Zuerst kamen die Schmerzen. Und mit den Schmerzen der Kampf um eine schnelle Behandlung: M. L.* aus Sursee LU, Pflegerin, dreifache Mutter, plagte plötzlich ein Stechen im Rücken. Es zog sich bis in die Beine, Knie beugen unmöglich – L. konnte bald nicht mehr arbeiten. Der Hausarzt verschrieb der Patientin starke Medikamente, doch die Schmerzen blieben.
«Vielleicht geht's ja vorbei», dachte sich L. immer wieder. Doch es ging nicht vorbei. Der Hausarzt schickte sie zu einem Rückenspezialisten der St.Anna-Klinik in Luzern, ein MRI brachte schliesslich Klärung. Die Diagnose: Eine Zyste in der Wirbelsäule, die operativ entfernt werden muss. Das war Ende November. L. war froh darum, endlich zu wissen, woher ihre Schmerzen rührten.
Doch die Ernüchterung kam postwendend: Der Spezialist, Dr. G., legte den Operationstermin auf Mitte Februar 2015. «Die Schmerzen schränkten mich komplett ein, ich litt», sagt L. heute. «Wie sollte ich das bis Februar aushalten?» Die Umstände sind auch für ihre Arbeitgeberin F. K. mühsam. «Wir konnten nicht so lange auf L. verzichten», sagte sie gegenüber watson. «Das muss doch schneller gehen.»
K. schaltete sich ein und kontaktierte den Spezialisten. Eine schnellere Operation sei möglich, hiess es, falls sich L. kurzfristig upgraden liesse – von allgemein versichert auf halbprivat. Gegen Geld also. «Ich dachte, ich hätte keine andere Möglichkeit», sagt L. heute und unterschrieb einen Antrag auf ein Versicherungs-Upgrade.
Die Bedingung des Upgradings: L. müsse die Mehrkosten selber übernehmen, die Versicherung decke die Zusatzkosten nicht ab, hiess es im Vertrag. L. war alles recht, Hauptsache sie wurde bald von ihren Schmerzen befreit. Sie unterschrieb und erhielt sofort einen neuen OP-Termin – Mitte Dezember. Dafür musste sie 5900 Franken hinblättern, zwei Monatslöhne.
Von da an klappte alles prima, L. trat an einem Sonntag ins Spital ein, wurde am Montag operiert und konnte die Klinik am Donnerstag darauf wieder verlassen. Bald ging es ihr besser, heute arbeitet sie wieder 50 Prozent. Was bleibt, ist der schale Nachgeschmack. «Ich musste mir meine Gesundheit kaufen», sagt. L.
«Dass Patienten kurzfristig Versicherungs-Upgrades eingehen, um schneller behandelt oder bessere Pflege zu erhalten, ist nicht selten», sagt Margrit Kessler vom Patientenschutz. Allerdings komme es oft vor, dass die Patienten nicht über ihre Möglichkeiten aufgeklärt würden – beispielsweise einen anderen Spezialisten zu Rate zu ziehen oder in einem anderen Spital einen früheren Operationstermin zu erfragen.
Dem seien sich viele Patienten nicht bewusst, sagt Kessler. So auch L. – weder sei sie über Alternativen aufgeklärt worden, noch hätte sie daran gedacht, danach zu fragen, sagt sie.
Das ist lukrativ für die Kliniken. Schliesslich verdienen sie direkt an den Patienten-Upgrades, die Versicherungen übernehmen keine Kosten. Verordnen sie absichtlich späte OP-Termine, um Patienten dazu zu bringen, ein Upgrade vorzunehmen? «Das kann sehr gut sein», sagt Kessler. Allerdings müsse dazu die freie Kapazität in den Spitälern nachgewiesen werden – «ein nicht sehr einfaches Unterfangen», so Kessler.
Immerhin, mit 5900 Franken kam L. noch einigermassen günstig davon. So weiss Kessler von vielen Fällen, in denen Patienten mehrere Zehntausend Franken für Zusatzkosten hinblätterten. «Eine Patientin erhielt eine zusätzliche Rechnung von 50'000 Franken», erzählt Kessler – weil Komplikationen dazugekommen seien. «Eine zweite bezahlte für nur wenige Tage in der Halbprivat-Behandlung zusätzliche 60'000 Franken».
Zahlen dazu, ob und wenn ja wie viel Gewinn die Spitäler damit machen, gibt es nicht. Bei der Klinik St.Anna heisst es lediglich, sie seien auf die Gelder angewiesen, «um die vom Gesetzgeber geforderten Wirtschaftlichkeits- und Qualitätskriterien zu erfüllen». Wie vielen Patienten Upgrades empfohlen werden, kann das Spital nicht sagen. Der Vorwurf, absichtlich späte OP-Termine anzusetzen, um den Patienten ein Upgrade aufzudrängen, wird dementiert.
*Name der Redaktion bekannt