Im Hafen von Lorient in der Bretagne liegt die Basis von La Fabrique, dem Segelteam des Schweizers Alan Roura. Direkt daneben liegt ein altes, französisches U-Boot auf einem Trockendeck. Heute ist es Teil eines Museums und eine der letzten Erinnerungen daran, dass das Städtchen im zweiten Weltkrieg beinahe dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Das wiederaufgebaute Lorient ist mittlerweile ein Segel-Mekka. Unter das Kreischen der Möwen an der Atlantikküste mischen sich regelmässige Hammerschläge und Fräsgeräusche. Der Schweizer Weltumsegler Alan Roura ist bester Laune. Er ist offen, umgänglich und hat immer einen frechen Spruch auf den Lippen. Mit seinem Team Testfahrten zu planen und an Verbesserungen für das Boot zu arbeiten macht dem 25-jährigen Genfer sichtlich Spass. Und gerade deshalb stelle ich mir die Frage, weshalb es sich dieser Mensch antut, während rund 100 Tagen auf dem offenen Meer komplett auf sich alleine gestellt zu sein.
Denn genau das macht er während der Vendée Globe, der härtesten Solo-Segelregatta der Welt. Dann verläuft der Alltag von Roura komplett anders als auf dem Festland. Sein Boot wird zu seinem Haus, sein Körper zu seinem wichtigsten Arbeitsgerät und ein ungefähr neun Quadratmeter grosser Raum zu seinem «Wohnzimmer».
Komfortabel ist anders. Einen Stuhl oder ein Bett hat Alan Roura auf seinem Boot nicht. «Zudem ist der Innenraum während des Wettkampfs stetig feucht», führt er aus. Die eigentlichen Schlafgelegenheiten sind zu Stauraum umfunktioniert worden. Deshalb schläft er während rund 100 Tagen in der Kabine mitten auf dem Boden, direkt über dem Motor auf einer Art Sitzsack. «Das geht ziemlich gut», meint Roura. «Während der Fahrt hat das Boot eine derart starke Schräglage, dass man fast waagrecht schlafen kann.»
Viel Schlaf bleibt dem Schweizer allerdings nicht: «Während der Vendée Globe schlafe ich pro Tag vielleicht etwa vier Stunden.» Aber natürlich nicht am Stück, immer wieder muss er den Kurs und sein Boot kontrollieren. Deshalb ist der Segler gezwungen, den Schlaf zu dosieren. Meistens sind es nur rund 20 Minuten am Stück. An guten Tagen vielleicht auch mal eine Stunde. Er bevorzuge es, bei Dunkelheit zu schlafen. Wenn es also mal eine hektische Nacht gibt, ist die Erholung noch kleiner. «Der Körper gewöhnt sich an diesen Rhythmus.»
Das muss er auch, denn eine zu grosse Erschöpfung wäre gefährlich. Während der ganzen Weltumrundung ist Roura auf sich alleine gestellt. Gibt es am Boot einen Defekt, muss er es alleine flicken. Wenn er sich verletzt, muss er sich alleine verarzten. Zwar kann er sich bei medizinischen Problemen beim Rennarzt oder bei technischen Defekten bei seinem Team Rat holen, doch ausführende Kraft ist er und er allein.
Im Südpolarmeer kann es mehrere Tage dauern, bis Hilfe kommt. «Mit einem gebrochenen Finger ist dein Rennen sofort gelaufen», sagt Roura. Deshalb ist es die oberste Priorität des Westschweizers, gesund zu bleiben, auch wenn er sich nach eigenen Angaben bis zu 20 Mal pro Tag den Kopf an der niedrigen Decke oder irgendwelchen Stangen anschlägt.
Dazu gehört auch die Körperhygiene. Da die Segler der Vendée Globe ständig Salzwasser ausgesetzt sind, müssen sie sich ständig reinigen, sonst kommt es zu Hautreizungen. Alan Roura verwendet dafür herkömmliche Feuchttüchlein. Rund einmal in der Woche gönnt er sich aber auch eine «Dusche». Dafür erwärmt er Wasser auf seinem Campingkocher und wäscht sich damit im Innern des Bootes die Haare.
Den selben Kocher benutzt der 25-Jährige auch um das – in seinen Worten – «Scheiss-Essen» zuzubereiten. Während 100 Tagen gibt es entweder gefriergetrocknete oder sonstwie sterilisierte Mahlzeiten. Alan muss nur noch Wasser erhitzen und dazugeben. Doch ein Genuss ist es nicht. «Nach einigen Tagen schmeckt alles gleich. Reis mit Poulet, Pasta mit Lachs – du merkst keinen Unterschied mehr», erklärt er mit einem Lachen. Umso wertvoller sei es, dass er sich zwischendurch auch mal ein Stück Schokolade gönnen könne.
Neben Schlafen, Selbstpflege und Ernährung hat Alan Roura natürlich vor allem ein Ziel: Die Vendeé Globe möglichst schnell zu absolvieren. Bei der nächsten Ausgabe tritt er mit einem neuen Boot an. Neuartige Tragflügel sollen dabei bis zu 20 Prozent mehr Geschwindigkeit ermöglichen. Doch am Ende kommt es vor allem auf den Skipper an. Alan arbeitet den ganzen Tag daran, die Segelgeschwindigkeit zu optimieren.
Er liest und analysiert die Wetterdaten im Innern der Kabine oder er nimmt an Deck Optimierungen an den Segelpositionen vor. Hat man da überhaupt noch Zeit sich zwischendurch auch mal zu entspannen, und das Segeln zu geniessen? «Ja solche Momente gibt es auch. Dann kann ich jeweils etwas Musik hören, vielleicht sogar eine Cola trinken. Aber die meiste Zeit ist es harte Arbeit.»
Die entspannten Momente sind also überschaubar, die schwierigen, unangenehmen und teilweise gar gefährlichen Situationen überwiegen. Warum also tut ein Mensch sich das an? «Es ist dieses tolle Gefühl im Bauch, wie wenn du aus einem Flugzeug springst. Nur hält es bei mir dann mehrere Monate an», antwortet Alan Roura.
Nach einer Ausfahrt auf seinem Boot kann ich die Faszination des Segelns besser verstehen. Es ist auch bei einer kurzen Ausflugsfahrt körperlich und geistig anspruchsvoll und jede Minute ist spannend. Dennoch bin ich froh, dass wir nicht auf dem Wasser übernachten müssen, und Sandwiches statt Sterilisiertes als Mittagessen dabei haben.