlieren. Auch ein Lehrstück. Behält auch SCB-Manager und -Mitbesitzer Marc Lüthi die Nerven? Die Stadionauslastung ist trotz den Derbys gegen Langnau und Biel im Vorjahr von 95,65 auf 93,84 Prozent zurückgegangen. Ein Trend, der den SCB-Lebensnerv trifft.

Ambri ist sich treu geblieben

Die populärste Erklärung für Ambris schwierigen Herbst ist natürlich der Verlust von Liga-Topskorer Dominik Kubalik. Er stürmt nun bei Chicago in der NHL und die famose erste Linie mit ihm und Marco Müller und Dominic Zwerger, die letzte Saison 56 von 138 Toren zelebriert hat, gibt es nicht mehr.

Spieler kommen und gehen – der Stil aber bleibt bestehen. Ambri ist sich treu geblieben: Aktives, aggressives Spiel auf dem ganzen Eisfeld. Die Scheibe jagen, die Gegenspieler unablässig unter Druck setzen. Laufen, laufen, laufen. In Langnau hat ein zähes, leidenschaftliches und mutiges Ambri so nach Penaltys gewonnen (4:3).

Es ist das moderne, «totale» Hockey. Mit diesem Stil war Trainer Luca Cereda in seiner ersten Saison vor zwei Jahren im Herbst 2017 ein Trendsetter und noch vor Langnaus Heinz Ehlers Auslöser einer spielerisch-taktischen Revolution, die unsere Liga noch besser macht und die alte Ordnung nach und nach auflöst.

Ambri war der erste Aussenseiter, der es wagte, konsequent dieses anspruchsvolle Hockey zuspielen. Und nun sind die ZSC Lions in diesem Stil an die Tabellenspitze gebraust. Biel ist so ein Spitzenteam geworden. Dem HCD gelingt so die Erneuerung. Lugano und Servette sind so in die Spitzengruppe gestürmt und die Lakers aus dem Tabellenkeller gerauscht. Nur die Zuger kommen noch nicht recht auf die gewünschten Resultate.

Im Gegenzug hat das konservative Schablonen-Hockey drei Grossen oder vermeintlich Grossen – Meister Bern, Lausanne und Gottéron – erst einmal Rückschritte beschert.

Aus der Geschichte wissen wir, dass eine Revolution manchmal ihre Kinder frisst – und so ist Ambri (aber teilweise auch Langnau) in gewisser Weise ein Opfer einer Entwicklung, die es initiiert hat.

Wenn dieses «totale» Hockey nun von den Grossen mit mehr Talent zelebriert wird, hat es ein Aussenseiter erst recht schwer. «Totales» Hockey ist anspruchsvoll, erfordert eine hohe «Kampfbereitschaft» jedes Einzelnen, um ständig «unter Strom» zu sein und das aktive Spiel umsetzen zu können. Dieser Stil braucht viel Energie und führt selbst bei sehr gut besetzten Teams während der Qualifikation eher zu Leistungsschwankungen als defensiver «Schablonismus».

Paolo Duca sagt, Ambri werde diesem anspruchsvollen Stil treu bleiben. «Wir werden sehr stark gefordert. Aber diese schwierige Phase wird uns letztlich in unserer Entwicklung weiterbringen und besser machen.» Ein schwieriger Herbst als Investition in eine bessere Zukunft.

Wer wagt jetzt noch leichten Herzens die Prognose, im nächsten Frühjahr werde der Playoff-Final von 2019 zwischen dem SC Bern und Zug wiederholt?

Niemand.

Wer wagt es, zu orakeln, dass Mark Arcobello noch vor der Zeit von Bern nach Lugano transferiert und der SCB noch mindestens zwei neue Ausländer einkaufen wird?

Wer hat den Mut zur Prognose, dass die «Ära Jalonen», die alte SCB-Ordnung, so überraschend zu Ende gehen wird wie die «Ära Del Curto» in Davos?

Erstaunlicherweise viele SCB-Kenner.

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24 Kommentare
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Willehalm
19.10.2019 11:48registriert Juli 2019
Zu sagen, dass Lausanne mit seinen Schablonen Hockey Rückschritte macht, macht den Fehler die Tabelle nicht richtig zu lesen. Lausanne hat zwei Spiele weniger.
Immer nur von Schablonenhockey oder Torhüter zu sprechen...ist das nicht ein wenig Schablonismus vom Eismeister ?
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goldmandli
19.10.2019 12:43registriert November 2014
Lausanne und Zug stehen nach pkt./Spiel zusammen auf Platz 3. So schlecht stehen diese beiden Teams nun wirklich nicht da.
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Max Dick
19.10.2019 12:56registriert Januar 2017
"Vor einem Jahr lag Ambri nach zehn Runden mit 21 Punkten und einem Torverhältnis von 34:35 auf Position 7 der Tabelle, geriet nie in Gefahr, die Playoffs zu verpassen"

So zur Info: Ambri war letztes Jahr zur Natipause im November auf Rang 10 und der Abstand auf den Strich war grösser, als er es jetzt ist.
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