Was Loïs Boisson am French Open zeigt, ist jetzt schon historisch. Als erst dritte Tennisspielerin erreichte die 22-jährige Französin bei ihrem Grand-Slam-Debüt den Halbfinal. Zuvor gelang dies lediglich Monica Seles im Jahr 1989 und Jennifer Capriati im Jahr 1990. Am heutigen Donnerstag (16.30 Uhr, hier im Liveticker) trifft Boisson auf die US-Amerikanerin Coco Gauff. Gegen die Weltnummer 2 ist die einheimische Weltnummer 361 in Roland Garros natürlich erneut klare Aussenseiterin.
Das war Boisson, die eine Wild Card erhielt, aber auch schon im bisherigen Turnierverlauf – und ganz besonders in den letzten beiden Runden. Erst bezwang sie die Weltnummer 3 Jessica Pegula im Achtelfinal und dann auch noch die aufstrebende Russin Mirra Andrejewa, die sich auf Sand eigentlich sehr wohlfühlt und mit 18 Jahren bereits Position 6 der Weltrangliste einnimmt.
Nach dem Erfolg über Pegula hatte Boisson bereits gesagt: «Ich hoffe zu gewinnen.» Seit 25 Jahren und dem Erfolg von Mary Pierce wartet Frankreich auf eine französische Siegerin in Paris. Nach dem Sieg mit 7:6, 6:3 gegen Andrejewa wiederholte Boisson am gestrigen Mittwoch nun: «Jedes Kind träumt davon, einmal ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, wenn es mit dem Tennis startet. Und wir Franzosen träumen davon, Roland Garros zu gewinnen.»
Dass Boisson nun so nahe an diesem Traum ist, ist ein wahrhaftiges Märchen. Noch vor wenigen Wochen kannte die Französin kaum jemand. Einzig durch einen unrühmlichen Zwischenfall beim Turnier in Rouen geriet sie in die Schlagzeilen. Ihre Gegnerin Harriet Dart beschwerte sich im April bei der Schiedsrichterin über Boissons Geruch: «Kannst du ihr sagen, sie soll Deodorant auftragen? Sie stinkt richtig übel.» Boisson nahm es nach ihrem Sieg mit 6:0, 6:3 mit Humor und bot sich Dove als Werbefigur an. Die Britin entschuldigte sich später.
Mit ihrem Erfolg beim French Open entschädigt sich die 22-Jährige aus Dijon auch für schwierige Monate. Anfang Mai vor einem Jahr stand sie an der Schwelle zu ihrem ersten Grand-Slam-Einsatz. Sie hatte drei ITF-Turniere und erstmals ein Challenger-Turnier gewonnen. Als damalige Nummer 152 der Welt hätte Boisson ebenfalls von einer Wildcard profitiert, ehe sie sich das Kreuzband im linken Knie riss. Mittlerweile sind nicht weniger als 23 Französinnen vor ihr klassiert, dennoch wurde sie von den Organisatoren erneut mit einer Wildcard bedacht. Und diesmal zahlt sie die Einladung mit Zinsen zurück.
Dank des Einzugs in den Halbfinal hat Boisson schon jetzt 500'000 Dollar Preisgeld eingespielt – und damit mehr als dreimal so viel wie in ihrer bisherigen Karriere. Auch in der Weltrangliste wird Boisson einen grossen Sprung machen. Bisher kommt die Tochter des ehemaligen Basketballers Yann Boisson auf 171 Punkte im WTA-Ranking. Schon jetzt hat sie 780 zusätzliche Zähler auf sicher, wodurch sie fast 300 Plätze gutmachen und in die Top 70 vorstossen würde. Mit einem weiteren Sieg wäre gar eine Top-50-Platzierung möglich. Für Boisson sind die letzten beiden Wochen also schon jetzt karriereverändernd.
Die französischen Fans hat Boisson natürlich ebenfalls längst in ihrer Tasche. Lautstark wird sie jeweils angefeuert, nicht immer verhält sich das Publikum dabei fair gegenüber der Gegnerin. Buh- und Zwischenrufe sind wie so oft in Roland Garros keine Seltenheit, wenn eine Französin oder ein Franzose auf dem Platz steht.
The home crowd goes WILD!!! 🤩🇫🇷
— TNT Sports (@tntsports) June 4, 2025
Lois Boisson FIGHTS BACK against Mirra Andreeva's two set points to take the opener for herself in the tie-break! 🤯#RolandGarros pic.twitter.com/OacjOUCmtn
Wie gross die Begeisterung über ihr Märchen nicht nur in den Stadien ist, bekommt Boisson aber gar nicht so richtig mit. Sie wolle in ihrer Zone bleiben, erklärte sie nach dem Viertelfinal: «Ich fokussiere mich auf das Turnier und denke gar nicht darüber nach, was um mich herum passiert. Ich schaue auch nicht in die sozialen Medien. Das mache ich dann nach dem Turnier.»
Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.