Eine Zeitenwende? Vielleicht. Oder wird in den Playoffs das Rad der Zeit im nächsten Frühjahr wieder zurückgedreht? So oder so gilt: Noch nie seit Einführung der Playoffs hat sich im Herbst eine bestehende Ordnung so aufgelöst. Selten haben sich so viele vermeintlich kluge Prognosen so schnell in Torheiten verwandelt.
Fast punktgenau hat sich nur Ambri an die Saisonprognosen gehalten und steht nach 13 Partien auf dem 11. und zweitletzten Platz. So wie es die meisten erwartet haben.
Ambri als letzter Leuchtturm der Liga, an dem wir uns noch ein wenig orientieren können. Und ausgerechnet Ambri ist das Opfer der Revolution, die es selbst mitausgelöst hat.
Der Blick auf die Statistik zeigt uns, wie beschwerlich der Alltag des letztjährigen Überraschungsteams geworden ist. Vor einem Jahr lag Ambri nach zehn Runden mit 21 Punkten und einem Torverhältnis von 34:35 auf Position 7 der Tabelle, geriet nie in Gefahr, die Playoffs zu verpassen und erreichte schliesslich den 5. Schlussrang und die Champions Hockey League.
Jetzt ist es bei 15 Punkten und einem Torverhältnis von 29:35 der 11. und zweitletzte Platz. Ein langer, beschwerlicher Kampf um die letzten Playoffplätze hat begonnen.
Die raue Wirklichkeit kommt nicht überraschend und führt deshalb auch nicht zu Unruhe. Ambri zelebriert die hohe Kunst der Geduld. Die Kunst, die Nerven nicht zu verlieren. Auch ein Lehrstück. Behält auch SCB-Manager und -Mitbesitzer Marc Lüthi die Nerven? Die Stadionauslastung ist trotz den Derbys gegen Langnau und Biel im Vorjahr von 95,65 auf 93,84 Prozent zurückgegangen. Ein Trend, der den SCB-Lebensnerv trifft.
«So können wir zu Hause nicht auftreten». Captain Simon Moser nach der heutigen 2:5 Heimniederlage gegen den HC Lugano. pic.twitter.com/lQlwNtQl7y
— SC Bern (@scbern_news) October 18, 2019
Die populärste Erklärung für Ambris schwierigen Herbst ist natürlich der Verlust von Liga-Topskorer Dominik Kubalik. Er stürmt nun bei Chicago in der NHL und die famose erste Linie mit ihm und Marco Müller und Dominic Zwerger, die letzte Saison 56 von 138 Toren zelebriert hat, gibt es nicht mehr.
Spieler kommen und gehen – der Stil aber bleibt bestehen. Ambri ist sich treu geblieben: Aktives, aggressives Spiel auf dem ganzen Eisfeld. Die Scheibe jagen, die Gegenspieler unablässig unter Druck setzen. Laufen, laufen, laufen. In Langnau hat ein zähes, leidenschaftliches und mutiges Ambri so nach Penaltys gewonnen (4:3).
Es ist das moderne, «totale» Hockey. Mit diesem Stil war Trainer Luca Cereda in seiner ersten Saison vor zwei Jahren im Herbst 2017 ein Trendsetter und noch vor Langnaus Heinz Ehlers Auslöser einer spielerisch-taktischen Revolution, die unsere Liga noch besser macht und die alte Ordnung nach und nach auflöst.
Ambri war der erste Aussenseiter, der es wagte, konsequent dieses anspruchsvolle Hockey zuspielen. Und nun sind die ZSC Lions in diesem Stil an die Tabellenspitze gebraust. Biel ist so ein Spitzenteam geworden. Dem HCD gelingt so die Erneuerung. Lugano und Servette sind so in die Spitzengruppe gestürmt und die Lakers aus dem Tabellenkeller gerauscht. Nur die Zuger kommen noch nicht recht auf die gewünschten Resultate.
Im Gegenzug hat das konservative Schablonen-Hockey drei Grossen oder vermeintlich Grossen – Meister Bern, Lausanne und Gottéron – erst einmal Rückschritte beschert.
Aus der Geschichte wissen wir, dass eine Revolution manchmal ihre Kinder frisst – und so ist Ambri (aber teilweise auch Langnau) in gewisser Weise ein Opfer einer Entwicklung, die es initiiert hat.
Wenn dieses «totale» Hockey nun von den Grossen mit mehr Talent zelebriert wird, hat es ein Aussenseiter erst recht schwer. «Totales» Hockey ist anspruchsvoll, erfordert eine hohe «Kampfbereitschaft» jedes Einzelnen, um ständig «unter Strom» zu sein und das aktive Spiel umsetzen zu können. Dieser Stil braucht viel Energie und führt selbst bei sehr gut besetzten Teams während der Qualifikation eher zu Leistungsschwankungen als defensiver «Schablonismus».
Paolo Duca sagt, Ambri werde diesem anspruchsvollen Stil treu bleiben. «Wir werden sehr stark gefordert. Aber diese schwierige Phase wird uns letztlich in unserer Entwicklung weiterbringen und besser machen.» Ein schwieriger Herbst als Investition in eine bessere Zukunft.
Wer wagt jetzt noch leichten Herzens die Prognose, im nächsten Frühjahr werde der Playoff-Final von 2019 zwischen dem SC Bern und Zug wiederholt?
Niemand.
Wer wagt es, zu orakeln, dass Mark Arcobello noch vor der Zeit von Bern nach Lugano transferiert und der SCB noch mindestens zwei neue Ausländer einkaufen wird?
Wer hat den Mut zur Prognose, dass die «Ära Jalonen», die alte SCB-Ordnung, so überraschend zu Ende gehen wird wie die «Ära Del Curto» in Davos?
Erstaunlicherweise viele SCB-Kenner.
Immer nur von Schablonenhockey oder Torhüter zu sprechen...ist das nicht ein wenig Schablonismus vom Eismeister ?
So zur Info: Ambri war letztes Jahr zur Natipause im November auf Rang 10 und der Abstand auf den Strich war grösser, als er es jetzt ist.