Das Prestige in der Szene ist gleich null. Von den Batterie-Töffs reden die furchtlosen Helden auf den Höllenmaschinen mit Verbrennungsmotoren ungefähr so respektlos wie die rauen Kerle im Eishockey über Frauenhockey – wenn sie unter sich sind. Der MotoE-Weltcup (so wird die Rennserie mit den Batterie-Töffs genannt) hat nicht einmal den Status einer Weltmeisterschaft. Diese Rennserie fährt nur, wer anderswo keine Chance mehr hat. Endstation MotoE-Weltcup.
Viele Fans können mit Rennmaschinen ohne Lärm nichts anfangen. Echter Rennsport wird auf Bikes gefahren, die brummen, lärmen, ja brüllen.
Aber es gibt eben auch die andere Seite. Es ist eine faszinierende Rennserie. Die 256 Kilo schweren Elektro-Elefanten sind wegen der Batterie gut 100 Kilo schwerer als eine Maschine der Königsklasse MotoGP. Aber sie beschleunigen trotzdem auf gut 270 km/h.
Für den TV-Zuschauer spielt die fehlende Geräuschkulisse keine Rolle. Die kurzen Sprintrennen mit spektakulären Zweikämpfen auf grossen Maschinen sind eine packende TV-Show. Gemacht fürs Fernsehen, nicht fürs Live-Erlebnis vor Ort. Vorgeführt im Rahmen der Grand-Prix-Veranstaltungen. Dominique Aegerter hat also die gleiche Bühne wie Marc Marquez, Valentino Rossi oder Tom Lüthi. Er tritt mit den Weltstars der Branche auf. In diesem Geschäft zählt nur, wer im GP-Zirkus auftreten darf.
Dieser MotoE-Weltcup mag zwar nur das grüne Feigenblatt einer Sportszene sein, die noch benzinverbrennende Motoren einsetzt. Dabei belasten die Elektrotöffs die Umwelt stärker als alle anderen Klassen zusammen: Den Strom zum Aufladen der Batterien produzieren gut getarnte Dieselgeneratoren. Egal – entscheidend ist, dass mit Strom gefahren wird. Daher ist das Vermarktungspotenzial enorm und wird zurzeit nach wie vor unterschätzt.
Dominique Aegerter ist der erste Fahrer, der zum Star auf den Batterie-Töffs taugt. Er ist mir riesigem Abstand der beste Pilot im Feld. Mit enormer Erfahrung aus den «richtigen» Töff-Rennen, mit 29 Jahren nach wie vor im besten Alter. Er hat den Biss nicht verloren. Und sein fehlendes technisches Verständnis spielt keine Rolle mehr: Die Abstimmung der Batterie-Töffs ist im Quadrat einfacher als zuvor die technische Arbeit an einer Moto2-Maschine. Er ist, wie sich nun zeigt, nach wie vor ein Siegfahrer.
Kein Wunder, hat er die «Batterie-Klasse» im Sturm erobert: Platz 3 im ersten Rennen, Sieg und Führung im Gesamtklassement im zweiten. In Spanien oder Italien würde das niemanden kümmern. Er käme nicht aus dem Schatten der «echten» Stars heraus. Aber den Töffmarkt Schweiz kann er erobern. Hier zählen Siege. Wer gewinnt, bekommt die Medienpräsenz, die Schlagzeilen und die Werbegelder.
Wen hat es einst gekümmert, dass die 125er-Klasse eigentlich nur das Prestige einer «Junioren-WM» hat? Niemanden. Tom Lüthi ist 2005 als 125er-Weltmeister vor Roger Federer Sportler des Jahres geworden.
Noch im letzten Herbst schien Aegerters Karriere beendet und der Platz auf der Töff-Weltbühne verloren. Zu wenig Geld, um sich in ein Moto2-Team einkaufen zu können: Zu wenig gut, um einen Platz ohne «Mitgift» in der Moto2-WM zu bekommen. Noch vor einem Jahr spottete Aegerter, wenn die Rede von den E-Szene war, über «Rasenmäher-Rennen». Auf meine boshafte Prognose, ihm bleibe bald nur noch der Umstieg auf die «Batterie-Töffs» reagierte er unwirsch.
Aber was soll ihn die Rede von gestern kümmern. Nun ist er der erste Star dieser Klasse und ist drauf und dran, als «Batterie-Rossi» Tom Lüthi (33) in der Schweiz den Rang abzulaufen. Denn bei Lichte besehen ist der wahre Schweizer Held des zweiten Jerez-GP Lüthi. Noch ist ihm die Rückkehr in die Spitzengruppe nicht gelungen. Aber mit der ihm eigenen Zähigkeit arbeitet er sich nach dem schwächsten Saisonstart seiner Karriere Stück um Stück aus der Krise heraus.
10. Platz im ersten Rennen, Sturz im zweiten und nun immerhin ein 7. Platz. Aber eben: Mit 35 Punkten Rückstand ist für ihn der Titelkampf schon gelaufen. Was kümmert das grosse Publikum ein mit grosser Tapferkeit erarbeiteter, erkämpfter, erlittener 7. Platz, wenn es einem Sieger und Titelaspiranten zujubeln kann?
«The winner takes it all» («Der Sieger bekommt alles») sagen die Nordamerikaner. Dominique Aegerter siegt zwar nicht in der gleichen Klasse, aber auf der gleichen grossen Bühne wie Tom Lüthi. Das ist für das breite Publikum entscheidend. Und der freundliche, unbekümmerte Rock'n'Roller war schon immer ein Hexenmeister der Kommunikation und der Selbstvermarktung auf allen Kanälen der sozialen Medien. Darin ist er allen anderen Schweizer Piloten überlegen. Auch Tom Lüthi.
Jesko Raffin (24) hatte letzte Saison die gleiche Chance im MotoE-Welcup wie jetzt Dominique Aegerter. Aber für ihn war der E-Weltcup bloss eine Zwischenstation auf dem Weg zurück in die Moto2-WM und nicht – wie für Aegerter – die letzte Chance. Deshalb waren für ihn die Rennen auf den Batterie-Töffs bloss eine Notlösung und er setzte alles auf eine Rückkehr in die Moto2-WM. Die hat er geschafft – doch nun fährt er in der zweitwichtigsten WM chancenlos hinterher – und geht für das grosse Publikum vergessen. Aber Werbegeld gibt es nur für die, die das grosse Publikum nicht vergisst.
Wenn es Aegerter gelingt, den MotoE-Weltcup zu gewinnen, oder wenigstens um den Titel zu kämpfen, dann könnte sich für ihn vielleicht doch noch einmal eine Türe in die Moto2-WM öffnen. Aber eine Rückkehr wäre ein schwerer Fehler. Der Rohrbacher hat die riesige Chance, als Dominator des Batterie-Weltcups auf Kosten von Lüthi der Star der Schweizer Töffszene zu werden.
Mit geschickter Vermarktung – Reiten auf der «grünen Welle» – kann er in den nächsten vier oder fünf Jahren wieder schöne sechsstellige Summen verdienen. Für so wenig Arbeit und Risiko wie noch nie. Sieben oder acht Rennen (statt 19 oder 20 in der Moto2-WM), nebenher ein Vertrag als Testpilot für Honda (wie diese Saison) und populärer als Tom Lüthi. Die Mühsal weicht dem Rock'n'Roll. Nur ein halbes nach der «Stunde null» warten auf Dominique Aegerter die besten vier, fünf Jahre seiner Karriere.
Die Welt ist gerade daran, ein wenig aus den Fugen zu geraten. Auch im internationalen Töffgeschäft. Wir sind noch nicht am Ende aller Überraschungen angelangt.