Lucien Favre ist mit einem Schnitt von 2,01 Punkten pro Spiel der zweiterfolgreichste BVB-Trainer. Erfolgreicher war nur sein Vorvorgänger Thomas Tuchel, der mit 107 Partien drei weniger coachen durfte als der Schweizer und dabei 2,12 Punkte im Schnitt holte.
Wieso also die Trennung? Der BVB führt sportliche Gründe an: «Wir sind der Meinung, dass das Erreichen unserer Saisonziele aufgrund der zuletzt negativen Entwicklung in der gegenwärtigen Konstellation stark gefährdet ist und wir deshalb handeln müssen», erklärte Sportchef Michael Zorc in einem Statement.
Lucien #Favre ist nicht mehr Trainer von Borussia Dortmund. Die Entscheidungsträger des #BVB haben sich nach der 1:5-Heimniederlage bei #BVBVFB einmütig darauf verständigt, Favre und seinen Co-Trainer Manfred #Stefes mit sofortiger Wirkung freizustellen.
— Borussia Dortmund (@BVB) December 13, 2020
Dreimal in Serie hatte Favres Mannschaft zuletzt in der Bundesliga zuhause verloren, das 1:5 gegen den VfB Stuttgart war dann der Tropfen, der Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die BVB-Führung sah das überlebenswichtige Minimalziel – das Erreichen der Champions League – in Gefahr. Nicht für Favre sprach zudem, dass er in zweieinhalb Jahren keinen einzigen Titel gewonnen hat. Und dafür hatten sie ihn 2018 eigentlich nach Dortmund geholt.
Doch die sportliche Entwicklung der Mannschaft ist nur die halbe Wahrheit über den Grund der Entlassung. Die BVB-Führung wurde in zweieinhalb Jahren nie richtig warm mit ihrem Trainer. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke erklärte gestern zwar, Favre sei «als Fachmann und als Mensch über jeden Zweifel erhaben», doch hinter vorgehaltener Hand hatten die BVB-Bosse immer wieder das Gefühl, dass der freundlich-distanziert wirkende Favre gar nicht so recht zum Klub aus dem Kohlenpott passe. Mehrfach wurde versucht, Favre umzubiegen, doch der blieb stets sich selbst – mit allen positiven und negativen Eigenschaften.
Die Klub-Bosse führten in den vergangenen Wochen gemäss «Sport1» auch viele Gespräche mit der Mannschaft. Darin verfestigte sich der Eindruck, dass Favre das Team nicht mehr erreicht. Weder sportlich, noch emotional. Hauptvorwurf der Mannschaft: Vor allem gegen nominell schwächere Teams soll der Schweizer ihr keinen richtigen Matchplan mit auf den Weg gegeben haben. Darüber hinaus vermissten einige Führungsspieler von Favre den nötigen Mut. Der BVB habe auf dem Platz viel zu abwartend agiert.
Beschlossen wird der Rauswurf gemäss der «Bild»-Zeitung von Favre schon am Samstagabend nach dem Stuttgart-Spiel. Erst zweieinhalb Stunden nach dem Schlusspfiff verlässt Klubboss Watzke den Signal-Iduna-Park – ohne sich vor der Presse hinter den Trainer zu stellen.
Am Sonntagvormittag wird der Mannschaftsrat um Mats Hummels, Marco Reus, Thomas Delaney, Emre Can und Axel Witsel in einer WhatsApp-Gruppe über die Favre-Trennung informiert. Wenig später verabschiedet sich der Trainer bereits von einigen Spielern per SMS, andere Spieler wie Captain Reus ruft er direkt an.
*** BILDplus Inhalt *** So verabschiedete er sich - Das Protokoll des Favre-Rauswurfs https://t.co/Y6COW3uLD0 #Sport #News
— BILD Sport (@BILD_Sport) December 13, 2020
Für einen persönlichen Abschied bleibt vorerst keine Zeit. Am Nachmittag informieren Geschäftsführer Watzke, Sportchef Zorc und Lizenzspielerchef Sebastian Kehl die Mannschaft über die Gründe der Trennung. Rund zehn Minuten dauert die Ansprache. Dann geht's zum Training – zum ersten Mal nach zweieinhalb Jahren ohne Lucien Favre.
Favre hätte in Dortmund gerne weitergearbeitet und zeigte sich nach der Trennung schwer enttäuscht. «Ich finde es schade, dass sich unsere Wege hier trennen. Wir hatten zwei erfolgreiche Jahre und haben eine Mannschaft, die auch in diesem Jahr am Ende eine erfolgreiche Saison gespielt hätte. Davon bin ich nach wie vor überzeugt», sagte er gestern der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Bis zum Saisonende wird der bisherige Co-Trainer Edin Terzic die Mannschaft trainieren. Mit dieser Interimslösung will sich der BVB die nötige Zeit geben, den passenden Trainer zu finden. Erfahrung als Chefcoach hat Terzic bislang noch keine, unter Slaven Bilic war er zwischen 2013 und 2017 Co-Trainer bei Besiktas Istanbul und West Ham United. Zuvor war er zwischen 2010 und 2013 im Jugendbereich des BVB als Co-Trainer tätig.
Der 38-jährige Kroate soll ein ganz anderer Typ sein als Favre. Der «Kicker» beschreibt ihn als «einnehmend und hemdsärmelig». Zu seinen ersten Aufgaben gehört denn auch, die Mannschaft wieder emotionaler anzupacken, als Favre das jeweils machte, und so eine Reaktion auf die zuletzt dürftigen Leistungen aus ihr herauszukitzeln. Seinen ersten Auftritt wird Terzic bereits morgen Dienstag beim Gastspiel bei Werder Bremen haben.
Als Wunschkandidaten gelten bereits seit längerer Zeit Marco Rose von Borussia Mönchengladbach und Julian Nagelsmann von RB Leipzig. Beide waren schon bei der Favre-Verpflichtung im Gespräch, sind derzeit allerdings bei Bundesliga-Spitzenklubs beschäftigt.
Wie «Sky»-Reporter Gianluca Di Marzio berichtet, soll mit Rose trotz laufenden Vertrags in Gladbach bis 2022 bereits eine nicht-schriftliche Einigung über ein Engagement bestehen. Offenbar besitzt der 44-Jährige eine Ausstiegsklausel nach dieser Saison.
Il #BVB esonera #Favre, squadra affidata a #Terzic. Intesa con #Rose per giugno 2021 https://t.co/OkFpfndVdH
— Gianluca Di Marzio (@DiMarzio) December 13, 2020
Daneben gehört auch Jesse Marsch von Red Bull Salzburg zu den möglichen Fix-Lösungen im Sommer. Der 47-jährige US-Amerikaner hat bei den Österreichern zwar noch einen Vertrag bis 2022, doch das muss nicht allzu viel heissen: Grosse Fische fressen schliesslich kleine Fische. Salzburg gilt zudem als Trainer-Talentschmiede: Roger Schmidt, Adi Hütter, Oliver Glasner, Marco Rose – sie alle haben oder hatten über die «Mozartstadt» den Sprung in die Bundesliga geschafft.
Gut denkbar ist aber auch, dass Dortmund im Sommer gar keinen neuen Trainer suchen wird. Dann nämlich, wenn Terzic voll einschlägt, den BVB zurück in Spur führt und eventuell gar einen Titel holt. Es wäre sozusagen die Blaupause des Falles Hansi Flick bei Bayern München, der zunächst auch nur als Interimslösung gedacht war, dann aber Sieg an Sieg reihte und schliesslich bleiben durfte.
Hach, schweres Leben...!