Wer gegen wen? Es ist das Privileg von Samuel Feller, dem technischen Leiter des Verbandes, den ersten Gang beim Eidgenössischen einzuteilen. Um sich von den vielen Spekulationen, guten Ratschlägen und Anfragen zu retten, hatte Feller in den letzten Tagen eine prima Ausrede: «Ich mache die Einteilung erst am Mittwochnachmittag.» Was gestern Nachmittag gewesen wäre. Aber da hatte er natürlich längst eingeteilt.
Die Aufregung um den ersten Gang ist der Festvorfreude geschuldet. Sportlich ist die Bedeutung des ersten Zusammengreifens der Titanen klein, ja beinahe bedeutungslos. Salopp gesagt: der erste Gang bei einem Eidgenössischen hat auf die Königskrönung nicht viel mehr Einfluss als das Eröffnungsspiel einer Fussball-WM auf den Ausgang des Turniers.
Entscheidend ist, am Sonntagnachmittag nach sieben Gängen den Schlussgang zu erreichen. Und das ist selbst bei einem missglückten Start ohne weiteres möglich. Die Kulturgeschichte des ersten Ganges des Eidgenössischen zeigt, wie ein Fehlstart keineswegs das Ende der Königsträume sein muss.
Die zwei spektakulärsten Beispiele betreffen zwei Könige aus der Nordostschweiz. Ernst Schläpfer begann als Titelverteidiger 1983 in Langenthal mit zwei Gestellen gegen Ernest Schläfli und Johann Santschi. Am Ende triumphierte er trotzdem. Allerdings profitierte er massiv vom «Königs-Bonus». Er war gegen Schläfli und Santschi arg unter Druck und wurde durchs Sägemehl geschoben wie ein Knecht. Aber damals waren die drei Kampfrichter noch königstreue «Höseler» und benoteten gnädig. Heute gibt es unter den Augen der TV-Kameras diesen Prominenten-Bonus bei der Notengebung nicht mehr und Ernst Schläpfer wäre mit zweimal 8,75 abgestraft und schon nach zwei Gängen entthront worden.
Jörg Abderhalden begann 1998 das Eidgenössische in Bern gar mit einer Niederlage gegen den Innerschweizer Heinz Suter und wurde dennoch König. Wenn wir noch etwas in der reichen Historie kramen, finden wir eine ganze Reihe von Königen, die das Fest mit einem Gestellten (Unentschieden) begonnen haben.
Zum Beispiel 1964 in Aarau Karl Meli (gegen Kurt Schild), 1974 in Schwyz Rudolf Hunsperger (gegen Karl Meli), 1992 in Olten Silvio Rüfenacht (gegen Enrico Matossi) und 1995 in Chur konnte der spätere König Thomas Sutter zum Auftakt gegen Silvio Rüfenacht mit knapper Not gerade noch ein Remis über die Zeit retten.
Dieser kurze und keineswegs vollständige Blick zurück zeigt uns: Nichts ist nach dem ersten Gang am Samstagmorgen entschieden. Nichts gewonnen. Nichts zerronnen. Entscheidender als das Notenblatt sind «weiche Faktoren»: Lässt sich einer durch einen Fehlstart aus der Ruhe bringen? Wird das Selbstvertrauen geritzt?
So gesehen haben die ersten Paarungen eben doch ihren ganz speziellen Reiz, ja ein Gang hat am Samstagmorgen in Zug womöglich entscheidenden Einfluss auf den Gang des Festes: Christian Stucki, der Titan mit dem weichen Herzen, der sensiblen Seele und dem zarten Selbstvertrauen trifft ausgerechnet auf Pirmin Reichmuth, den aussichtsreichsten Innerschweizer, sozusagen den Erben Geni Haslers. Das ist die Nummer 1 dieser ersten Gänge.
Für beide wäre ein «Kickstart» ins Fest fürs Selbstvertrauen Gold wert und könnte sie weit, sehr weit bringen. Wobei Pirmin Reichmuth ein Unentschieden oder gar eine Niederlage eher einigermassen wettmachen könnte – als der freundliche Titan aus dem Bernbiet. Und fatal wäre für Christian Stucki, wenn der erste Gang über die ganze Kampfdauer ginge – er würde bereits zum Auftakt viel Energie verlieren. Die grossen, mächtigen Männer (er ist 198 cm gross und mindestens 150 kg schwer) verbrauchen nun einmal mehr Kraft als die kleineren, drahtigeren und leichteren. Pirmin Reichmuth ist mit 198 cm Grösse zwar nicht kleiner, aber mit 122 kg leichter und drahtiger.
Die Nummer zwei der Auftaktrunde ist Kilian Wenger gegen Christian Schuler. Der König von Frauenfeld 2010 aus dem Berner Oberland ist ein zweifelnder Titan. Er kann König, aber auf dem Heimweg von Frauenfeld ist ihm sein königliches Selbstvertrauen irgendwo abhandengekommen. Ein Sieg über Christian Schuler, den erfahrenen Aussenseiter der Innerschweizer – in den 16 Kämpfen bei den Eidgenössischen von 2013 und 2016 nur eine Niederlage (gegen Philipp Reusser) – könnte die Initialzündung zu einem ruhmreichen Fest werden. Eine Niederlage oder ein mühseliges Unentschieden würde ihn ins Niemandsland zwischen Zweifel und Trotz zurückwerfen.
Den einfachsten Auftakt hat Samuel Giger, der Leviathan der Nordostschweizer. Wenn er mit Nick Alpiger nicht fertig wird (und zwar zügig), dann wird er auch nicht König. Das ist keine Geringschätzung des Aargauers, der beim Innerschweizerischen im Schlussgang sensationell Christian Schuler gebodigt hat. Aber wenn Samuel Giger den Thron besteigen will, dann sollte er in Zug mit einem Ausrufe- und nicht mit einem Fragezeichen beginnen. Weil uns dieser Gang eine erste Antwort auf die Frage nach dem Formstand und der «Stressfestigkeit» des Selbstvertrauens des Favoriten gibt, ist dieser Hosenlupf die Nummer 3 des ersten Durchgangs.
Samuel Giger gegen Nick Alpiger, Pirmin Reichmuth gegen Christian Stucki und Kilian Wenger gegen Christian Schuler – wer wettet, dass in diesen drei Paarungen der neue König zu finden ist, hat gute Chancen, eine schöne Treichel mit nach Hause nehmen zu können.
Eine gewisse Bedeutung hat er also trotz allem, dieser erste Gang am Samstagmorgen.
Er laesst seine groessten Hoffnungen (Stucki, Glarner, und Aeschbacher) geschlossen gegen Topfavoriten antreten.
Zwar koennten die Berner auf 3 Gestellte schwingen und dann hoffen in der weiteren Einteilung "gnaedig" davon zu kommen, aber ich denke der Vorwurf des "eigene Schwinger bevorzugens" steht nicht zur Debatte.
Ein wenig erstaunt bin ich, dass Giger (in meinen Augen Topfavorit) einen auf den ersten Blick "leichteren" Gegner bekommt.