Das Trauma ist überwunden: Die ZSC Lions haben sich gegen Biel mit vier Siegen hintereinander für den Halbfinal qualifiziert. Erst in dieser vierten Partie waren die Bieler chancenlos (0:4). Davor waren die Niederlagen knapp bis sehr knapp und dramatisch: 3:4, 1:3 und 2:3 n. V.
Vor einem Jahr scheiterten die ZSC Lions gegen Biel im Halbfinal noch mit vier Niederlagen in Serie (0:1, 0:4, 3:5, 3:5). Eine extreme Umkehrung der Verhältnisse, sind doch beide Teams nach wie vor weitgehend gleich zusammengestellt. Nur der Coach hat bei Biel gewechselt. Erst ist der an Krebs erkrankte Antti Törmänen durch Petri Matikainen ersetzt worden, und seit der zu späten Entlassung des finnischen «Rumpelpsychologen» steht Sportchef Martin Steinegger an der Bande.
Was hat die Differenz für die ZSC Lions gemacht? Was hat zur Umkehr der Verhältnisse in nur einem Jahr geführt? Warum war am Ende Biel als Favorit der Herzen und der Leidenschaft gegen den Favoriten des Verstandes chancenlos? In erster Linie war es eine Frage der Energie. Der zu lange hinausgezögerte Trainerwechsel hat die Bieler bereits beinahe das Play-In gekostet. Während die Zürcher ruhen konnten, hatten sie im Play-In vier zusätzliche Partien gegen Servette und Ambri zu bestreiten.
Kommt dazu: Mit Joren van Pottelberghe (Lugano), Mike Künzle (Zug), Luca Hischier (Servette), Yannick Rathgeb (Gottéron), Tino Kessler (Davos) oder Beat Forster (Rücktritt) gehen per Ende Saison wichtige Spieler. Dieser tiefgreifende Erneuerungsprozess hat seine Schatten vorausgeworfen und ist nicht einfach spurlos an der Kabine vorübergegangen.
Die ZSC Lions sind dagegen nahezu windstill und geräuschlos zum Qualifikationssieg gesegelt. Sie waren nun im Viertelfinal in jeder Beziehung frischer. Eine unerbittliche «Hockeymaschine» ohne Schwachpunkte, die ein leidenschaftliches, mutiges Biel in Schach gehalten und in gewisser Weise zermürbt hat.
Für Biel ist eine Ära zu Ende gegangen, die am 11. Dezember 2017 mit der Verpflichtung von Trainer Antti Törmänen begann. Zusammen mit seinem finnischen Trainer stellt Martin Steinegger nicht nur eine Mannschaft zusammen. Er entwickelt vielmehr eine ganz eigene, unverwechselbare Spiel- und Leistungskultur. Eine «Mischkultur» aus Taktik, Technik und Tempo, aus Disziplin, Leidenschaft und einem familiären Zusammenhalt. Die meisten Spieler sind in diesem Leistungs-Reizklima besser geworden oder haben einen zweiten Frühling erlebt.
Rückblickend zeigt sich: Biel hat mit dem im siebten Spiel verlorenen Final gegen Servette im letzten Frühjahr den Gipfelpunkt erreicht. Vom Gipfel aus geht es in alle Richtungen bergab. Das Zeitalter der Hockey-Romantik geht zu Ende. Nun folgt das Zeitalter der Renaissance (Erneuerung).
Martin Steinegger hat die Mannschaft nach der Entlassung von Petri Matikainen drei Runden vor Qualifikationsschluss übernommen. Er führt die Bieler auf den 9. Platz ins Play-In (punktgleich mit dem 10. Servette) und im Play-In über den Titelverteidiger und Ambri hinweg in den Viertelfinal gegen die ZSC Lions. So wie in jedem Manne ein Kind, so wohnt in jedem Sportchef ein Trainer. Warum nicht Martin Steinegger zum Trainer machen? In der Euphorie spricht eigentlich alles dafür – sein Erfolg und nicht zuletzt die Kosten: Ein Schweizer wird brutto entlöhnt und ist deshalb nur halb so teuer wie ein Ausländer mit Netto-Gehalt.
Der Viertelfinal hat nun eine ernüchternde Wirkung auf diese romantischen Trainer-Träume. Es ist eine heilsame Wirkung, die den Verwaltungsrat vor der Versuchung bewahren wird, ihren wichtigsten Mann der Sportabteilung im Traineramt zu «verheizen».
Es dauert eine gute halbe Stunde, bis Martin Steinegger nach dem 0:4 – und dem Saisonende – Rede und Antwort steht. Den Entscheid, ob er Trainer bleiben wird oder nicht, hat er offiziell noch nicht gefällt. Aber seine Aussagen lassen eine verlässliche Interpretation und Prognose zu: Er wird sich wieder ins Büro des Sportchefs zurückziehen. Das 0:4 gegen die ZSC Lions war sein letztes Spiel als Trainer. Biel sucht einen neuen Trainer.
Martin Steinegger hat die Ära der Hockey-Romantik geprägt. Aber er ist immer ein Realist geblieben. Nach dem ersten Gegentreffer sei klar gewesen, dass Spiel und Viertelfinal verloren sind. Er sagt, nur ein Lucky Punch hätte seine Mannschaft noch einmal aufrichten können. «Nach dem 0:1 war kein Leben mehr auf der Bank. Frei nach Trapattoni war bei uns ‹Flasche leer›.»
Er hadert nicht mit dem Schicksal und mag auch nicht von fehlendem Glück reden. «Die ZSC Lions waren einfach auch um dieses verdiente Glück besser.» Was zur Frage führt: Wer soll die Zürcher stoppen? Sie haben nun zehn Tage – bis zum ersten Halbfinalspiel am Ostermontag – Zeit, um die Energietanks nachzufüllen und ihr Spiel im Training weiter zu justieren.
Was diese Mannschaft unheimlich macht: Sie funktioniert in allen drei Zonen und auch in kritischen Situationen. Sie ist auf allen wichtigen Positionen erstklassig besetzt und spielt mit einer «professionellen Emotionalität», die es so in unserem Hockey vielleicht noch nie gegeben hat: Die ZSC Lions sind keine Romantiker, die auf einer meisterlichen Mission sind, keine Rebellen, die das Hockey aufmischen wollen. Nicht vergleichbar mit dem letzten ZSC-Meisterteam von 2018, das aus der Tiefe der Tabelle nach einem Trainerwechsel vom 7. Platz aus zur Meisterschaft stürmte.
Die ZSC Lions wirken wie eine Gruppe hochmotivierter und hochqualifizierter Facharbeiter, die den Entschluss gefasst haben, ihre Arbeit zu krönen und die Meisterschaft zu gewinnen. So wie das von ihnen erwartet wird und erwartet werden darf. Ein Titelkampf nicht als Abenteuer, nicht als Mission. Sondern eher eine Aufgabe, die es einfach zu erledigen gilt. Das macht diese ZSC Lions zur schier unheimlichen «Hockey-Maschine».
In Zürich geht es also nun um den kurzfristigen Ruhm. In Biel um den langfristigen Neuaufbau. Martin Steinegger sagt auf die Frage nach seiner Zukunft: «Nach einem 0:4 im Viertelfinal muss ein Trainer entlassen werden.» Er sagt es in der ihm eigenen Selbstironie. Aber tief im Herzen seiner Hockey-Seele, dort, wo niemand hineinsieht, ist ihm klar geworden: Nächste Saison steht ein neuer Trainer an der Bande. Offiziell sagt er: «Wir werden die Trainerfrage im April regeln. Wir werden nicht mehr so lange warten wie nach der letzten Saison.» Damals hatten sich die Bieler erst Ende Juni für Petri Matikainen entschieden.
Der Sportchef ist der wichtigste Mann beim Neuaufbau. Wie wichtig diese Position ist, mag ein Beispiel aus dem Kanton zeigen. In den letzten fünf Jahren haben in Bern Alex Chatelain, Raeto Raffainer, Florence Schelling und Andrew Ebbett als Ober-, Unter- oder Nebensportchefs – zeitweise gab es auch noch Ratschläge von ganz oben – das Fundament einer meisterlichen Dynastie abgetragen. In der gleichen Zeitspanne hat Martin Steinegger in Biel – ein Mann also – umsichtig die beste Mannschaft seit dem Wiederaufstieg von 2008 aufgebaut, die im letzten Frühjahr zum ersten Mal in der Geschichte sogar dazu in der Lage war, eine Playoff-Serie gegen den SCB zu gewinnen und den Final zu erreichen. In Biel sind die Strukturen einfach und klar und die Verantwortlichkeiten geregelt. In Bern im sportlichen Bereich eher nicht. Auch künftig wird es mit Martin Plüss und Patrik Bärtschi einen Ober- und Untersportchef geben.
Martin Steinegger als Trainer würde in Biel unweigerlich zu sportadministrativen SCB-Verhältnissen mit unübersichtlichen Kompetenzen und Fluchtkorridoren für die Verantwortung führen. Er könnte die Doppelbelastung Trainer und Sportchef in einer Phase des Neuaufbaus nicht allein stemmen und würde Hilfspersonal in der Sportchefposition benötigen, das aber bei Weitem weder sein Charisma noch seine Fachkompetenz hätte. Und nicht zu unterschätzen: Scheitert der neue Trainer – was nie ganz ausgeschlossen werden kann –, dann ist bereits klar, wer bis Saisonende Nothelfer sein wird: Der Sportchef. So wie diese Saison.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Martin Steinegger ist bei Biel als Sportchef wichtiger denn je. Ja, er ist als Sportchef unersetzlich. Es ist einfacher, eine Mannschaft aus den Tiefen der Tabelle ganz nach oben zu führen als eine Mannschaft, die ganz oben war, zu erneuern. Es ist im Quadrat einfacher, einen Trainer zu finden als einen Sportchef, der Biels DNA lebt und kennt.
PS: Der Welttrainer Jukka Jalonen ist für Biel immer noch zu haben.
Wie habe ich dieses Tempoeishockey made in Biel genossen. Vor allem letztes Jahr.
Nun gut, zurück auf Feld 1, beginnen wir mit Martin Steinegger von (fast ganz) vorn. Dieser Antti fehlt einfach.