Im Eishockey sind TV- beziehungsweise Video-Bilder seit längerer Zeit ein Hilfsmittel für die Schiedsrichter. Im Fussball hat das Video-Zeitalter gerade begonnen.
Am Anfang steht eine gute Idee. Fehlentscheide sollen vermieden werden. Es kann ja nicht sein, dass Millionen vor dem Bildschirm sehen, dass der Puck oder der Ball nicht im Tor war – und die Schiedsrichter geben den Treffer nicht.
Soweit, so gut. Aber es ist nun mal eine menschliche Tugend (oder Untugend) alles perfektionieren zu wollen. Wo wir doch wissen, dass es niemals eine Perfektion gibt.
So lange die laufenden Bilder dazu benützt werden, zu entscheiden, ob der Puck oder der Ball im Tor ist, gibt es kein Problem. Es ist eine formidable Sache. Denn es gibt nur zwei Varianten: Drin oder nicht drin. Und wenn das ausnahmsweise auf den Bildern nicht zu erkennen ist, dann bleibt der Entscheid des Schiedsrichters auf dem Eis stehen. Deshalb müssen ja die Unparteiischen vor der Konsultation des Videos «Tor» oder «kein Tor» entscheiden. Wenn sie den Gegenbeweis auf den Bildern nicht finden, bleibt der Entscheid.
Aber inzwischen wird die Kompetenz der «Bilder-Richter» immer weiter ausgedehnt. Im Hockey sind wir nun soweit, dass die Schiedsrichter auch nachprüfen dürfen, ob es eine Behinderung des Torhüters gegeben hat.
Das ist, wie wir nun immer mehr erkennen, ein Unsinn. Denn nun geht es nicht mehr um eine klare Sache («drin» oder «nicht drin»). Nun wird der Ermessensspieleraum des Schiedsrichters für Spielszenen auf die Videorichter delegiert.
Behinderung des Torhüters oder der Torhüterin? Die ist sehr oft nicht genau zu erkennen. Der Graubereich ist gross. Wenn wir Video-Bilder zehnmal betrachten, dann finden wir schliesslich mit ziemlicher Sicherheit fast jedes Mal irgendeine eine Behinderung oder Berührung. Regeljuristisch kann dann argumentiert werden, es sei eine Behinderung gewesen.
Auf diese Weise ist am Sonntag die Frauen-WM entschieden worden. Die Finninnen haben gegen die Amerikanerinnen in der Verlängerung ein hundertprozentig korrektes Siegestor erzielt. Zu keinem Zeitpunkt ist die amerikanische Torhüterin in ihrer Bewegungsfreiheit durch Gegenspielerinnen eingeschränkt worden, zu keinem Zeitpunkt hatte die sie den Puck unter Kontrolle gehabt. Die Berührung durch eine Gegenspielerin hatte nie Einfluss auf diese Szene, dient nun aber als theoretische Grundlage für einen der schlimmsten Fehlentscheide in der Geschichte des Mannschaftsports.
Die Lehre daraus ist eigentlich klar: die Kompetenz der Video-Schiedsrichter (bzw. die Möglichkeiten, der Schiedsrichter zur Konsultation des Videos) ist stark einzuschränken. Im Eishockey darauf, ob der Puck im Tor ist oder nicht und ob der Puck mit dem Schlittschuh oder einem hohen Stock erzielt worden ist oder nicht. Darüber hinaus ist die Video-Überwachung ein sehr gutes Mittel, schlimme versteckte Fouls zu erkennen und die Missetäter zur Verantwortung zu ziehen. Der erzieherische Video-Effekt hilft dem Sport und beeinflusst nicht direkt den Ablauf eines Spiels. Alles andere ist von Übel.
Es gehört zur Kultur des Sportes, den Schiedsrichtern einen Ermessensspielraum zu lassen. Und damit auch die Möglichkeit, sich zu irren. Ein Fehlentscheid – Torhüterbehinderung ja oder nein – sei ihm erlaubt und verziehen. Er muss spontan aus der Situation heraus entscheiden – und liegt erst noch meistens richtig. Weil er das Spiel, die Szene «spürt». Das Publikum murrt zwar, aber seit mehr als hundert Jahren haben wir gelernt, mit Schiedsrichter-Fehlentscheiden zu leben.
Aber ein krasser Fehlentscheid nach intensivem Video-Studium durch eine dem Schiedsrichter übergeordnete Instanz, durch «Regel-Technokraten», ist absurd, unentschuldbar und schadet dem Sport. Die Romantik des spontanen Fehlentscheides auf dem Spielfeld wird durch die Arroganz und Ignoranz von Technokraten ersetzt. Die technischen Hilfsmittel machen so den Sport nicht besser. Sondern komplizierter. Oder polemisch gesagt: Die «Videoten», die alles schlimmer machen.
Der Sport lebt davon, dass er klar und wahr ist. Je einfacher die Regeln und Abläufe, desto besser. Je komplizierter Entscheidungsprozesse werden, desto schlechter. Es liegt in der menschlichen Natur, die Dinge immer weiter zu komplizieren (so wie eine Bürokratie immer schlimmer wird). Deshalb wäre ein «Stoppt den Video-Wahn» ein guter Slogan, um den weiteren Ausbau zu verhindern und das Hilfsmittel Video wieder einzuschränken.
Aus dem Buch der Bücher lernen wir: «Eure Rede aber sei: Ja! Ja! Nein! Nein! Was darüber ist, das ist von Übel.» Genau darum geht es: Video für das Einfache, Wahre und Klare: Puck drin, Puck nicht drin. Ball drin, Ball nicht drin. Alles weitere ist von Übel. Auch die «Coaches Challenge», also die Möglichkeit des Coaches, untersuchen zu lassen, ob einem Tor ein Offside voranging, ist eigentlich ein Unsinn.
1. Die Torhüterin kriegt wegen Tripping eine 2-Minuten-Strafe.
2. Das Tor wird wegen Torhüterbehinderung aberkannt.
Die Schiedsrichterin entscheidet also auf dem Eis, dass die Finnin von der Torhüterin gefoult wird. Das Tor wird aber aberkannt, weil eben genau diese Finnin eine Behinderung gegenüber der Torhüterin verschuldete.
¯\_(ツ)_/¯