Nach dem Rückzug von Oslo wird heftig über eine neue Schweizer Olympiakandidatur spekuliert. Der Bündner Gewerbeverband fordert sogar einen neuen Anlauf für 2022. Ist das realistisch?
Gian Gilli: Eher nein. Die Anmeldefrist ist bereits abgelaufen und die Regeln des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) sehen keinen kurzfristigen Richtungswechsel vor. Das wäre gegenüber jenen Bewerbern nicht ganz fair, die ihre Kandidatur ordnungsgemäss eingereicht haben. Ausserdem kann man den Entscheid des Bündner Stimmvolks so kurz nach der Abstimmung nicht einfach über den Haufen werfen. Für 2026 aber sehe ich gute Perspektiven.
Die Winterspiele 2018 und 2022 dürften in Asien stattfinden. Eine Chance für Europa?
Das ist so, und darum sollte man über eine Schweizer Kandidatur diskutieren. Der Lead liegt bei Swiss Olympic und beim Bund. Ich denke nach wie vor, dass «Zurück in den Schnee», das Motto unserer Kandidatur für 2022, ein innovatives Konzept war. Es eröffnet dem IOK die Möglichkeit für einen Richtungswechsel, weg von den grauen Städten. Und in der Schweiz könnten die Spiele eine Aufbruchstimmung erzeugen.
Ist ein erneuter Anlauf realistisch?
Olympische Spiele sind ein Beschleuniger für die Sportentwicklung. Ich finde, die Schweiz sollte den Mut zu einer neuen Kandidatur haben. Ob Graubünden zum Zug kommt, müssen Swiss Olympic und der Bund entscheiden. Sie könnten auch eine andere Region berücksichtigen.
Was müsste man anders machen als bei der gescheiterten Bewerbung für 2022?
Man solle frühzeitig mit dem IOK verhandeln. Wenn es das vorgeschlagene Konzept nicht will, kann man die Übung abbrechen. Oder es dem Volk zu einem früheren Zeitpunkt zur Abstimmung vorlegen.
Das Bündner Nein im März 2013 war relativ knapp. Was hat gefehlt?
Man hört oft, wir hätten zusätzliche Orte einbeziehen sollen, etwa Flims und Chur. Das kann sein. Aber die Vorstellungen des IOK sprachen dagegen. Wir konnten nicht etwas versprechen, das nicht machbar gewesen wäre, das hätte zu einem Partisanenkrieg im Kanton geführt. Deshalb haben wir uns für die ehrliche Version mit der Zentralisierung in Davos und St. Moritz entschieden. Auch aus praktischen Gründen, denn eine Dezentralisierung hätte zu mehr Verkehr geführt.
Es gibt Szenarien für eine gesamtschweizerische Bewerbung. Was halten Sie davon?
Man denkt bei solchen Erwägungen nie an die Sportler. Für sie sind Olympische Spiele ein Karriereereignis, auch weil sie in Kontakt kommen mit Vertretern anderer Sportarten. Wenn alles dezentralisiert und auf verschiedene Orte verteilt wird, geht diese Kultur verloren. Olympia würde zu einer Ansammlung von Weltmeisterschaften. Organisatorisch wäre ein solches Konzept ebenfalls nicht optimal. Die Besucher, Medienleute und Funktionäre müssten zwischen den Wettkampfstätten viel mehr reisen, und es könnte Sicherheitsbedenken geben.
Wird der Rückzug von Oslo beim IOK zu einem Umdenken führen?
Das kann ich nicht sagen. Aber wenn alle mitteleuropäischen Staaten Nein zu einer Bewerbung sagen, müssten beim IOK die Alarmglocken läuten.
Ein Hauptvorwurf an das IOK ist der zunehmende Gigantismus der Winterspiele, zuletzt in Sotschi.
Die Spiele an sich haben keine 50 Milliarden Dollar gekostet. Der grösste Teil der Ausgaben betraf die Infrastruktur. Die Russen haben in acht Jahren etwas gebaut, wofür wir 100 Jahre brauchten. Unsere Bewerbung für Davos/St. Moritz hatte Kosten von 2,5 Milliarden Franken budgetiert, in Oslo waren es meines Wissens vier Milliarden. Also deutlich weniger als 50 Milliarden.
Trotzdem hat Sotschi viele negative Assoziationen erzeugt. Sie waren Chef de Mission der Schweizer Delegation. Wie haben Sie die Spiele erlebt?
Aus Sicht der Sportler waren sie perfekt. Alles lief reibungslos, die Sicherheitsmassnahmen waren sehr defensiv. Aber die Finanzen und die Korruptionsvorwürfe haben einen grossen Schatten auf die Spiele geworfen. So etwas macht Angst, und das kann ich nachvollziehen. Ich war im Vorfeld der Spiele mehrmals in Sotschi und hatte selber ein ungutes Gefühl angesichts der Volumen, die dort verbaut wurden. Andererseits muss man den Russen das Recht zugestehen, ein solches Skigebiet zu entwickeln.