Ist der Achtelfinal gegen Polen ein Reifetest für diese Schweizer Generation?
Fabian Schär: Ich schaue das nicht unbedingt so an. Wir haben gegen Frankreich bewiesen, mit Topteams mithalten zu können. Ich würde unsere Reife nicht allein von diesem Achtelfinal abhängig machen. Es ist ein einziges Spiel – da kann so viel passieren.
Was ist der Schlüssel, um Polen zu besiegen?
Als Team besser zu sein als sie. Ich sehe die Mannschaften auf Augenhöhe. Wenn wir uns steigern können im Vergleich zum letzten Spiel – und das konnten wir ja bisher im Turnier immer –, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
Übernehmen Sie das Toreschiessen?
Wenn es sein muss (lacht).
Warum tut sich die Schweiz damit so schwer?
Schwierig zu sagen. Wichtig ist, dass wir die Chancen dazu haben. Wir haben die Gewissheit, guten Fussball zu spielen, bis an den Strafraum. Die Tore haben gefehlt, klar, aber deswegen plagt uns keine Tor-Phobie. Ich hoffe, der Knopf geht nun auf.
Denken Sie nur an den Achtelfinal? Oder wagen Sie auch einen Blick auf die beiden Tableau-Hälften?
Es könnte für die Schweiz eine einmalige Chance sein, weit zu kommen im Turnier.Klar kennen auch wir die Tableau-Hälften. Und klar wissen wir, dass die absoluten Hammer-Namen auf der anderen Seite sind. Aber wir wissen trotz allem, dass das Spiel gegen Polen ein sehr schwieriges wird.
Ist Polen trotzdem der ideale Gegner?
Was heisst schon ideal? Einen idealen Gegner gibt es in einem Achtelfinal nicht mehr. Schon vor der EM hätte ich nicht sagen können, in welche Gruppe ich möchte. Auch wenn es nach einer Floskel klingt: Jede Mannschaft hat Qualitäten. Wir dürfen nicht vergessen: Polen hat die Deutschen in der EM-Qualifikation 2:0 besiegt. Und an der EM gegen sie 0:0 gespielt.
Wie stoppt man Robert Lewandowski?
Als Mannschaft! Anders geht es nicht. Er hat alles. Er ist torgefährlich, kann den Ball halten, ist neben dem Platz die Leaderfigur.
Sie haben mit Hoffenheim in der Bundesliga gegen Lewandowski mit den Bayern gespielt.
Er ist reingekommen und hat in der Nachspielzeit das Siegestor erzielt. Darum erinnere ich mich lieber an das 2:2 im Testspiel mit der Schweiz gegen Polen vom November 2014. Da habe ich auch gegen ihn gespielt und er traf nicht.
Trotzdem darf man die Polen kaum auf ihn reduzieren.
Überhaupt nicht! Er ist der Topstar. Aber sie haben auch viele andere Spieler von gehobener Klasse. Viel kommt über das Team. Es ist ähnlich wie bei uns.
Welchen Stellenwert hätte für Sie die erstmalige Viertelfinalqualifikation an einem grossen Turnier im Fussball der Neuzeit?
Es wäre ein riesiger Traum, der in Erfüllung geht. Wir würden Geschichte schreiben. Vor der EM herrschte viel Unsicherheit, vor allem von aussen, einiges wurde negativ dargestellt. Nun können wir weiter beweisen, dass das Gegenteil der Fall ist, dass wir etwas reissen können.
Welche Note geben Sie der Schweiz in diesem Turnier bisher?
Eine Fünf. Es war nicht alles perfekt. Aber wir haben uns von Spiel zu Spiel gesteigert. Gegen Albanien war es vielleicht nicht die beste Leistung, aber wir haben das Spiel gewonnen, das muss man auch mal können. Gegen Rumänien und Frankreich waren wir in meinen Augen stark. Es herrscht aber trotzdem kein Überschwang. Wir können uns gut selbst einschätzen.
Sie sind ein Spezialist für die grossen Bühnen. Das war auch schon beim FC Basel so.
Wenn ich in ein Stadion einlaufe, die roten Wände von Zuschauern sehe, die Hymne höre, dann sauge ich das alles auf und denke: «Mein Gott, was gibt es Schöneres, als Fussball zu spielen!» Dann geniesse ich einfach. Und dann gelang mir noch das Tor gegen Albanien. Das gibt schon viel Sicherheit.
Die Schweiz hat an dieser EM erst ein Gegentor erhalten, per Penalty – aus dem Spiel noch gar keines. Löst das Genugtuung aus?
Genugtuung nicht gerade. Es ist ja nicht so, dass ich an uns gezweifelt hätte. Aber es ist schon so, dass die Spiele viel Sicherheit verliehen haben. Vielfach wurde die Verteidigung als Schwachpunkt bei uns dargestellt. Ein Gegentor nach drei EM-Spielen – das ist eine gute Quote.
Gibt es Momente im Fussball, in denen Sie nervös sind?
Definitiv. Zum Beispiel vor dem Spiel gegen Albanien. Nicht gleich unmittelbar davor. Aber am Tag zuvor. Es stand derart viel auf dem Spiel. Meine Gedanken drehten sich nur noch um dieses Spiel. Und dann habe ich mich auch schwergetan mit dem Einschlafen.
Wie hat sich Nationaltrainer Vladimir Petkovic während des Turniers verändert?
Vielleicht ist er fast ein bisschen lockerer geworden, seit die EM begonnen hat. Er lässt uns viel Freiraum. Das schätze ich sehr. Ab und zu einen freien Nachmittag zu haben, um in die Stadt zu gehen, tut dem Kopf gut.
Sie sind ein Spätzünder. Wann wurde für Sie klar, dass Sie Profi werden?
Als ich beim FC Wil in der Challenge League spielte, arbeitete ich nebenbei noch auf einer Bank. Eigentlich erst, als ich zum FC Basel wechselte, war klar, ich werde Profi und setze voll auf den Fussball. Da war ich 20-jährig. Aber es gab Phasen, da dachte ich nicht, dass ich es noch schaffe.
Wann war das?
Zwischen 15 und 17. Nach der U16 sollte ich in der neu gegründeten U20 spielen. Aber dieser Schritt war zu gross für mich, es hat nicht gereicht. Dann habe ich ein Jahr Breitenfussball gespielt. Das ist relativ weit weg vom Dasein als Profi.
Konnten Sie profitieren von den Erfahrungen als Bankkaufmann?
Absolut. Ich bin extrem froh, eine normale Lehre mit Berufsmatur absolviert zu haben. Und erlebt zu haben, wie es ist, fünf Tage zu arbeiten und dann ein Wochenende zu haben. Natürlich, es war auch eine strenge Zeit, ich musste Schule und Training unter einen Hut bringen. Ich musste mir fussballerisch vieles erarbeiten, aber davon profitiere ich heute. Und die Banklehre ist bestimmt auch nicht schlecht für die Zukunft.
Können Sie sich vorstellen, irgendwann zurückzukehren auf die Bank?
Ja, natürlich (lacht).