Wirtschaft
Kommentar

Nach dem FTX-Kollaps: Warum zum Teufel brauchen wir noch Kryptos?

Kommentar

Nach dem FTX-Kollaps: Warum zum Teufel brauchen wir noch Kryptos?

Eine Polemik.
17.11.2022, 16:2917.11.2022, 16:49
Mehr «Wirtschaft»
FTX
Kryptos straucheln über FTX.Bild:shutterstock

Okay, ich mag zu alt sein, um es zu begreifen. Aber nach dem Kollaps von FTX stellt sich für mich die Frage: Wer ausser Finanz-Abzocker braucht wirklich Kryptos? Nordkorea vielleicht, Kim Jong Un kann sich bekanntlich nur wegen seiner Krypto-Hacker über Wasser halten. Aber ich schweife ab. Deshalb der Reihe nach.

Als vor rund 14 Jahren Bitcoin entstand, machte sich bald eine weltweite Begeisterung über die Blockchain breit. Ausser den Techno-Nerds verstand zwar niemand so genau, wie das Ding funktioniert. Alle begriffen jedoch, dass man dank der famosen Blockchain die Banken als Intermediäre ausschalten und damit gewaltige Kosten einsparen konnte, und dass die Zentralbanken gar überflüssig würden, weil es ja keine Banken mehr zu kontrollieren gab.

Ein libertärer Traum geht in Erfüllung

Eine globale Währung, befreit von Staat und Zentralbanken: Der libertäre Traum schien dank der Blockchain zum Greifen nahe. Ludwig von Mises und Friedrich Hayek vollführten Freudensprünge auf Wolke 7, oder wo auch immer sich ihre Seelen befinden.

Über Nacht ein Milliardenvermögen verspielt: Sam Bankman-Fried.
Über Nacht ein Milliardenvermögen verspielt: Sam Bankman-Fried.

Ein paar Probleme gab es noch. Der astronomische Stromverbrauch etwa passte schlecht in eine von Klimaerwärmung gebeutelte Welt. Aber dieses Problem scheint Ethereum ja bereits gelöst zu haben. Speziell kundenfreundlich sind die Kryptos ebenfalls nicht, zumindest nicht für ältere Menschen.

Vor allem jedoch ist eine entscheidende Frage noch ungelöst: Wie kann ich mein Geld sicher aufbewahren? Die sogenannten Wallets mögen nicht knackbar sein, doch wer den Code dazu verliert, verliert auch sein gesamtes Vermögen, und zwar für immer und ewig. Den Zugangscode zu den Wallets zu Hause aufzubewahren, ist problematisch und älter werdende Menschen leiden bekanntlich auch an Gedächtnisschwäche und vergessen möglicherweise, wo sie den Code versteckt haben.

Auftritt FTX. Ein smarter junger Mann namens Sam Bankman-Fried (SBF) und sein Bruder schienen die Lösung für dieses Problem gefunden zu haben. Sie positionierten sich als Treuhänder für Kryptos aller Art, versprachen, diese sicher aufzubewahren, und zwar so, dass sie jederzeit abrufbar und in traditionelle Währungen konvertierbar sind. Das Konzept entsprach einem weitverbreiteten Bedürfnis. FTX wurde innert kürzester Zeit ein Riesenerfolg.

Die Welt hatte einen Wunderknaben mehr, und einen sympathischen obendrein. SBF kleidet sich nicht wie ein Banker, sondern wie jemand, dessen Koffer auf dem Flug verloren ging. Er profilierte sich als grosszügiger Spender, der mit seinem innert kürzester Zeit erworbenen Milliardenvermögen so ziemlich alles unterstützte, was linksliberal und grün ist.

FILE - Signage for the FTX Arena, where the Miami Heat basketball team plays, is illuminated on Saturday, Nov. 12, 2022, in Miami. The rapid collapse of cryptocurrency exchange FTX into bankruptcy las ...
FTX hat in Miami eine Basketball-Halle finanziert.Bild: keystone

FTX jedoch wurde bald mehr als ein treuhänderischer Verwalter von Kryptos. Die Kryptobörse begann, Kredite zu verteilen, auch an die eigene Tochter, die Handelsfirma Alameda Research. Kurz: FTX wurde zu einer Bank und damit zu einem Albtraum, denn anders als normale Banken war FTX nicht reguliert. Weder Finanz- noch Börsenaufsicht überwachten die Geschäfte.

Unregulierte Banken sind ein sicheres Rezept für ein Desaster, ja eine Einladung für Betrüger aller Art. Das weiss man aus der Geschichte bestens. Kommt dazu, dass FTX seine eigene digitale Währung schaffen durfte und damit quasi eine Bank mit den Privilegien einer Zentralbank wurde. Dieses Privileg nutzte FTX weidlich aus und schuf mit Krediten an seine Handelsfirma eine gigantische Blase. Innert kürzester Zeit entstand so ein Schneeball-System, das selbst den legendären Trickbetrüger Charles Ponzi hätte vor Neid erblassen lassen.

SBF verfügte bald über ein Vermögen, das auf 18 Milliarden Dollar geschätzt wurde, und sein Konterfei zierte jedes Wirtschaftsmagazin in der westlichen Hemisphäre.

Schneeball-Systeme haben nun mal die unangenehme Eigenschaft, dass sie zusammenkrachen. Als die Machenschaften von FTX aufgedeckt wurden, setzte ein, was wir ebenfalls aus der Geschichte kennen: ein klassischer Bank Run. Alle Kunden wollten retten, was noch zu retten war, setzten so eine Todesspirale in Gang, und weil FTX zwar de facto eine Bank ist, de jure jedoch nicht, schritt auch die Zentralbank nicht ein, um diese Todesspirale zu stoppen.

Alle wollen nun Kryptos regulieren

Nun hat FTX Konkurs angemeldet. Das Milliardenvermögen von SBF hat sich über Nacht in einen Schuldenberg in der Höhe von hunderten Millionen verwandelt. Die Kunden haben ihr Geld verloren, und die vermeintlich smarten Banker, die sich an den Rockzipfel von FTX gehängt haben, ihren guten Ruf.

Die Politiker, die bisher mit grosszügigen Parteispenden ruhig gehalten wurden, sind ebenfalls aufgeschreckt. Allen ist schlagartig klar geworden, dass es mit den Kryptos so nicht mehr weitergehen kann. Der Ruf nach einer Regulierung ist zu einem mächtigen Chor angeschwollen, dem wohl bald Taten folgen werden.

Damit schliesst sich der Kreis. Wenn Kryptos bald wie traditionelle Währungen behandelt werden und Krypto-Börsen sich ausser in einem X in ihrem Namen nicht mehr von normalen Banken unterscheiden – warum, zum Teufel, brauchen wir sie dann noch?

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Du willst Bitcoin kaufen? Dann schau zuerst dieses Video
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
169 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Denkblase
17.11.2022 17:06registriert Juli 2020
Man verwechselt hier etwas. Dies ist eine Börse, an dieser dieser Börse wurden Kryptowährungen gehandelt. Die Kryptobörse ging hops, also sollten wennschon die Kryptobörsen reguliert werden, siehe ISO Normen für Finanzdienstleister
11627
Melden
Zum Kommentar
avatar
mrmikech
17.11.2022 16:42registriert Juni 2016
Bitcoin kann man nicht regulieren. Alles rund herum Bitcoin (und co) schon. Bitcoin bleibt also digitales Gold. Und ja, wenn man es verliert ist es weg.
8519
Melden
Zum Kommentar
avatar
⚡ ⚡ ⚡☢❗andre ☢ ⚡⚡
17.11.2022 17:02registriert Januar 2014
Falls man mehr als die Titel liest, sollte klar sein das bei FTX nicht Cryptos versagt haben, sondern die Regulationen die eigentlich verhindern sollten dass Eine “Bank” ihre Bücher täuscht.
297
Melden
Zum Kommentar
169
Zunehmendes Vertrauen in Schweizer Konjunktur

Bei Finanzanalysten nimmt das Vertrauen in die Schweizer Konjunktur weiter zu. Nach dem starken Anstieg im Februar bestätigte sich nun die Erholung mit einer weiteren positiven Entwicklung des Indikators im März.

Zur Story