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Bald vier Franken pro Liter Benzin? Bundesrat Guy Parmelin im Interview

Bundesrat Guy Parmelin spricht waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 8. Maerz 2022, im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Bundesrat und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) zeigt sich besorgt über die Versorgungssicherheit der Schweiz.Bild: keystone

Bald vier Franken pro Liter Benzin? Parmelin: «Die Preise werden steigen, natürlich»

Der Wirtschaftsminister erwartet von den Sanktionen gegen Russland einen Bumerangeffekt auf die Schweiz mit höheren Preisen und einer möglichen Konjunkturdelle. Selbst ein Szenario von 4 Franken pro Liter Benzin schliesst der SVP-Bundesrat nicht aus.
12.03.2022, 13:04
Stefan Bühler, Othmar von Matt / ch media
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Engagieren Sie sich persönlich für die Kriegsopfer aus der Ukraine, nehmen Sie allenfalls Flüchtlinge bei sich auf?
Guy Parmelin:
Ja, ich engagiere mich privat, aber wie - das bleibt auch privat.

>> Russland-Ukraine-Konflikt: Alle News im Liveticker

Wie erleben Sie diese Tage mit all den schrecklichen Ereignissen?
Ich bin schockiert und traurig. Ich wünsche mir, dass dieser Konflikt so schnell wie möglich endet. Beim Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei 1968 war ich neun Jahre alt. Ich erinnere mich, wie beunruhigt meine Eltern und Grosseltern damals waren. Dass wir jetzt im 21. Jahrhundert wieder so etwas erleben, ist dramatisch.

Haben Sie erwartet, dass es soweit kommt?
Nein, nicht in diesem Ausmass. Vielleicht begrenzte Angriffe im Osten und Süden der Ukraine, wie das manche Experten erwarteten. Als aber die Angriffe Richtung Kiew begannen, habe ich begriffen, dass es nun viel schlimmer kommen wird, mit schrecklichen Folgen für die Menschen, wie wir das ja jetzt schon sehen.

Bundesrat Guy Parmelin positiv auf Corona getestet
Am Samstagvormittag wurde Bundesrat Guy Parmelin positiv auf das Coronavirus getestet. Zuvor habe der Wirtschaftsminister leichte Symptome verspürt.
Das Wirtschaftsdepartement teilte das positive Testresultat von Guy Parmelin am Samstag mit. Der Bundesrat befinde sich in Isolation und habe alle geplanten Veranstaltungen der nächsten Tage abgesagt. Auch Parmelins Amtskollege Alain Berset wurde vor wenigen Tagen positiv auf das Virus getestet. (dpo)

Die Schweiz ist militärisch nach wie vor neutral. Sie hat aber die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Putins Regime voll übernommen. Befinden wir uns in einem Wirtschaftskrieg gegen Russland?
Nein. Mit unseren Sanktionen reagieren wir auf einen schlimmen Verstoss gegen das Völkerrecht. Es ist ein starkes Zeichen, aber wir führen keinen Wirtschaftskrieg gegen Russland.

Bundesrat Guy Parmelin spricht an einer Medienkonferenz ueber die Ukraine Krise, am Freitag, 4. Maerz 2022 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Bundesrat Guy Parmelin an einer Medienkonferenz Anfang März. Er räumt Fehler in der Kommunikation rund um die EU-Sanktionen ein.Bild: keystone

In Moskau sieht man das anders: Putins Regierung betrachtet die Schweiz nun als feindlichen Staat.
Das nehme ich zur Kenntnis. Aber noch einmal: Es ist nicht das erste Mal, dass wir in einem Konflikt Sanktionen unserer wichtigsten Handelspartner übernehmen, so wie das unser Embargo-Gesetz vorsieht. Diesmal wegen einem besonders krassen Verstoss gegen das Völkerrecht. Wir sind trotzdem weiterhin neutral und bieten auch unsere Guten Dienste an, wenn die Konfliktparteien das wünschen.

Die EU hat inzwischen schon weitere Sanktionen und die USA ein Ölembargo gegen Russland beschlossen. Wird der Bund nachziehen?
Man muss das in jedem einzelnen Fall analysieren und gegebenenfalls in unser Sanktionsrecht aufnehmen. Beim Rohstoffhandel rate ich aber zur Vorsicht. Denn es geht hier nicht nur um Öl und Gas, es geht auch um Nahrungsmittel. Länder wie Jordanien, Tunesien und Ägypten beziehen beispielsweise 50 bis 90 Prozent ihres Bedarfs an Getreide aus der Ukraine oder Russland. Sind wegen einem Embargo die Schiffe blockiert, sind viele Länder im Nahen Osten von Hunger und einer Destabilisierung bedroht. Das gilt es zu berücksichtigen.

Über den Rohstoffhandel, namentlich von Öl und Gas, fliessen jeden Tag Millionen in Putins Kriegskasse. Trotzdem wollen Sie am Rohstoffhandel mit Russland festhalten?
Ergreift die EU solche Massnahmen, muss der Bundesrat das sorgfältig analysieren und auch globale Nebenwirkungen einbeziehen.

«Ich bin dagegen, dass wir Massnahmen ergreifen, die andernorts zu neuen Problemen führen und die globale Krise noch weiter verschärfen.»
Guy Parmelin

Man könnte sich überlegen, wie diese Nebenwirkungen in Nordafrika zu dämpfen sind, damit trotzdem Rohstoffsanktionen gegen Russland möglich werden.
Das betrifft nicht nur Nordafrika oder den Nahen Osten, Und das ist nicht so einfach. Diese Länder haben nicht solche Reserven wie wir mit unseren Pflichtlagern. Ich stelle fest, dass auch die EU sehr zurückhaltend ist mit Sanktionen im Rohstoffbereich.

Und wenn die Schweiz im Notfall einen Teil ihrer Pflichtlager an Länder in Nordafrika abgäbe?
Die Schweiz ist in den Europäischen Mechanismus zur Krisenvorsorge und Krisenreaktion im Bereich der Ernährungssicherheit involviert.. Hier gibt es derzeit Krisensitzungen. Falls die EU entscheiden sollte, dass die Mitgliedsstaaten einen gewissen Prozentsatz von knappen Gütern aus ihren Reserven für Drittstaaten reservieren, könnten wir prüfen, uns anzuschliessen. Das Wichtigste ist aber ein möglichst rascher Waffenstillstand. Nicht nur wegen den Kriegsopfern. Sondern auch, weil wir sonst Gefahr laufen, dass die Saat in der Ukraine nicht rechtzeitig ausgebracht werden kann. Ein Ernteausfall in diesem Jahr hätte schwerwiegende Folgen für die weltweite Getreideversorgung.

Will sich die Schweiz den Rohstoffsanktionen letztlich nicht anschliessen, damit sie weiterhin profitieren kann?
Nein. Das zeigt sich schon daran, dass wir sehr genau überlegen, welche Auswirkungen Rohstoffsanktionen in globaler Hinsicht hätten.

Die bereits ergriffenen Sanktionen wirken sich nicht nur in Russland aus, sondern auch bei uns. Finden Sie es richtig, dass auch Schweizerinnen und Schweizer einen Preis zahlen für die Verteidigung des Völkerrechts und für die Menschen in der Ukraine?
Der Bundesrat ist der Meinung, dass die Sanktionen nötig und richtig sind. Aber klar, es gibt immer einen Bumerangeffekt, der uns selber trifft.

Welchen?
Dauert der Konflikt länger an, werden die volkswirtschaftlichen Effekte stark sein. In Deutschland befürchten manche Experten eine Inflation von 10 Prozent. Soweit sind wir nicht. Aber schauen Sie jetzt bei den Treibstoffen: Wenn sich der Preis für Benzin und Diesel verdoppelt oder verdreifacht, sind das Kosten, die sich zuletzt bei den Produkten auswirken. Die Preise für die Konsumenten werden steigen, natürlich.

Wie hoch wird der Benzinpreis steigen, auf 4 Franken wie man hört?
Ich bin kein Hellseher, der in die Zukunft sieht. Dauert der Krieg an, dürfte auch der Benzinpreis weiter steigen. Es lässt sich jetzt noch nicht sagen, ob wir in eine Rezession geraten oder nur in eine vorübergehende Abschwächung der Konjunktur. Es ist eine angespannte Lage.

Eine Eni Tankstelle an der A-2 Autobahnraststaette Erstfeld praesentiert seine Benzinpreise am Donnerstag, 10. Maerz 2022, in Erstfeld im Kanton Uri. Wegen dem Krieg in der Ukraine sind die Rohoelprei ...
Die Benzinpreise sind aufgrund des Ukraine-Kriegs stark gestiegen. Auch in der Schweiz.Bild: keystone

Aber als Wirtschaftsminister werden Sie Szenarien ausgearbeitet haben.
Selbstverständlich. Wir verfügen über Basis-Szenarien, die auf der gegenwärtigen Situation beruhen. Und solche, mit einer Verschlechterung der Situation in Osteuropa. Wir sind dafür im Austausch mit europäischen Partnern, aber auch mit unserer Industrie, dem Gewerbe. So wissen wir, wo Engpässe drohen, wo es zu Unterbrüchen von Lieferketten und damit auch zu Kurzarbeit in den betroffenen Betrieben kommen könnte. Wir haben eine Hotline für betroffene Firmen eingerichtet, die rege benutzt wird. Zudem steht das Instrument der Kurzarbeit wie immer bereit. Unsere Spezialisten sind in Kontakt mit der Wirtschaft und den Kantonen. Wir beobachten die Lage sehr aufmerksam.

Ist ein Benzinpreis von 4 Franken auch ein solches Szenario?
Im Moment liegt der Preis deutlich über 2 Franken pro Liter. Ich kenne die Zukunft nicht, aber ein Preis von 4 Franken kann ein Szenario sein.

Wenn Gas und Öl längerfristig knapp werden: Wird der Bundesrat uns dann vorschreiben, dass wir nur auf höchstens 18 Grad heizen dürfen?
Jetzt kommt zum Glück der Frühling! Übrigens ist es sowieso nicht gesund, Wohnräume auf 22 Grad zu heizen (lacht). Aber es ist so, dass wir uns vorbereiten. Der Bundesrat hat mich und meine Kollegin Simonetta Sommaruga beauftragt, sicherzustellen, dass die Schweizer Gasbranche möglichst rasch Gas und Gasspeicherkapazitäten beschaffen kann.

Der Krieg in der Ukraine zeigt unter anderem auch unsere Abhängigkeit von Russland bei der Gasversorgung. Sind Sie besorgt um die Versorgungssicherheit unseres Landes?
Panik ist fehl am Platz, aber Ja: Ich habe gewisse Sorgen. Die internationale Situation ist äusserst angespannt.

Diese Bilder zeigen: Der Krieg verschont die Kinder nicht

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Abhängigkeiten gibt es auch in anderen Bereichen und von anderen Staaten. Wo sehen Sie die grössten Risiken für die Schweiz: bei der Energie, den Medikamenten?
Wir sind ein Land mit sehr wenig Rohstoffen, etwa bei bestimmten Metallen sind wir komplett auf Importe angewiesen. Auch viele medizinische Wirkstoffe beziehen wir aus Indien und China. Das ist aber nicht neu. Europa, aber auch die USA, haben wohl aus Kostengründen entschieden, Antibiotika und Impfstoffe nicht mehr selber in genügenden Mengen herzustellen. Jetzt sehen wir, dass das problematisch sein kann und wir abhängig sind. Das kann man aber nicht von heute auf morgen korrigieren. Dank unserem privatwirtschaftlich organisierten System der Pflichtlager können wir bei Bedarf zum Beispiel gewisse medizinische Wirkstoffe freigeben. Das schafft Sicherheit.

Alles kein Problem also?
Nein, das nicht. Schon mit Covid kam die Frage auf den Tisch, wie wir in Europa unsere wirtschaftliche Versorgung verbessern. Etwa über mehr Zusammenarbeit. Es setzt aber das Interesse der Privatwirtschaft, der Unternehmen voraus. Ich sehe nicht, dass die Staaten diese Versorgung übernehmen können.

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Es gibt schon staatliche Interessen: Sollte China Taiwan angreifen, können wir keine Sanktionen ergreifen, weil wir bei Produkten wie Antibiotika von China abhängig sind.
Das ist eine These, die Sie in den Raum stellen.

Ist sie falsch?
Bis jetzt ja.

Weil China Taiwan noch nicht angegriffen hat?
Zu Ihrer Frage: Es ist in der Tat so, dass mit dem Angriff auf die Ukraine etwas Realität geworden ist, was uns vor kurzem noch unmöglich schien. Das kann auch andernorts passieren. Wir müssen langfristige Lösungen finden und unsere Wirtschaftsbeziehungen weiter diversifizieren.

Muss die Schweiz ihre Partner sorgfältiger auswählen: Weniger Abhängigkeit von autoritären Regimes wie in Russland oder China, noch mehr Zusammenarbeit mit demokratischen Staaten und insbesondere mit der EU?
Der Bundesrat hat seine Stossrichtung für die künftige Zusammenarbeit mit der EU beschlossen. Wir wollen gute Beziehungen mit Europa behalten und erwarten, dass die Verhandlungen nun wieder beginnen.

Und wollen Sie auch die Abhängigkeiten von Autokraten reduzieren?
Der Bund sorgt für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Es ist an den Unternehmen, selber abzuwägen, welche Risiken sie eingehen. Wir machen sie auf mögliche Gefahren und Schwierigkeiten aufmerksam, die in manchen Ländern oder Regionen drohen. Aber wir sind eine weltweit agierende Volkswirtschaft. Und das sollten wir auch bleiben. Dank unserem weit geknüpften Netz mit rund 40 Freihandelsabkommen sind wir dafür schon gut aufgestellt. (aargauerzeitung.ch)

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220 Kommentare
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Scrat
12.03.2022 13:34registriert Januar 2016
Dass die Sanktionen auch auf uns einen Einfluss haben werden, war von Anfang an klar. Dann kostet der Liter Benzin halt 4 oder 5 Franken - ist mir immer noch lieber, als dass es Bomben regnet.
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Firefly
12.03.2022 13:45registriert April 2016
Nein, kein Handel mehr mit Autokratischen Regimen. Dies ist der Anfang von allem Übel, und wird das Ende sein, wenn wir es sein lassen.

Auch zum Preis, dass die liberalen Länder Dinge wieder selber herstellen müssen und erst mal die Preise hoch gehen. Das macht einige wenige vielleicht nicht mehr soooo reich, dafür schafft es Abreitsplätze, Unabhängigkeit und Freiheit. Und Autokraten können ihre Repressions- und Kriegs-Kassen nicht mehr füllen.

Und nein es liegt nicht beim Konsumenten, das wissen wir jetzt. Wenn es sein muss kann man Politsch von heute auf morgen handeln, wenn man will.
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paddyh
12.03.2022 13:22registriert Januar 2016
Ich finde es einfach so richtig bezeichnend, dass für svp und fdpler die Schlussfolgerung aus dem ganzen ist, dass man eben auch mit Despoten und Schurkenstaaten handel treiben soll. Dass wegen genau diesen Politikern und deren Eigeninteressen immer noch so wenig grüne Energie vorhanden ist, wird mal einfach wieder ignoriert. Ich sehe den Rechtsrutsch schon kommen, weltweit.
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