Am Samstag hatte Russland überraschend ein Getreide-Export-Abkommen mit der Ukraine ausgesetzt. Am Mittwoch kam allerdings der Rückzieher: Jetzt sollen die Schiffe mit Weizen, Mais und anderen Lebensmitteln weiter über einen sicheren Korridor im Schwarzen Meer fahren können. Das teilte das russische Verteidigungsministerium in Moskau mit. Einen erneuten Ausstieg schliesst Putin allerdings nicht aus.
Ein Überblick:
Russland und die Ukraine sind beide grosse Getreideexporteure, die mit den Ausfuhren von produziertem Getreide Milliarden verdienen.
Das im Juli unter Vermittlung der Türkei und der UN vereinbarte Abkommen beendete die monatelange Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren infolge des russischen Angriffskriegs. Das Abkommen zwischen Russland und der Ukraine soll die sichere Durchfahrt ukrainischer Frachtschiffe mit Getreide auf festgelegten Routen durch das Schwarze Meer ermöglichen. Es galt als zentraler Beitrag zur Entschärfung der vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelösten globalen Ernährungskrise.
Obwohl der Krieg die Exporte weiter behindere, habe die Ukraine seit dem Inkrafttreten des Getreideabkommens Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Seeweg ausgeführt, hatte Selenskyj unlängst gesagt. 60 Prozent der Menge seien nach Afrika und Asien gegangen. Laut UN-Angaben wurden im Rahmen des Abkommens insgesamt fast 10 Millionen Tonnen Waren transportiert.
Russland hat allerdings stets auch gedroht, die auf vier Monate angelegte Vereinbarung platzen zu lassen. Im Abkommen hat sich Russland zur Beendigung der Blockade ukrainischer Seehäfen für den Getreideexport bereiterklärt, forderte aber im Gegenzug Erleichterungen für die eigene Ausfuhr von Dünge- und Lebensmitteln.
Am Samstag hatte Russland das Abkommen schliesslich tatsächlich ausgesetzt. Der Vorwurf: Die Ukraine nutze das Schwarze Meer für Angriffe gegen Russland. Damit waren nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau die «Terroranschläge» mit Drohnen auf die Schwarzmeerflotte in Sewastopol gemeint. Das Ministerium warf der britischen Marine vor, die Anleitungen zum Beschuss der Halbinsel mit Drohnen gegeben zu haben. Dabei wurde nach russischen Angaben auch ein Minenräumschiff beschädigt. Grossbritannien wies die Vorwürfe zurück.
Kiew warf Moskau daraufhin eine neue Getreideblockade wie zu Beginn des russischen Angriffs gegen die Ukraine vor.
Russland hatte davor schon seit Wochen mit einem möglichen Stopp des Kornabkommens gedroht. Vor allem stört sich Moskau weiter daran, dass es selbst im Zuge der westlichen Sanktionen nicht in gewünschtem Umfang Getreide und Düngemittel exportieren kann.
Am Mittwoch wurde nun bekannt, dass Russland sich doch wieder am Getreide-Deal beteiligen will. Dank der Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen habe die Ukraine jetzt zugesichert, den Seekorridor und die Häfen nicht für Kampfhandlungen gegen Russland zu nutzen. Das teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Man habe entsprechende schriftliche Sicherheitsgarantien von Kiew erhalten.
Das sei für den Moment ausreichend, um das Abkommen zu erfüllen, hiess es in Moskau. Der prominente russische Aussenpolitiker und Duma-Abgeordnete Leonid Sluzki begründete das Einlenken Moskaus damit, keine Lebensmittelkrise und Hunger in den Entwicklungsländern zuzulassen.
Die Transporte würden noch am Mittwoch fortgesetzt, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der am Vortag mit Kremlchef Wladimir Putin über das Abkommen gesprochen und ihn wohl von der Kehrtwende überzeugt hatte. Lieferungen sollten vornehmlich ärmere Länder zum Ziel haben. Dagegen teilte eine UN-Sprecherin des Koordinierungszentrums in Istanbul der Deutschen Presse-Agentur auf Nachfrage mit, dass am Mittwoch keine Schiffe in dem Korridor unterwegs sein würden.
Für die Ukraine ist der russische Wiedereinstieg ein Teilerfolg in dem seit mehr als acht Monate dauernden Krieg. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagte bereits in den vergangenen Tagen, dass Russland die Durchfahrt der mit Getreide beladenen Schiffe blockiere. Er betonte die Bedeutung dieser Lieferungen für die Bekämpfung des Hungers in der Welt.
Im Präsidialamt der Ukraine wird die Rückkehr Russlands zum Getreideabkommen als «Ende der Erpressung» durch Moskau verstanden. «Aus geopolitischer Sicht setzt das, was an diesen Tag passiert ist, einen Punkt hinter die viele Jahre lange Diplomatie der Erpressung, die Russland betrieben hat», schrieb Andrij Jermak, der Stabschef von Präsident Wolodymyr Selenskyj, auf Telegram. «Eine andere Diplomatie kennen sie dort nicht, deshalb verlieren sie auch in der modernen Welt», schrieb er am Mittwoch.
Jermak äusserte sich nicht zu ukrainischen Zusagen, die Moskau nach eigenen Angaben erhalten hat. Nach russischen Angaben hat die Ukraine schriftlich zugesichert, die Häfen und den Seekorridor für die Getreideexporte über das Schwarze Meer nicht für militärische Zwecke zu nutzen.
Die Kehrtwende Moskaus zeige immerhin, dass Putin in gewissem Masse ein rationaler Politiker bleibe und auch nachgeben könne, meinte die russische Analystin Tatjana Stanowaja. «Der Kreml geriet selbst in die Falle und wusste nicht, wie er da wieder rauskommen soll. Den Deal haben sie zwar ausgesetzt, aber sie wussten am Ende nicht, wie sie die Getreideausfuhr stoppen können», so die Expertin. Russland habe die Getreideschiffe nicht beschiessen wollen.
Das Welternährungsprogramm (WFP) sprach nach Russlands Einlenken von einer guten Nachricht für Hungernde auf der Welt. «Für Millionen Notleidende weltweit sind diese Schiffe Hoffnungsträger, die Leben retten können», sagte Martin Frick, Leiter des Berliner Büros der UN-Organisation, der Deutschen Presse-Agentur. Seit der Unterzeichnung des Abkommens im Sommer habe das WFP mehr als 220 000 Tonnen Weizen von ukrainischen Häfen aus für Hungernde in Afghanistan, Äthiopien und Jemen abtransportiert. Weitere 160 000 Tonnen sollten bald folgen.
Kremlchef Wladimir Putin hat einen neuen Ausstieg aus dem Getreideabkommen mit der Ukraine nicht ausgeschlossen, sollte es aus russischer Sicht Verstösse dagegen geben. «Russland behält sich das Recht vor, aus diesen Vereinbarungen auszusteigen für den Fall, dass die Garantien seitens der Ukraine verletzt werden», sagte Putin am Mittwoch bei einer Videokonferenz mit dem nationalen Sicherheitsrat. Auch bei einem Ausstieg aus dem Abkommen sei Russland aber bereit, die für ärmere Länder bestimmten Getreidelieferungen durch den vereinbarten Korridor passieren zu lassen.
(lak/sda/dpa)