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Russland ist in der Kaviar-Krise

Preise explodieren – Russland ist in der Kaviar-Krise

20.12.2021, 08:45
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Kaviar
Teurer Spass: Kaviar.Bild: Shutterstock

Russischer Kaviar ist wie Trüffel aus Italien eine weltweit geschätzte Delikatesse. In Russland sind die Fischeier so etwas wie ein Fetisch vor allem zu Neujahr. Aber derzeit müssen die Menschen in dem Riesenreich trotz fetter Ausbeute so viel zahlen wie nie zuvor.

Auf einem reich gedeckten Tisch an Festtagen ist Kaviar - ob rot oder schwarz - in Russland ein Muss wie Wodka und Brot. «Wie man das neue Jahr feiert, so wird es auch sein, heisst es bei uns», sagt Alexander Jefremow, der Chef des russischen Fischereiunternehmens Dobroflot.

«Egal, wie gut oder schlecht es jemandem geht, für Kaviar ist das Geld nicht zu schade. Das ist wie ein Fetisch, von dem keiner lassen kann.» Jefremow meint vor allem den roten Lachskaviar, der zu den Feierlichkeiten um das neue Jahr kaum bei einem Festessen fehlt.

Der viel teurere schwarze Kaviar vom Stör hingegen ist deutlich weniger verbreitet - vor allem seit er nur noch von Zuchtbetrieben vertrieben werden darf, weil der Fisch geschützt ist. Jefremow, der in Wladiwostok am Pazifik eine Fangflotte leitet, sagt, er könne gar nicht verstehen, warum schwarzer Kaviar so berühmt sei. Er schwört vielmehr auf den frischen und natürlichen Geschmack des Lachskaviars, dessen Eier bernsteinfarben bis rot leuchten.

Preise erreichen Höchststände

Doch haben die Preise für diese Delikatesse, die auf Russisch Ikra heisst, in diesem Jahr Höchststände erreicht. Vor dem Neujahrsfest müssen Kunden etwa 30 Prozent mehr zahlen als zur selben Zeit im Vorjahr. Erstmals überhaupt stiegen die Preise auf über 5000 Rubel (60 Euro) je Kilo.

Nach Angaben des russischen Statistikamtes Rosstat hat sich der Preis für roten Kaviar in den vergangenen 20 Jahren mehr als versiebenfacht. Im Jahr 2000 kostete ein Kilo demnach noch 675.2 Rubel. Dabei steigen die Preise in diesem Jahr sogar, obwohl der Fang von Lachs wieder deutlich höher liegt als im vergleichsweise mageren Jahr 2020.

Die Kaviarausbeute lag im vergangen Jahr bei nur etwa 11 000 Tonnen, die Hälfte der diesjährigen Menge. Die Produktion von schwarzem Kaviar belief sich 2020 gerade einmal auf gut 50 Tonnen.

«Von einem Defizit kann in diesem Jahr keine Rede sein», sagt Jefremow der Nachrichtenagentur dpa. Die staatliche Fischereibehörde Rosrybolowstwo erwartet in diesem Jahr mehr als 20 000 Tonnen Lachskaviar. Der jährliche Verbrauch von etwa 12'000 bis 16'000 Tonnen im flächenmässig grössten Land der Erde werde damit gedeckt.

Spekulationen als möglicher Grund für Preissteigerungen

Massiv gestiegen ist demnach der Absatz im Ausland - China ist ein grosser Abnehmer; einige Ex-Sowjetrepubliken, aber auch Deutschland, Australien und Kanada kaufen in Russland ein. Fischereibehörden-Chef Ilja Schestakow meint, dass die Preise wegen des grossen Angebots wieder sinken sollten. Es seien in diesem Jahr 510'000 Tonnen Pazifiklachs gefangen worden, fast 90 Prozent mehr als im Vorjahr. Deshalb gebe es auch mehr Kaviar.

Dass die Preise trotzdem steigen, führen Marktexperten auf Spekulanten zurück, die das Angebot künstlich gering halten. Auch Preisabsprachen zwischen den Firmen gelten demnach als Problem.

Jefremow aber sieht eine konkrete Ursache für die hohen Preise auch darin, dass etwa von der Pazifik-Halbinsel Kamtschatka, dem Hauptproduktionsstandort, nur ein geringer Teil in die zentralen Teile Russlands kommt. Er macht die Bürokratie dafür verantwortlich. Wer grössere Mengen der begehrten Ware in die Millionenstädte Moskau oder St. Petersburg bringen wolle, brauche dafür die entsprechenden Dokumente. Das Problem für viele Händler sei, die Herkunft des Kaviars nachzuweisen, um die Papiere zu bekommen.

Tobias Felix prueft die Rogen eines geschlachteten Stoers mit einer Pinzette, am Donnerstag, 2. Februar 2012 in Frutigen (BE). Im Tropenhaus Frutigen wird der erste Kaviar in der Schweiz produziert, w ...
Bild: KEYSTONE

Viele Russen kaufen schon im Oktober Kaviar für Neujahr, um die hohen Preise vor dem Fest zu vermeiden. Bei richtiger Kühlung halten sich die Fischeier, die in Metalldosen, in Plastik- oder Glasbehältnissen verkauft werden, über Monate. Manche weichen auch auf goldschimmernde Eier anderer Fischarten aus, die deutlich preiswerter sind als der Kaviar vom Lachs oder vom Stör. Gewarnt wird aber immer wieder auch vor Fälschungen oder künstlichen Fischeiern, die etwa daran zu erkennen sind, dass die Kügelchen an den Zähnen kleben bleiben.

In der russischen Küche vielseitig eingesetzt

Wer es hat, streicht sich die Fischeier, die je nach Art des Lachses mal drei Millimeter, mal sieben Millimeter im Durchmesser haben können, dick auf ein mit Butter bestrichenes Baguette, löffelweise auf ein gebratenes Ei oder auf Bliny, die ultradünnen Eierkuchen. Dazu passt Sekt. Beliebt ist Kaviar auch in Salaten oder in Sossen.

Besonders in Moskau, Europas grösser Stadt, zeigen sich Gastronomen erfinderisch, wenn es um diese berühmte Zutat geht. Bei der erstmaligen Verleihung von Sternen des französischen Gastronomieführers Michelin räumten in diesem Jahr gleich neun Restaurants der russischen Hauptstadt die begehrten Ehrungen ab.

«Wenn es viel Kaviar zu den Festtagen gibt, ist das ein Ausdruck von Erfolg, ein Zeichen von Wohlstand», sagt Jefremow. Essen im Überfluss gehöre zu dem in Russland gross gefeierten Neujahrsfest dazu. Schon zu Sowjetzeiten wurden die Fischeier auch wegen ihrer Nährwerte als gesund angepriesen. Sie seien reich an Eiweiss, Kalzium, Jod und Vitaminen. Bis heute schwören viele Russen darauf, dass Kaviar das Immunsystem, die Knochen und beim Liebesspiel auch die Potenz stärke. (aeg/sda/awp/dpa)

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pandabaer2
20.12.2021 10:20registriert Oktober 2021
Es hätte genug Kaviar wenn die Russen nicht 3/4 auf dem Tisch liegen lassen würden....
Oder kennt ihr eine Nationalität die noch verschwenderischer am Buffet schöpft und nur ein Bruchteil isst?
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El_Chorche
20.12.2021 10:13registriert März 2021
Würde man behaupten, Arsen sei gut für die Potenz, würde sich die Menschheit auch das aufs Brot schmieren.

¯\_(ツ)_/¯
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Bikemate
20.12.2021 11:39registriert Mai 2021
Essen im Überfluss gehöre zu dem in Russland gross gefeierten Neujahrsfest dazu. Irgendwie traurig, die einen tischen so viel auf, dass 1/2 weggeworfen werden muss nur um zu zeigen, dass sie es geschafft haben. Und andere haben nicht genügend zu essen. Werden wir Menschen irgendwann vernünftiger?
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