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Alan Roura, der extremste Schweizer Segler

Der extremste Schweizer

Der Genfer Alan Roura, 26, hat gerade einen Weltrekord als schnellster Atlantik-Übersegler aufgestellt. Bald nimmt er zum zweiten Mal am härtesten Segelrennen der Welt teil. Ob er je zurückkommt, weiss er nicht.
25.11.2019, 03:5925.11.2019, 12:12
Samuel Schumacher und Simon Häring, Lorient / ch media
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Er wird wieder hemmungslos weinen, mit Tränen im Gesicht in die kalte See stechen, ohne zu wissen, ob er je zurückkommt. Und er wird es wieder grenzenlos lieben, das Gefühl der Freiheit, die Konfrontation mit der Angst, die extreme Einsamkeit, die er nur in der uferlosen Weite findet.

Ein knappes Jahr noch, dann startet der Genfer Alan Roura zu seiner zweiten Vendée Globe, dem gefährlichsten Segelrennen der Welt. 27 Jahre alt wird er dann sein und mit seinem Occasion-Boot keine Chance haben, das Rennen zu gewinnen. Doch ihm geht es um etwas ganz anderes.

Roura steht in der Werkstatt einer Werft im französischen Atlantikküstenstädtchen Lorient, dem Mekka der Extremsegler. In seinem Ohr glänzt ein Diamant, über das sonnengegerbte Gesicht wuchert ein schwarzer Bart. Hinter ihm arbeitet sein Team an seinem Boot.

In der Werft nebenan steht das Segelschiff, auf dem die Umweltaktivistin Greta Thunberg im August in zwei Wochen über den Atlantik segelte. Roura wäre doppelt so schnell gewesen. 7 Tage 16 Stunden 55 Minuten brauchte er diesen Sommer für die Strecke von New York an die englische Küste. Das ist Weltrekord.

Doch Atlantiküberquerungen wie diese sind für den Weltensegler längst nur noch Übungsausfahrten für das, was wirklich zählt: Die Vendée Globe, die Everest-Besteigung der Weltmeere, bei der sich die allerbesten Seemänner alle vier Jahre messen.

Auf rund 45'000 Kilometer fahren sie – ganz allein und ohne Hilfe – vom französischen Küstenort Les Sables-d’Olonne ums Kap der Guten Hoffnung, quer durch den Indischen Ozean, vorbei an Australien, durchs Südpolarmeer hinüber zum Kap Hoorn an der untersten Spitze Südamerikas und dann wieder alles hinauf, zurück nach Frankreich.

Die Route der Vendée Globe:

Die Route der Vendée Globe.
Bild: wikicommons/gemeinfrei

2016 hat Roura zum ersten Mal teilgenommen. 300'000 Menschen haben ihm beim Start zugejubelt. Wie eine Ohrfeige habe ihn die Einsamkeit in den ersten Tagen erwischt.

Als er 105 Tage später mit Vollbart total erschöpft zurückkehrte, hatte er die Hälfte seiner Muskelmasse verloren. Er konnte kaum noch gehen, kaum noch weinen. Und er wusste: Dieses Rennen lässt ihn nie mehr los.

Angst und keine Sonnencrème

Alan Roura ist auf dem Meer aufgewachsen. Mit acht Jahren überquerte er zum ersten Mal mit seiner Familie den Atlantik auf einem Segelboot. Mit 13 heuerte er in einer Werft in Venezuela als Arbeiter an. Mit 14 fuhr er seine erste Regatta in der Karibik. Zur Schule ging er genau einen Tag, dann schmiss er hin. Was Roura weiss und kann, hat ihn das Meer gelehrt.

Das Unbekannte hat ihn immer fasziniert. Halt gab ihm die Ferne, innere Ruhe holte er sich im extremen Erleben. Auf einem Rennen wie der Vendée Globe ist er ganz bei sich. «Die Angst, dass plötzlich alles vorbei sein könnte, fährt immer mit. Man ist ganz allein, hat niemanden zum Reden», sagt Roura. «Für mich bedeutet das absolute Freiheit.»

Die Freiheit ist teuer erkauft. Nicht nur, aber auch im finanziellen Sinn: Rouras Sponsoren haben ihm ein Budget von vier Millionen Franken zur Verfügung gestellt. Damit hat sich Roura ein altes Boot gekauft und ein Team von Freunden engagiert, das ihm bei den tausend Dingen hilft, die man organisieren muss, wenn man am härtesten Seerennen teilnehmen will.

Für Alan Roura wird das Rennen trotz des Millionenbudgets alles andere als ein Luxustrip. Einmal pro Woche wird er sich mit warmem Wasser notdürftig das Salz und den Schweiss von der Haut spülen. Er wird bissiger Kälte und sengender Sonne ausgeliefert sein – und trotz dem Drängen seiner Frau und Managerin Aurélia Mouraud kein einziges Mal Sonnencrème auftragen.

«Viele Segler telefonieren täglich via Satellitentelefon mit ihren Familien. Ich rufe nie an.»

Zu essen gibt's gefriergetrocknete Menüs: Fondue, Fleisch, Kartoffelstock: «Irgendwann schmeckt alles gleich», sagt Roura. Zur kulinarischen Ablenkung nimmt er 150 Liter Süssgetränke, Schokolade und Orangen an Bord. Die sind lange haltbar. Und das ist nötig. Auch wenn Roura sein Renn-Ziel erreichen sollte, wird er ausser den Früchten 80 Tage lang keine frischen Lebensmittel essen können.

Es sind aber nicht nur die Vitamine, die fehlen. Auch der Sex, die Freunde, die menschliche Nähe. «Viele Segler telefonieren täglich via Satellitentelefon mit ihren Familien. Ich rufe nie an», sagt Roura. Dass das seine Frau und seine Eltern nicht schätzen, das weiss er. «Allein in See zu stechen und um die Welt zu segeln, das ist so oder so sehr egoistisch.»

Gedanken über Bord

Manchmal packt ihn im wässrigen Nirgendwo das schlechte Gewissen. Wie damals bei der Vendée Globe 2016, als er eines Tages zum Stift griff und seiner damaligen Freundin und heutigen Frau einen Liebesbrief schrieb. Den Brief hat er auf seinem Blog veröffentlicht.

Vieles aber, das Roura niederschreibt, bekommt die Welt nie zu sehen. «Die Antworten auf bestimmte Fragen müssen da bleiben, wo man sich die Fragen gestellt hat», sagt er. Daran glaubt der Mann der Meere ganz fest. «Ich schreibe immer wieder Dinge auf, zerreisse dann die Blätter und werfe sie über Bord.»

Tiefe Gedanken für den tiefen Ozean. Alles unbedenklich, sagt Roura. Papier sei kompostierbar. Die 600 Liter Abfall aber, die er bei der nächsten Vendée Globe verursachen wird, nimmt er – selbstverständlich – an Land. Nicht wie die Segler in den frühen 1990ern, in den Gründungsjahren der Vendée Globe, als man gegen Ende des Rennens sogar die Ersatzsegel ins Meer schmiss.

Einiges ist heute anders als damals: Die Boote sind schneller, die Skipper professioneller, der mediale Rummel um das Extremrennen ist lauter. Die Meere aber sind so unberechenbar wie eh und je. Die Gefahren, die unterwegs lauern, sind nicht weniger geworden, im Gegenteil. Immer mehr Treibgut und Müll schwimmt in den Ozeanen. Das Risiko steigt, mit irgendetwas zu kollidieren.

Ein Crash an der schlimmsten Stelle

Alan Roura hat auf dem Meer schon Kühlschränke und aufgeblähte Kühe gesehen. Und er hat am eigenen Leib erfahren, wie schnell solch kuriose Objekte zur tödlichen Gefahr werden können. Bei der Vendée Globe 2016 ist er nahe des Point Nemo mit einem unbekannten Gegenstand kollidiert. Kein anderer Ort auf den Weltmeeren ist weiter von irgendeiner Küste entfernt. Selbst mit motorisierten Schnellbooten bräuchte man Tage, bis man hierhin gelangt. Ein Unfall an dieser Stelle ist schlicht das Schlimmste, was einem Segler passieren kann.

Die Kollision hat ein grosses Loch in den Rumpf von Rouras Boot gerissen. Der Wind blies heftig, die Wellen waren acht Meter hoch. Rouras Boot drohte zu sinken und ihn hinabzuziehen. Ein einsamer, kalter Tod. Und niemand da, der ihm die Hand hätte reichen können. Rettung? Tage entfernt.

«Einer hat am anderen Ende seines Bootes plötzlich den Weihnachtsmann gesehen. Ein anderer meinte, er stehe am Rand eines Schwimmbeckens und wollte vom rasenden Boot ins Wasser springen.»

Roura ging volles Risiko ein, brachte das Boot in Schräglage, kletterte über Bord und flickte das Loch. «Das war der gefährlichste Moment des Rennens», sagt der junge Genfer und strahlt über das ganze Gesicht. Momente wie diese sind für ihn das Elixier des Lebens. Nichts scheint er mehr zu fürchten als das Absinken in die graue Realität, das gemächliche Sich-treiben-Lassen des ganz normalen Alltags. Seinen Schicksals-Anker hat er in den wildesten Winkeln der Weltmeere gesetzt, wohin sich weder technische Helfer noch Schutzengel je verirren. Nur der lauernde Tod löst sich nie von seinem Rumpf. «Très ravi» sei er da draussen, hochbeglückt. Rouras Komfortzone bleibt für Normalsterbliche ein Rätsel.

Unachtsamkeit kann sich Roura in seiner extremen Wohlfühlzone nicht leisten. Einmal hat ein Hai sein Boot stundenlang umkreist, ein andermal ist ihm der Segelmast fast gebrochen. Während der letzten Vendée Globe hat er höchstens vier Stunden pro Tag auf seinem Sitzsack geschlafen – und nie länger als 20 Minuten am Stück. Die letzten vier Tage in den Gewässern vor Europa hat er kein Auge zugedrückt. Er hat Rammstein gehört, Salsa, Marilyn Manson und Reggae. Er hat gesungen und getanzt und geschrien, einfach, um sich wachzuhalten.

Da stand der Weihnachtsmann

Was das mit einem machen kann, dieser Schlafentzug und diese Einsamkeit, das hat Roura von anderen Soloseglern zuhauf gehört. Die Halluzinationen kommen wie aus dem Nichts. «Einer hat am anderen Ende seines Bootes plötzlich den Weihnachtsmann gesehen. Ein anderer meinte, er stehe am Rand eines Schwimmbeckens und wollte vom rasenden Boot ins Wasser springen», erzählt Roura. Ihm ist das bis jetzt noch nie passiert.

Und wenn die Halluzinationen doch einmal kämen, wüsste er, was zu tun ist: sich anbinden, hinlegen, Augen schliessen und warten. «Mehr kann man nicht machen. Man entkommt ihnen nicht.»

Und der Verzweiflung? Der Lust, alles hinzuschmeissen? Einmal hat sie ihn überkommen, vor der brasilianischen Küste, als er im windstillen Atlantik tagelang nicht vom Fleck kam. Die Zeit stand still, seine Gedanken rasten, und sein Satellitentelefon klingelte. Am Apparat war Aurélia, seine Freundin. Sie sagte: «Ich verstehe dich. Leg in Brasilien an, wir kommen dich abholen.» Die drohende Normalität, der Gedanke daran, aufzugeben, das hat ihn wachgerüttelt. Er hat Aurélia gesagt, sie solle in Frankreich warten. Er komme.

Und er kam. Dreieinhalb Monate, nachdem er in Les Sables-d’Olonne abgelegt hatte, lief Alan Roura wieder in den Hafen ein. Er kniete auf dem Boden seines Bootes, Leuchtfackeln in den Händen, die Sinne ganz verwirrt von den Menschen, die ihm zujubelten. Er ging an Land, umarmte seine Familie und versteckte sich in einem Zimmer vor all den Journalisten. Er ass Pommes und ein Steak, schlief acht Stunden durch und schnitt sich den Bart ab.

Irgendwann will Alan Roura mit Aurélia eine Familie gründen. Auf das gefährlichste Segelrennen der Welt würde er aber auch dann nicht verzichten. Kinder haben, das wäre ein Grund mehr, immer wieder zurückzukommen und sich nicht irgendwann doch noch zu verlieren, da draussen, in der kalten See.

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Baba ♀️
25.11.2019 06:42registriert Januar 2014
Was für ein wilder Hund. Ich wünsche ihm Mast- und Schotbruch und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel.

Danke für diesen Bericht, watson.
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Trajane
25.11.2019 07:57registriert August 2015
Bewunderung für den Ehrgeiz, Respekt vor der Leistung, aber auch einiges an Unverständnis.. Alles Gute für die Zukunft Alan!
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aussenrist
25.11.2019 09:13registriert November 2019
Was für ein Typ!! Geschichten, die nur das Leben da draussen schreibt!
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