Auch unter Patrick Fischer war die zweite Hälfte der Vorrunde bisher aufregend und oft gar dramatisch. Ab und zu reichte es nicht für den Viertelfinal und manchmal schafften die Schweizer die Qualifikation erst im letzten Spiel. Wie 2018. Ein Sieg gegen Frankreich war erforderlich. Nach einem 5:1 ging die Reise weiter bis in den Final von Kopenhagen.
Nun ist schon nach den vier Partien eigentlich alles klar. Es geht «nur» noch darum, den ersten oder zweiten Platz für eine etwas einfachere Aufgabe im Viertelfinal zu verteidigen. Die drei letzten Spiele gegen Norwegen, Ungarn und Kasachstan sind Pflichtübungen gegen «Operetten-Teams». Bis zum nächsten Donnerstag keine sportliche Herausforderung gegen einen Titanen des Welthockeys. Die «leichten Tage von Herning».
Pflichtübungen können manchmal so schwierig sein wie eine Meisterprüfung. In einer Serie von vermeintlich einfachen Gegnern und unbeschwerten Tagen wohnen Dämonen. Sie tragen vielerlei Namen wie Schlendrian, Zerstreutheit, Nachlässigkeit oder Flüchtigkeit. Hockeytechnische «Todsünden». Daraus wird dann unverhofft ein «Blues der leichten Tage». So gesehen ist das «zu null» gegen Norwegen (3:0) auf eine besondere Art eine Meisterleistung.
Patrick Fischer sagt, es gehe darum, nun die guten Gewohnheiten («Winning Habits») beizubehalten. Tatsächlich ist das Erfolgsgeheimnis von erfolgreichen Teams eine Vielzahl von Verhaltensmustern. Dazu gehört bei den Schweizern eine sehr gute, smarte Defensivorganisation. Die Angewohnheit, in jeder Situation auch defensiv zu denken.
Wichtiger als ein Dutzend Spektakel-Tore ist deshalb gegen «Operetten-Teams» ein «zu null». Kein Tor kassiert bedeutet: Alle waren von der ersten bis zur letzten Sekunde aufmerksam. Keiner ist leichtsinnig oder egoistisch geworden. Jeder hat seinen Part im Dienst des Teams geleistet. Auch die offensiven Schillerfalter stellten sich in den Dienst der defensiven Schablone – obwohl gerade gegen die vermeintlich schwächeren Teams die Versuchung des offensiven und spielerischen und sonstigen Leichtsinnes gross ist.
Stéphane Charlin hat gegen Norwegen keinen Gegentreffer zugelassen. Nach dem Ausfall von Nico Hischier amtiert nun Gottérons künftiger Verteidigungsminister Andrea Glauser als Captain. Eine kleine Anmerkung: Zwei Spieler, deren Talent anderorts übersehen worden ist und die in Langnau zu Nationalspielern gereift sind. Das Coaching-Team um Patrick Fischer hat Andrea Glauser einstimmig als neuen Captain bestimmt.
Der Ausfall von Nico Hischier zwingt den Nationaltrainer für die fünfte Partie erneut dazu, die Linien umzustellen. Und trotzdem funktioniert die Mannschaft wieder wie ein Uhrwerk und hält gegen Norwegen das «zu null». Auch in den beiden letzten Vorrunden-Partien am Sonntag gegen Ungarn und am Dienstag gegen Kasachstan keinen Gegentreffer zuzulassen – das ist die eigentliche Herausforderung dieser «leichten und lustigen Tage von Herning». Die Zauberformel «zu null».
Nico Hischier gehört zu den besten Mittelstürmern der Welt. Er kann nicht ersetzt werden. Es gibt bei den Schweizern keinen Einzelspieler, der in seinen Schuhen stehen und seine Rolle übernehmen kann. Es gibt kein Team bei dieser WM, das einen Spieler mit seiner Klasse ersetzen könnte. Und trotzdem ist es möglich, weiterhin erfolgreich zu sein und bis nach Stockholm in den Final zu kommen. Es ist eine Frage der … Romantik.
Die Hoffnung, der NHL-Leitwolf könnte noch einmal ins Turnier zurückkehren, hat sich nicht erfüllt. Aber er bleibt trotzdem bis zum Ende des Turniers beim Team. Einer, der sich in der NHL längst etabliert hat, Multimillionär geworden ist und mit einer WM-Teilnahme nichts mehr zu gewinnen hat, kommt nicht nur jedes Mal – wenn es möglich ist – zur WM. Er bleibt nun bei der Mannschaft, obwohl er nicht mehr mitspielen kann. Ein weiteres Zeichen für eine Besonderheit, die nicht hoch genug bewertet werden kann: für den Zusammenhalt dieses Teams. Oder noch einfacher: für Romantik. Diese Romantik vertreibt auch die Dämonen, die in diesen «leichten und lustigen Tagen von Herning» lauern.
Wir leben heute im Zeitalter der «statistischen Nanotechnik»: Mit Hilfe von Sensoren und Bildermaschinen wird jeder Spielzug durchleuchtet, jede Partie in Einzelteile zerlegt und wieder zusammengesetzt. Die Spieler sind «gläsern»: Wie sie Laufen, den Puck führen, auf Checks reagieren – die Coaches wissen (fast) alles.
Aber je detailreicher Statistiken sind – über die ja alle verfügen –, desto wichtiger wird etwas ganz anderes: die Romantik. Also das, was wir als «Teamgeist» bezeichnen. Der Zusammenhalt. Diese Romantik kann nicht gekauft, sie muss gelebt werden. Deshalb ist der Erfolg nicht käuflich.
Patrick Fischer lobt hier in Herning wiederholt die Einstellung seiner Spieler. Wenn Coaches über die Einstellung reden, dann ist es eben nicht bloss Gerede. Es ist der Hinweis auf das, was den Erfolg am Ende des Tages ausmacht.
«Teambuilding» ist das Modewort für die Romantik des Zusammenhaltes einer Mannschaft. Taktik kann heute fast jeder Bandengeneral. Und wenn er kein taktischer Hexenmeister ist, dann kann er die taktische Ausbildung hochqualifizierten Assistenten überlassen. Das Gespür für die Romantik ist die Fähigkeit, junge Männer, die fürstlich bezahlt werden, um zu spielen, nicht um zu arbeiten, um ein «Lagerfeuer» zu versammeln und aus einer WM-Expedition eine Abenteuerreise zu machen. Dieses Feingefühl ist gerade im technologisierten und kapitalisierten Sport wichtiger denn je – und Patrick Fischers ganz grosse Stärke.