Er hatte es kommen sehen: In den vergangenen Tagen hatte der russische Milliardär Roman Abramowitsch versucht, seine Beteiligungen in Grossbritannien schnell abzustossen, bevor die britische Regierung ihm jeden Spielraum nimmt.
Übereilt soll er laut Medienberichten versucht haben, einige seiner Luxusanwesen in London zu verkaufen. Ebenso hastig stellte er zudem seinen Fussballverein, den 1. FC Chelsea, zum Verkauf und gab an, die Erlöse für die Opfer in der Ukraine spenden zu wollen.
Es wirkt, wie der Versuch eines Reinwaschens – die Hoffnung, Distanz zu dem Mann zu gewinnen, der ihm einst zum Reichtum verholfen hat: Russlands Präsident Wladimir Putin.
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Umsonst: Am Donnerstag fiel auch Abramowitsch in den Fokus der britischen Sanktionen, gemeinsam mit sechs anderen Günstlingen Putins. Neben dem bekannten russischen Oligarchen trafen die Sanktionen auch Igor Sechin, Oleg Deripaska, Andrey Kostin, Alexei Miller, Nikolai Tokarew and Dmitri Lebedew.
Mit Igor Sechin trifft es einen der engsten Vertrauten Putins. Der Präsident des staatseigenen Ölkonzerns Rosneft gilt als zweiteinflussreichster Mann Russland, seit den 1990er-Jahren soll er Putin bereits unterstützen. Das britische Aussenministerium bezeichnet Sechin als rechte Hand Putins.
Das beweist auch seine Position: Als Rosneft-Präsident sitzt Sechin direkt an der Quelle einer der wichtigsten russischen Druckmittel – dem Öl. Die EU hatte Sechin daher bereits vergangene Woche auf die Sanktionsliste gesetzt.
Oleg Deripaska ist ein vermögender Unternehmer aus Russland, der unter anderem auch Geschäftspartner von Abramowitsch gewesen sein soll, berichtet der britische «Guardian». Der Oligarch ist Gründer und Eigentümer von Basic Element, einer der grössten russischen Industriegruppen, und gründete auch andere Unternehmen.
Bis vor wenigen Jahren war er noch Teilhaber und Mitbegründer des Rusal-Konzerns – dem zweitgrössten Aluminiumherstellers der Welt. Sein Anteil an dem Rohstoffunternehmen En+ Group liegt bei 45 Prozent und wird auf einen Wert von 1.6 Milliarden Pfund geschätzt.
Deripaska ist Sanktionen gewohnt. 2018 setzte ihn die USA bereits auf eine Sanktionsliste, Ende 2021 durchsuchte das FBI mehrere Anwesen von ihm in New York und Washington.
Deripaska scheint sich gegen neue Sanktionen zu wappnen und einige seiner Vermögensgüter ausser Reichweite zu bringen. Laut jüngsten Berichten des ORF soll er etwa ein Luxushotel in Österreich an seinen Cousin verkauft haben. In Europa steht er bisher noch nicht auf der Sanktionsliste.
Die Oligarchen Kostin, Miller, Tokarew und Lebedew gelten als Teil des «inneren Zirkels» des Präsidenten.
Andrey Kostin ist der Vorstandsvorsitzende der zweitgrössten Bank Russlands, der VTB. Nachdem seine Bank bereits von den Sanktionen mehrerer westlicher Länder stark eingeschränkt wird, trifft es nun auch das Privatvermögen des Bänkers.
Alexei Miller ist Vorstandsvorsitzender des staatlichen kontrollierten Konzerns Gazprom, eines weiteren wichtigen Druckmittels Russland. Das Unternehmen war in Deutschland nicht nur wegen des Erdgases bekannt, das es nach Deutschland liefert. Lange Zeit war Millers Konzern auch Sponsor des Bundesligaclubs Schalke 04 , der nun Distanz zum einstigen Geldgeber sucht.
Nikolay Tokarew ist ebenfalls eine wichtige Person aus dem russischen Energiesektor. Er ist Vorstandsvorsitzender bei Transneft. Das staatliche Unternehmen mit Sitz in Moskau betreibt die Erdöl-Pipeline Russlands. Tokarew hat damit ebenfalls eine wichtige Funktion in der russischen Wirtschaft und sichert damit eine Teil von Putins Macht.
An wenigsten bekannt ist von der Rolle des Dmitri Lebedew bekannt. Der Bänker ist Vorstandsvorsitzender der Bank Rossiya – einem Geldhaus, das ebenfalls eher unbekannt ist.
Das könnte an dem elitären Kreis der Kundschaft liegen, der hier sein Geld verwahrt. Laut Berichten des «Guardian» bringt vor allem die wirtschaftliche und politische Elite ihr Geld in diese Bank.
Grossbritannien hatte bereits in der vergangenen Woche harte Massnahmen gegen Oligarchen angekündigt. Die Regierung unter Premier Boris Johnson stand vor allem im eigenen Land in der Kritik, die Sanktionen gegen die Oligarchen zu spät auszusprechen.
Viele Politiker in der Opposition befürchten, dass die russischen Superreichen die Zeit nutzen könnten, um ihr Vermögen aus Grossbritannien abzuziehen. Das würde die Schlagkraft der Sanktionen stark vermindern.
Dennoch benötigt ein Sanktionsverfahren Zeit: Denn die Regierung muss die finanziellen Mittel des Oligarchen mit Putin in Verbindung bringen. 2018 scheiterte etwa ein erster Sanktionsversuch gegen Roman Abramowitsch aus diesem Grund.
Nun kommt die britische Regierung in ihrem Sanktionsschreiben zu dem Schluss, dass Abramowitsch eine Vorzugsbehandlung und Zugeständnisse erhalten habe über die Jahre, zudem habe eine Stahlfirma, Evraz PLC, an der Abramowitsch einen Grossteil der Anteile hält, das russische Militär beliefert.
Damit destabilisiere auch der Oligarch die Ukraine und «untergräbt und bedroht ihre territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit».
Der Oligarch, der vor allem durch sein Fussballinteresse in der Öffentlichkeit steht, gilt als ein früher Begleiter Putins. Im Dezember 2000 wurde Abramowitsch zum Gouverneur des Autonomen Kreises der Tschuktschen gewählt und im Oktober 2005 im Amt bestätigt.
Erst nach acht Jahren entliess ihn der russische Präsident Dmitri Medwedew nach mehrfachen Gesuchen aus dem Amt in der entlegenen Provinz. Insgesamt befinden sich nun mehr als 200 russische Individuen auf der Sanktionsliste der Briten, die bis ins Jahr 2020 zurückgeht.
Das Ziel ist es, über die Vermögen der Oligarchen den Zuspruch für Putin ins Wanken zu bringen und so Putins Macht zu destabilisieren. Dieser hat sich über Jahre ein System aufgebaut, in dem er Vertraute in wichtige Machtpositionen gebracht hat, die in einer gewissen Abhängigkeit von ihm stehen, erklärt etwa der russische Schriftsteller und Regierungskritiker Vladimir Sorokin.
Er glaubt, dass die Sanktionen Wirkung zeigen könnten. Im Interview mit dem «Spiegel» erklärt der Autor, dass die Oligarchen mit Putins Politik und Hass gegen den Westen nicht zufrieden sei – denn dieser verdirbt ihnen das Geschäft.
Tatsächlich sprechen einige Oligarchen mittlerweile sehr frei – und kritisch – über Putin. So nannte etwa der mittlerweile sanktionierte Oleg Deripaska den Krieg Russlands gegen die Ukraine «Wahnsinn» und warnte vor einer schlimmen Wirtschaftskrise.
«Mit solchen Herausforderungen sind wir noch nicht konfrontiert worden. Der Eiserne Vorhang ist bereits gefallen», so Deripaska. Das Ausmass der Sanktionen werde sich erst in drei Wochen zeigen.
Dann sei klar was mit den russischen Banken endgültig geschehe und «wer von unseren Partnern übrig bleiben wird», sagte der Oligarch auf dem Krasnojarsker Wirtschaftsforum vergangene Woche. Er prognostizierte, dass es nur wenige sein würden.
«Krieg ist niemals die Antwort (...) den aktuellen Konflikt sehe ich als eine Tragödie für beide Seite», soll der Geschäftsmann Michail Fridman geschrieben haben, der seit vergangener Woche auf der EU-Sanktionsliste steht.
Gleichzeitig droht Putin seinen Kritikern mit immer drakonischeren Strafen im eigenen Land und schneidet die Bande zum Westen noch entschlossener durch.
Das machte etwa der russische Aussenminister Sergej Lawrow deutlich. Sein Land werde keine Illusionen über den Westen haben, sagt er am Donnerstag. Russland werde versuchen, nie wieder vom Westen abhängig zu sein.
Ob die reichen Oligarchen bereit sind, die lukrativen Geschäfte und ihre Vermögenswerte ebenfalls so leicht aufzugeben wie Putin, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Muss es auch nicht. Es reicht, wenn er sie vom Heimatland hat.