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Sepp Blatter

Gutmensch, Machiavellist und am Ende das Opfer seiner Naivität – ein Nachruf auf die Karriere von Sepp Blatter

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Joseph Blatter, aufgenommen im Jahre 1966: Der Walliser mit Jahrgang 1936 studierte an der Universität in Lausanne Volkswirtschaft und schloss 1958 mit Diplom ab.
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Gutmensch, Machiavellist und am Ende das Opfer seiner Naivität – ein Nachruf auf die Karriere von Sepp Blatter

FIFA-Präsident Sepp Blatter (79) beherrschte die Machtpolitik im internationalen Sport wie kaum ein anderer. Ein Machiavelli des 21 Jahrhunderts. Er ist mit ziemlicher Sicherheit nicht korrupt. Gescheitert ist er trotzdem. Die Würdigung einer Weltkarriere, die soeben zu Ende gegangen ist.
03.06.2015, 08:2603.06.2015, 08:37
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Wir können es ganz banal sagen: Sein erstes Amt im Sport war ein Beziehungsdelikt und auch sein letztes Amt war eines. Er verdankt den Aufstieg zum mächtigsten Mann der Sportwelt seiner Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen. Beziehungen zu knüpfen. Sepp Blatter ist ein Machtmensch mit dem Auftreten eines Biedermannes. Kein Blender, der sich Feinde und Neider schafft, Rhetorisch ein bisschen linkisch, fast ein wenig unbeholfen und bisweilen ein wenig an Inspektor Columbo mahnend.

Er ist ein Mann, der es versteht, jedem Gesprächspartner das Gefühl zu vermitteln, gerade der wichtigste Mann in seinem Leben zu sein. Und er hat ein phänomenales Gedächtnis für Menschen. Als er nach seiner Wiederwahl am letzten Samstag sagt, er vergebe, aber er vergesse nicht, dürften einige Herren erschrocken sein.

Typisch für Blatter ist eine Szene aus dem letzten Jahr. Er wird von Jean-Claude Schertenleib, einem Journalisten der Westschweizer Zeitung «Le Matin» interviewt. Er kennt den Mann aus dem Umfeld von Xamax, hat ihn aber seit Jahren nicht mehr gesehen. Er begrüsst den Interviewer mit den Worten. «Schön, Sie zu sehen. Wir haben doch beide am gleichen Tag Geburtstag.» Und es stimmte. Das ist Sepp Blatter. Seine Gegner haben ihn immer unterschätzt. Bis ganz zuletzt.

Sein letzter Gang: FIFA-Präsident Sepp Blatter tritt ab.
Sein letzter Gang: FIFA-Präsident Sepp Blatter tritt ab.Bild: RUBEN SPRICH/REUTERS

Sein Karriereanfang beginnt mit einem Beziehungsdelikt. 1963 wird Josef Kuonen aus Visp zum Präsidenten des Schweizerischen Eishockeyverbandes gewählt. Er macht einen 28-jährigen Mann aus seinem Dorf zu seinem Generalsekretär. Sepp Blatter. Auf dem Umweg durch die Privatwirtschaft in der Kommunikationsabteilung des Uhrenherstellers Longines wird er im Sommer 1974 Entwicklungsdirektor der FIFA.

Es ist der Anfang einer Weltkarriere. Er bereist sozusagen alle FIFA- Mitgliederländer, vor allem auch jene, die in Asien oder Afrika der Entwicklung bedürfen. In dieser Zeit knüpft er jenes Netz der Beziehungen, das nie mehr reissen wird und ihm soeben noch einmal die Wiederwahl ermöglicht hat. Er hatte früher als alle erkannt, dass nicht die Europäer den FIFA-Präsidenten machen, sondern die Afrikaner, Asiaten, Süd- und Mittelamerikaner. 1981 wird er Generalsekretär der FIFA, 1998 wird er als Nachfolger des Brasilianers Joao Havelange FIFA-Präsident.

Mit Charme, Schlauheit und einer Mission

Der freundliche, gute Mensch aus der Schweiz, der Entwicklungsgelder bringt, ist aber auch ein Machiavellist. Dieser Vergleich mag klischeehaft sein. Aber wenn wir den Aufstieg von Sepp Blatter verstehen wollen, kommen wir eben nicht am grossen Politiker, Philosophen und Schriftsteller aus dem Florenz der Renaissance vorbei. Er hat den Begriff Machiavellismus geprägt: Machtpolitik mit Ausnutzung aller Mittel. Seine Bücher sind noch heute die Gebrauchsanleitung zu jeder politischen Karriere. Tief im Herzen möchten alle Politiker kleine Machiavellis sein. Nur ganz wenige sind es mit Leib und Seele. Einer davon ist Sepp Blatter.

Aber er ist ein sanfter Machtmensch mit Charme, Schlauheit und einer Mission. Und letztlich ist er mit ziemlicher Sicherheit genauso wie Niccolo Machiavelli unbestechlich und erliegt nie der Sünde der Gier. Die ein bisschen naive Vorstellung, mit dem Fussball die Welt zu retten, treibt ihn um und sein Traum, der wohl unerfüllt bleiben wird, war der Friedensnobelpreis. Er hat einmal gesagt, auf der Leiter nach oben solle man mit allen Menschen freundlich sein. Vielleicht müsse man ja die Leiter wieder einmal hinabsteigen.

Sepp Blatter, wie er sich am liebsten sah: Als Heilsbringer für die weniger Privilegierten.
Sepp Blatter, wie er sich am liebsten sah: Als Heilsbringer für die weniger Privilegierten.Bild: Majdi Mohammed/AP/KEYSTONE

Wären nur Macht und Gier seine Antriebskräfte gewesen, dann wäre er früh gescheitert. Wer gierig ist, macht Fehler und dann lassen ihn andere bald nach ihrer Pfeife tanzen. Sepp Blatter war mit ziemlicher Sicherheit nie korrupt. Gerade deshalb war er unangreifbar. Auch das ist typisch Sepp Blatter: Mit rührend wirkender Naivität nannte er in einem Zeitungsinterview seine jährliche Spesenpauschale von einer Million. Er spielte, wenn es um seine ganz persönlichen Verhältnisse ging, mit offenen Karten. Seine Kritiker liefen ins Leere.

Ab 1981 war Sepp Blatter als Generalsekretär der zweite und ab 1998 als Präsident der erste Mann der FIFA. Und doch ist die FIFA, so wie wir sie heute kennen, nur bedingt sein Werk. Es geht ihm wie jemandem, der ein Löwenbaby aufzieht und hätschelt und dann irgendwann ein ausgewachsenes Raubtier in seiner Wohnung hat. Es ist reichlich vermessen, den Mann an der Spitze für den Sumpf der Korruption verantwortlich zu machen. Er hatte nicht mehr die Machtmittel, wohl auch nicht mehr die Energie, um die Ordnung durchzusetzen.

Zu mächtig geworden

Die FIFA ist weder eine öffentlich-rechtliche Institution noch eine Aktiengesellschaft. Sondern bloss ein Verein nach Art. 60ff. unseres Zivilgesetzbuches und daher ohne strenge Auflagen für Bilanzierung, Buchführung, Gewaltentrennung und Transparenz. Ein global operierender Milliardenkonzern mit der Rechtsform eines Vereins – eigentlich ein Wahnsinn.

Sede vacante – wer wird wohl auf Sepp Blatter folgen? Darüber herrscht noch Unklarheit.
Sede vacante – wer wird wohl auf Sepp Blatter folgen? Darüber herrscht noch Unklarheit.Bild: EPA/KEYSTONE

Und nun ist er doch gestürzt worden. Oder besser: Er hat sein Amt niedergelegt. Auch Machiavelli ist in Florenz schliesslich gescheitert. Sepp Blatter hat jetzt wohl erst in vollem Umfang begriffen, was in seiner FIFA wirklich läuft und was ihm droht. Eine gewisse Naivität, die ihn vor dieser Erkenntnis geschützt hatte, machte es möglich, dass die FIFA geworden ist, was sie ist.

Sepp Blatter tritt mit der Überzeugung ab, ein globaler Gutmensch zu sein, der den Menschen doch nur den Frieden und die Freude an einem Spiel bringen wollte. Vielleicht war er das in seinem Herzen eben doch ein wenig. Deshalb ist er so mächtig geworden, deshalb ist aus der FIFA das «Monster» geworden, das ihn nun am Ende verschlungen hat.

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