Es ist die älteste Weisheit im Motorsport. Der Teamkollege ist der erste Rivale. Denn nur der fährt im gleichen Auto und hat die gleichen Voraussetzungen. So sind Auseinandersetzungen innerhalb der Teams in der Formel 1 keine Seltenheit. Auch in dieser Saison herrscht bei einigen Fahrerpaarungen grosses Konfliktpotenzial.
Am grössten scheint dieses Potenzial im US-Team Haas zu sein. Dort fahren in dieser Saison die Routiniers Kevin Magnussen und Nico Hülkenberg. Legendär die Szene nach dem Grossen Preis von Ungarn 2017, als Hülkenberg, während Magnussen ein Interview führte, zum Dänen ging und ihm sagte, dass er einmal mehr der unsportlichste Fahrer im Rennen war. Dieser quittierte die Beschuldigung mit den Worten: «Lutsch meine Eier.»
We are absolutely here for Magnussen and Hulkenberg being back in F1 👀 pic.twitter.com/9M0Cg4aBUU
— ESPN F1 (@ESPNF1) March 17, 2022
Für Magnussen ist die Auseinandersetzung längst Geschichte. Der 30-Jährige sagt gemäss dem «Motorsport-Magazin»: «Wir werden ständig danach gefragt, aber heute lachen wir darüber. Wir nehmen es mit Humor.» Auch Teamchef Günther Steiner ist überzeugt, dass dies kein Problem sein wird: «Ich denke, sie werden gut miteinander arbeiten.» Der 35-jährige Deutsche und Magnussen könnten gar zusammen in den Urlaub fliegen, da beide Kinder im gleichen Alter hätten. «Sie müssen ja nicht gleich das tun, wozu Kevin Nico vor ein paar Jahren eingeladen hat», fügt er scherzhaft an.
Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass die alten Konflikte wieder aufreissen, falls es auf der Strecke nicht läuft oder die beiden Teamkollegen in einem Rennen aneinandergeraten. Besonders Magnussen galt lange als Hitzkopf und risikofreudiger Fahrer, auch wenn er sich in der Hinsicht zuletzt gelassener zeigte.
Es war die grosse Geschichte nach dem vorletzten Rennen der Saison 2022. Was meinte Sergio Perez da, als er nach dem GP in Brasilien sagte: «Das zeigt, wer Verstappen wirklich ist.» Der Niederländer weigerte sich trotz Aufforderung des Teams, seinen Kollegen vorbeizulassen. Dabei war die WM schon entschieden, der Mexikaner brauchte im Kampf um die Vize-Weltmeisterschaft hingegen noch Punkte. «Ich habe meine Gründe», sagte Verstappen.
Der 25-jährige Weltmeister ist die klare Nummer 1, was für Perez nicht immer eine einfache Situation ist, da er auch einmal zurückstecken muss, um seinem Teamkollegen zu helfen. Das könnte auch in dieser Saison zu Reibereien führen. Vor allem, wenn Verstappen seinen Teil der Teamarbeit nicht erfüllen will.
Auch im französischen Team könnte die beiden Fahrer die Vergangenheit einholen. Esteban Ocon und Pierre Gasly, der den abgewanderten Fernando Alonso ersetzt, waren einmal gut befreundet. Die beiden Franzosen wurden beide 1996 in der Normandie geboren und verbrachten viel Zeit auf der Kartbahn. Doch je älter sie und je ernster die Wettkämpfe wurden, desto häufiger gerieten sie aneinander. In der Folge waren sie selten gut aufeinander zu sprechen. Alpine-Teamchef Otmar Szafnauer ist sich des Risikos bewusst, sagt aber laut Eurosport: «Ich zähle darauf, dass sie zeigen, dass sie gelernt haben.»
Ob das wirklich der Fall ist, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu beantworten. Zumal Ocon sich bereits in der Vergangenheit mit Teamkollegen verkracht hat. Sergio Perez, der gemeinsam mit Ocon bei Force India und Racing Point fuhr, sprach davon, nie eine wirklich gute Beziehung zum 26-Jährigen gehabt zu haben. Auch Alonso war nicht immer zufrieden mit seinem Teamkollegen bei Alpine. Der Konkurrenzkampf zwischen dem 27-jährigen Gasly und Ocon könnte zusätzlich angeheizt werden, weil es keine klare Nummer 1 gibt und beide Fahrer gleich behandelt werden sollen. So ist es umso wichtiger, besser als der Konkurrent im selben Auto zu sein.
Als siebenfacher Weltmeister ist Lewis Hamilton die unangefochtene Nummer 1 bei Mercedes. Doch in der letzten Saison war der von Williams gekommene George Russell der Erfolgreichere der beiden Briten. Wie lange wird er sich mit dem Status als Nummer 2 zufriedengeben, wenn der 25-jährige Russell erneut besser punktet als der 38-Jährige? Und wie reagiert Hamilton, wenn er merkt, dass sein Teamkollege ihm erneut davonfährt? Mercedes-Chef Toto Wolff sagte dazu: «Ich werde keinen Konflikt zulassen.»
Fernando Alonso geht in seine 20. Saison in der Formel 1. Nach zwei Jahren für Alpine fährt der 41-jährige Spanier neu für Aston Martin. Alonso ist kein Kind von Traurigkeit, seine Fehde mit Lewis Hamilton aus dem gemeinsamen Jahr bei McLaren in der Saison 2007 hallt immer noch nach. Auch mit Esteban Ocon hatte er bei Alpine nicht immer das beste Verhältnis. Nun ist Lance Stroll sein Teamkollege. Der Kanadier hat nicht ausschliesslich wegen seines Talents ein Cockpit in der Formel 1, sondern vor allem auch, weil sein Vater Lawrence Stroll den Rennstall mitfinanziert.
So würde es wenige verwundern, wenn Alonso, nach wie vor einer der talentierteren Fahrer in der Königsklasse des Motorsports, mit Stroll seine Probleme bekommen würde. Zumal er das Gefühl bekommen könnte, dass Stroll aufgrund seines Vaters bevorteilt werde. Zuletzt gab es aber versöhnliche Töne vom zweifachen Weltmeister in Richtung des 24-jährigen Strolls: «Er ist superbegabt und hat die Möglichkeit, Weltmeister zu werden.»
Ferrari hat eine sehr enttäuschende Saison hinter sich. Zwar waren sie in der Konstrukteurs-Wertung erstmals seit 2019 wieder Zweite, doch hatte Charles Leclerc lange Chancen auf den Weltmeister-Titel. Diesen verspielte das italienische Team jedoch unter anderem aufgrund mehrerer Strategiefehler, wegen welcher Teamchef Mattia Binotto seinen Posten räumen musste und durch Frédéric Vasseur von Alfa-Romeo-Sauber ersetzt wurde.
Leclerc wurde 2022 Vize-Weltmeister, während Sainz mit 62 Punkten weniger nur auf Platz 5 landete. Dennoch verfolgt Ferrari die Strategie, keinen klaren Nummer-1-Fahrer zu benennen. Dies kann zu Konflikten führen, doch sowohl Leclerc als auch Sainz äusserten sich positiv über diese Herangehensweise. Andererseits ist Ferrari erneut ein Anwärter auf den Titel in beiden Wertungen, stimmen die Ergebnisse nicht, ist es nicht unwahrscheinlich, dass es im Team knallt. Ob zwischen den Fahrern oder in der Führungsetage um Vasseur.
McLaren hat das jüngste Fahrerduo in der Formel 1. Lando Norris (23) gewann sowohl durch sein Talent als auch seine lockere Art viele Fans, fünfmal fuhr er in den letzten beiden Saisons aufs Podest. Nun hat er mit Oscar Piastri (21) einen noch jüngeren Teamkollegen. Der Formel-2-Weltmeister von 2021 soll besser abschneiden als sein Vorgänger Daniel Ricciardo. Piastris australischer Landsmann konnte die Vormachtstellung von Norris in zwei Jahren bei McLaren nicht gefährden.
Nach Platz fünf in der Teamwertung – dem schlechtesten Resultat seit 2018 – liegt grosser Druck auf den beiden Fahrern und den Verantwortlichen um Teamchef Andrea Stella, der Andreas Seidl ablöst, Konfliktpotenzial ist deshalb reichlich vorhanden.
Auch bei AlphaTauri fährt mit Nyck de Vries ein Formel-1-Neuling. Der 28-jährige Niederländer wird der Teamkollege vom Japaner Yuki Tsunoda. Der 22-Jährige hat eine schwierige Saison hinter sich, Tsunoda fuhr nur viermal in die Punkte und wurde in der WM-Wertung die Nummer 17. Er ist unter anderem dafür bekannt, am Funk mit dem Team auch einmal lauter zu werden, hatte mit Pierre Gasly aber eine gute Beziehung.
Von Teamchef Franz Tost wurde Tsunoda aber bereits in der letzten Saison nach einem Zusammenstoss mit dem Teamkollegen kritisiert und gewarnt, dass er bei schlechten Leistungen aus dem Team fliegen würde. Für diese Saison hat er bei AlphaTauri noch einmal einen Vertrag bekommen, doch wird er sich erneut beweisen müssen, um sein Cockpit zu behalten.
In den Cockpits der in Hinwil produzierten Boliden werden erneut Valtteri Bottas und Zhou Guanyu sitzen. Die beiden haben eine sehr gute Beziehung, der Finne fungiert als Mentor für den 23-jährigen Chinesen, der Bottas in seinem Rookie-Jahr noch nicht gefährlich werden konnte. Dies ist auch 2023 nicht zu erwarten und da sich Alfa Romeo nach dieser Saison aus der Formel 1 zurückziehen wird, ist der Druck auf dem Team nicht riesig. Ab 2026 steigt mit Audi ein neuer Investor ein, bis dahin sind von Sauber keine grossen Schritte zu erwarten.
Bei Williams geht mit Logan Sargeant ein dritter Neuling in der Formel-1-Saison 2023 an den Start. Das britische Traditionsteam wurde in vier der letzten fünf Saisons Letzter der Konstrukteurs-Wertung, auch in diesem Jahr sind die Erwartungen tief. Alexander Albon spricht offen darüber, dass Williams vor allem zu Beginn der Saison wohl das langsamste Team sein wird. Dennoch herrscht im Team gute Stimmung. Der US-Amerikaner Sargeant spricht von seinem thailändischen Kollegen als «grossartiger Teamplayer». Fahren der 26-jährige Albon und Sargeant einige Male in die Punkte, ist dies bereits ein Erfolg.