Die WM-Endrunde in Brasilien lässt in den USA die Dämme brechen: Nie zuvor sitzen bei Fussballspielen mehr Menschen vor den TV-Geräten. Der «Soccer» erobert die Fans der Herzen im Sturm, etwas, was noch vor wenigen Jahren undenkbar schien. Fussball, in den Staaten plötzlich en Vogue? Alles, nur kein Zufall. Der neuentfachte «OneNationOneTeam»-Pathos ist eng verbunden mit dem Namen Jürgen Klinsmann.
Klinsi übernimmt 2011 das Ruder bei den bis dahin vor sich hin mäandrierenden US-Boys. Er kommt mit schwäbischem Charme – und einer knallharten Marschroute im Hinterkopf. Mit Akribie und Hartnäckigkeit treibt er die Truppe voran. Genau so, wie er stets seine eigene Karriere vorangetrieben hat. Nur so war die Bilderbuch-Karriere möglich, in der aus Klein-Jürgen ein Volksheld in Übersee geworden ist.
Wer hätte auch erahnen können, dass ausgerechnet ein Bäckerssohn aus der schwäbischen Provinz sich eines Tages anschicken würde, den US-Fussball seinem Nischendasein zu entreissen. Klein-Jürgen ist einer von vier Sprösslingen der Familie Klinsmann und tritt mit acht Jahren dem lokalen Fussballverein bei. Weil er vom Schlage jener Dreikäsehoch-Kicker ist, die ihre Alterskollegen auch mal mit 16 Toren in einem Spiel gnadenlos in den Schatten stellen, wird man schon früh auf ihn aufmerksam.
Gute Auftritte in der Jugendauswahl bringen die Möglichkeit, bei den Stuttgarter Kickers einen Profivertrag zu unterschreiben. Klinsi will, macht die Rechnung aber ohne den Wirt, sprich: seinen Vater. Der besteht auf einer Berufsausbildung und dem Grundwehrdienst bei der Bundeswehr. Stoisch erträgt Klinsmann die Strapazen, um als nunmehr 19-Jähriger doch noch bei den Kickers anzuheuern. 19 Tore gelingen ihm in der zweiten Saison in der 2. Bundesliga. Der unwiderstehlichen Anziehungskraft des grossen und erfolgreicheren Lokalrivalen VfB Stuttgart kann und will er danach nicht mehr lange widerstehen.
Beim VfB geht Klinsmanns Stern so richtig auf. Torschützenkönig, Deutschlands «Fussballer des Jahres», das weckt grenzübergreifend Begehrlichkeiten. 1889 klopft Inter Mailand an, was gibt es da noch gross zu überlegen? Klinsmann lernt Italienisch und trotzt als beständiger Torschütze der ultradefensiven Ausrichtung von Trainer Trappatoni. Schnell wird er zum Publikumsliebling.
Aber das Abenteuer reizt ihn weiterhin, und via Monaco findet er 1994 zu den Tottenham Hotspurs. Die Fans beäugen ihn kritisch, denn von seinem Torriecher mal abgesehen, hat er sich auch einen zweifelhaften Ruf als Schwalbenkönig erworben. Aber wie Klinsmann die Zweifel pariert und in wenigen Wochen zu schwindelerregender Popularität kommt, das ist beeindruckend. Bei seinem Debüt schon trifft er und erfindet den «Diver», einen Torjubel in Anlehnung an seinen Ruf.
The famous Jurgen dive - @J_Klinsmann. #birthday #COYS http://t.co/CyAsqFqrBi
— Talking THFC™ (@TalkingTHFC) 30. Juli 2014
Mit seiner Selbstironie hat er die Engländer im Handumdrehen im Sack, in kürzester Zeit werden 150'000 Trikots mit seinem Namen abgesetzt. Auch, weil er Englands «Fussballer des Jahres» wird; Klinsmann wird heute in der offiziellen Klubgeschichte als «Legende» geführt.
Auch bei Bayern München, wohin es in nach der Zeit auf der Insel verschlägt, glänzt er als Torschütze vom Dienst und stellt mit 15 Treffern in zwölf Spielen einen Rekord im damaligen UEFA Cup auf. Nochmals folgt er dem Ruf des Auslands, nochmals heuert er in Italien an. Bei Sampdoria Genua allerdings wird er nicht glücklich, weshalb er erneut zu den Tottenham Hotspurs auf die Insel geht und wo er seine mit Erfolgen nur so gespickte Klubkarriere beschliesst. Klinsmann ist Weltmeister, er ist Europameister, er gewinnt den UEFA Cup, nationale Meisterschaften, die Krone des Torschützenkönigs. Er liebt die Fans und sie lieben ihn. Hätte er je auch noch die Champions League gewonnen, es wäre fast zuviel des Guten gewesen.
Rehhagel, Hitzfeld, Hiddink, Wenger; als es 2004 um die Nachfolge Rudi Völlers an der Seitenlinie der deutschen Nationalmannschaft geht, werden die klingendsten Namen herumgereicht. Doch die Wunschkandidaten springen ab, einer nach dem anderen, und am Schluss bleibt mit dem vom Aktivsport zurückgetretenen Klinsmann ein Neuling auf dem Trainer-Parkett übrig. Der fordert erst noch lauthals die Reform des gesamten deutschen Fussballverbandes und bedingt sich mit Verhandlungsgeschick weiterreichende Befugnisse aus, als sie sein Vorgänger je hatte. Klinsmann kommt als Unsicherheitsfaktor und geht zwei Jahre später als Nationalheld. Was war geschehen?
Klinsmann etabliert in der Nationalelf einen Geist, der bald das Umfeld, bald die ganze Nation erfasst. Einen ganzen Sommer lang steht Deutschland bei der Heim-Weltmeisterschaft im Banne von Schwarz-Rot-Gold – das herbeigesehnte «Sommermärchen» ist Realität geworden. Bundeskanzlerin Angela Merkel ehrt den Trainerhelden für sein Schaffen gar mit dem Bundesverdienstkreuz. Der Schocker kommt zwei Tage nach WM-Ende: Klinsmann hängt den ruhmreichen Job an den Nagel, sagt, er fühle sich ausgebrannt.
Nach einer Auszeit und langem Hin und Her mit Chelsea heuert er bei Bayern München an, wo er wiederum grosse Ambitionen hegt. Aber an der Säbenerstrasse wird man nie so richtig warm mit Jürgen Klinsmann, und umgekehrt. Nach nur neunmonatigem Engagement wird Klinsmann seines Postens enthoben. Ein Glücksfall, wird der Schwabe sich heute sagen. Sein persönliches Glück liegt in Nordamerika. Über einen kurzzeitigen Beraterjob beim FC Toronto landet er im zweiten Anlauf bei dem US-Nationalteam. Dort spricht man ihm nach gelungener Bewährungsprobe auch noch das Amt des technischen Direktors zu und Klinsmann kann schalten und walten wie er lustig ist. Mit der Familie lässt sich der schwäbisch-kalifornische Massarbeiter in Huntington Beach nieder.
Herzlichen Glückwunsch, @J_Klinsmann! Willkommen im Club der 50er :-)
— Lothar Matthäus (@LotharMatthaeus) 30. Juli 2014
Jürgen Klinsmann: Seine Vita ist diejenige eines Fussballverrückten von Weltruf. So, von Welt, war seine Aktivkarriere und so ist vornehmlich auch seine bisherige Trainer-Karriere verlaufen. Mit 50 ist er bereit für weitere Höhepunkt. Jürgen Klinsmann: He always looks on the bright side of life. Mit den USA hat er noch Grosses vor.